,Das Gehirn lernt immer‘

14.1.2004, 00:00 Uhr
,Das Gehirn lernt immer‘

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Diese Thesen haben eine lebhafte Kontroverse unter bundesdeutschen Pädagogen, Psychologen und Gehirnforschern ausgelöst; auch aus diesem Grund eröffnen das Bildungszentrum gemeinsam mit der Turm der Sinne GmbH am kommenden Sonntag eine Vortragsreihe zum Thema Lernen mit Manfred Spitzer. Der Veranstaltung geht ein Wochenendseminar voraus, das allerdings bereits vollkommen ausgebucht ist.

Mehr Platz

„Das Gehirn lernt immer“, bezeichnet der Ulmer Psychiater Spitzer als seine wichtigste These. Und, so belegen hochmoderne bildgebende Verfahren, diese Informationsverarbeitung hinterlässt auch Spuren im Gehirn. Wer als Kind das Spielen von Gitarre oder Geige lernt, hat als Erwachsener einige Quadratzentimeter mehr Platz im Gehirn, um damit die linke Hand zu steuern. Auf diese Weise bildet sich bereits in der Kindheit die Nervenstruktur heraus, die ein Erwachsener für das Lernen zur Verfügung hat.

Das Abspeichern von Inhalten, so erklärt Spitzer weiter, geschieht nach festen Regeln. Wenn Wörter mit Freude gelernt werden, dann werden sie in einem Gehirnteil mit dem Namen Hippocampus abgespeichert. Werden sie von dort abgerufen, dann wird die positive Grundstimmung gleich mit aktiviert — eine gute Voraussetzung, um kreative Lösungen für gestellte Übersetzungsaufgaben zu finden.

Anders beim Mandelkern, der angstbesetzte Lerninhalte speichert: Dieser Gehirnteil ist unter anderem dazu da, bei Schreckreaktionen schnelles Ausweichen oder Flucht möglich zu machen. Dabei kommt es auf Tempo an; für kreatives Nachdenken ist schon allein deshalb kein Platz. Dazu wird schon beim Erinnern so gelernten Wissens die hemmende Angst mit abgerufen.

Begeisterung für sein Fach ist deshalb für Spitzer das Wichtigste, was einen guten Lehrer ausmacht — Entertainerqualitäten sind dagegen weniger gefragt. Das Engagement des Pädagogen, so kalkuliert er, wird dann schon für das notwendige positive Lernklima sorgen, wenn die Informationen so dargeboten werden, dass sie auch ein Gehirn in der Entwicklung verarbeiten kann. Denn lernen, so Spitzers Kernthese, tut das menschliche Gehirn ja sowieso.

Aber ganz so einfach sind die Dinge doch nicht: Die Schule, die ja eigentlich zum Lernen fürs Leben da sein will, testet nur das in den letzten Wochen gelernte Wissen, das sich dann oft aus dem Kurzzeit-Gedächtnis ins Nirgendwo der Nervenzellen verflüchtigt. Falsch, sagt Spitzer: Es sollte nur geprüft werden, was schon mindestens sechs Wochen vor dem Test gelernt werden sollte. Nur dann findet es sich im Langzeitgedächtnis.

Und auch wenn das Lernen gleichsam von alleine passiert, verlangt es doch Aufmerksamkeit und Zuwendung des Zuhörers: Wer nur Videospiele per Joystick steuert, bildet keine sinnvollen Strukturen aus wie ein Geigenspieler. Ähnliches gilt fürs Fernsehen; Spitzer, Vater von fünf Kindern, hat daraus die Konsequenz gezogen: TV gibt es bei ihm zu Hause nicht. DIETER SCHWAB

Weitere Informationen: Der Vortrag Spitzers beginnt am kommenden Sonntag um 11 Uhr im Bildungszentrum, Gewerbemuseumsplatz 2, Eintritt € 7,50. Auskunft Tel. 231 39 27. Buchveröffentlichung: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens, € 29,95.