Der Großstadtverkehr verdrängte die Idylle

14.9.2017, 11:29 Uhr
Die Platnersanlage im Jahr 1905: Wirt, Stammgäste und zwei Straßenbahnschaffner stehen beim Fototermin vor dem „Café-Restaurant Christoph Uschald“ stramm.

© unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden) Die Platnersanlage im Jahr 1905: Wirt, Stammgäste und zwei Straßenbahnschaffner stehen beim Fototermin vor dem „Café-Restaurant Christoph Uschald“ stramm.

Viele „Zugereiste“ – und derer gibt es reichlich in St. Johannis – haben die Angewohnheit, ihre neue Heimat neugierig zu erkunden. Nicht selten kommen dabei Fragen auf, bei denen die Mehrheit der Alteingesessenen schulterzuckend gestehen muss, dass sie sich über dieses oder jenes noch nie Gedanken gemacht hat.

So verhält es sich auch mit jenem dottergelben Neubau an der Bucher Straße zwischen Kirchenweg und Rieterstraße, oder genauer: mit dessen idyllisch anmutenden Namen "Platnersanlage", der sich nicht so recht mit dem verkehrsumtosten Umfeld in Einklang bringen lässt.

Die Antwort liegt in der fernen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals ließ sich der Kaufmann Georg Zacharias Platner, einer der Väter der ersten Eisenbahn auf dem europäischen Kontinent, vor den Toren der Nürnberger Altstadt seine Villa errichten. Das hübsche Gebäude im Geiste eines klassizistischen Landhauses thronte inmitten eines englischen Landschaftsgartens, den Platner von Beginn an für seine Mitbürgerinnen und Mitbürger öffnete.

Die Villa sucht man heute vergebens: Schon Ende des 19. Jahrhunderts hat sie die Großstadt mit ihrem Hunger nach Bauland und Verkehrsflächen aufgefressen, und von Platners Landschaftsgarten ist gerade einmal ein grünes Handtuch zwischen den Einmündungen der Koberger- und der Schweppermannstraße geblieben.

Immerhin übernahm man für den Platz an der Bucher Straße die Bezeichnung des Parks. Doch 1954, als man den Platz auf Initiative des späteren Oberbürgermeisters Andreas Urschlechter zu Ehren des deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert umbenannte, schien auch diese letzte öffentliche Erinnerung an die "Platnersanlage" getilgt.

Die heutige Situation: So sieht Nachverdichtung nach Art der 1980er Jahre aus. Neben der Gaststätte sind heute ein Reformhaus und Arztpraxen beheimatet.

Die heutige Situation: So sieht Nachverdichtung nach Art der 1980er Jahre aus. Neben der Gaststätte sind heute ein Reformhaus und Arztpraxen beheimatet. © Sebastian Gulden

Na ja, nicht ganz. Eine Gaststätte, deren Pächter Johann Keil den Namen um 1908 übernommen hatte, hält das Andenken an den Park und seinen Stifter bis heute wach. Bevor die Gaststube mit ihrem gemütlichen Biergarten in der Bucher Straße 67 einzog, wohnte dort der Glasmaler Hermann Kellner. 1868 packten er und seine Familie ihre Siebensachen und machten sich auf ins Schwabenländle, wo Kellner mit seiner Werkstatt an der Vollendung des Ulmer Münsters mitwirkte.

Die Wirtschaft, ein typisches Nürnberger Vorstadthaus mit verputzten Fassaden, Stichbogenfenstern, Zwerchhaus und überstehenden Satteldächern, machte in den folgenden Jahrzehnten manche Wandlung durch. Im Biergarten mit seinen hohen Laubbäumen etwa ließ Wirt Christoph Uschald 1873 eine "Sonnenlaube" auf filigranen Säulen errichten, in der man ohne Sonnenbrandgefahr dem Genuss von kühlem Gerstensaft oder einem Tässchen heißer Wiener Melange frönen konnte.

Um 1900 wurde die Bucher Straße zur Verkehrsachse

Doch wie einst Platners Villa war auch die "Platnersanlage" nicht vor dem Hunger des Verkehrs gefeit: Schon um 1900 hatte man die Bedeutung der Bucher Straße als Verkehrsachse erkannt und die Baulinien für die neuen Gebäude zu beiden Seiten zugunsten einer breiteren Fahrbahn nach außen versetzt.

Ältere Häuser wie die Nummern 67 und 69 standen nun im wahrsten Sinne des Wortes im Weg. Und so kam es, dass die Stadt Nürnberg die beiden Anwesen aufkaufte und 1983 abreißen ließ, um die Bucher Straße auch an dieser Stelle zweispurig ausbauen zu können.

Nur alte Ansichtskarten und Fotografien, die Otto Ernst 1979 im Auftrag des Hochbauamtes anfertigte, sind von der alten Platnersanlage geblieben. Ganz im Sinne der "Anpassungsarchitektur" der 1980er Jahre griff man beim Neubau – der natürlich viel größer ausfiel als die beiden alten Vorstadthäuschen – die Formen der historischen Mietspaläste rundum in den Grundzügen auf, verpasste dem Haus ein Mansarddach und einen verglasten Erker.

In neuen Räumen, aber im alten Biergarten lebt auch die Gaststätte "Platnersanlage" fort. Statt Ochsenmaulsalat und Bratwürsten lassen sich die Gäste dort heute Moussaka und Souvlaki schmecken – Alteingesessene wie Zugereiste gleichermaßen.

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