Die Hebammen danken ab: Jetzt bleibt nur die Klinik

16.5.2011, 09:45 Uhr
Die Hebammen danken ab: Jetzt bleibt nur die Klinik

© Stefan Hippel

Sonst sind es die Mütter, die nah am Wasser gebaut haben. Das Baby schreit pausenlos, die Milch staut sich im schmerzenden Busen. Gute Gründe für Tränen. Die haben jetzt auch die freien Hebammen, denen explodierende Berufshaftpflichtbeiträge endgültig die Luft abschnüren (wir berichteten). Sie werden aufgeben, nur noch Vor- und Nachsorge anbieten. Das ist, als würde der Bäcker nur noch den Teig anrühren, das Brot aber backen dann die Fabriken.

Neulich habe sie auf der Kante eines Wochenbetts kurz heulen müssen, gesteht Hebamme Katharina Gebhard, die so robust und entschlossen wirkt. In zwei Jahrzehnten hat die 47-Jährige im Schnieglinger Hebammenhaus mit Kolleginnen 1500 Kinder sicher zur Welt gebracht, manche von ihnen auch daheim abgenabelt.

Körper gibt das Tempo vor

Jetzt steht ihr ein bitterer Abschied bevor, ein geliebter Beruf lohnt sich nicht mehr. Die vierfache Mutter kann’s noch nicht fassen. „Wo soll meine Tochter einmal ihr Kind kriegen?“, fragt sie sich. Ihre Tochter, und alle anderen, die diese Art von Entbindung wollen, bei der nur der Körper das Tempo vorgibt und Fallpauschalen oder Schichtpläne keine Rolle spielen. In den Kliniken ist die (Wunsch-)Kaiserschnittquote auf 30 Prozent hochgeschnellt. Die Kassen zahlen’s. In Hebammenhäusern wünschen sich Frauen etwas anderes.

„Ich wollte nicht, dass da einer reinfuhrwerkt.“ So drückt es Viola Löhle aus der Nordstadt aus, bei der Hebamme Bärbel Laußmann gerade klingelt. Luis, am 2. Mai im Hebammenhaus geboren, wird gerade gestillt. Vater Erich Zollner hat sich einen Spickzettel geschrieben. Heilt der Nabel gut ab? Wie oft muss gewickelt werden? Laußmann beruhigt, gibt Antworten. Die Eltern fanden’s schön im Geburtshaus, so ganz in Ruhe. Erich Zollner hätte gerne weiter die Wahl und fragt: „Wohin gehen wir dann mit dem nächsten Kind?“

Fünf Prozent

Bärbel Laußmanns alter Kombi parkt jetzt am Bielingplatz. Anton ist knapp zwei Wochen alt, wie seine Schwester Frieda zu Hause geboren, und gerade sehr satt und sehr müde. „Sich wohlfühlen und gehenlassen“, nennt seine Mutter Johanna Umbach als Vorzug der Hausgeburt. „Es war toll“, sagt sie, streichelt das schlaffe Kind. Das Ende der außerklinischen Geburt sei ein „Riesenverlust“. Auch ihr Mann Frank, mit zwei Kindern auf dem Bauch im Sessel, hat sich wohlgefühlt bei der Geburt ohne Arzt. „Man ist ja nicht krank.“ Die Hebamme begutachtet Luis’ Nabel, findet alles prima und klappt ihren Koffer mit den Stillhütchen und der tragbaren Babywaage wieder zu.

Krisensitzung bei Kaffee und Keksen in der alten Bilderbuchvilla, in der das Hebammenhaus am Pegnitzgrund seit 20 Jahren residiert. An den Wänden Unmengen Fotos zerknautschter Neugeborener, manche ein wenig vergilbt; sogar ein Bild von Vivienne, dem ersten Hebammenhaus-Kind vom April 1991, ist darunter. Es soll ein Wiedersehen geben im Herbst, wenn die Hebammen alle Ehemaligen zum Abschiedsumzug einladen. Dass es eher ein Trauermarsch wird, ist sehr wahrscheinlich.

Im Nebenzimmer krähen die Kinder der Stillgruppe, während Helga Torney-Weiß, seit 1982 im Geschäft, ausspricht, was alle denken: „Wir haben keine Lobby und keine Stammkundschaft.“ Trotzdem träumt sie manchmal von einem „tollen Sponsor“, von einer Stiftung, die retten könnte, was verloren zu gehen droht. Nichts davon ist in Sicht, für Anna Schulz von der Schoppershofer Hebammenpraxis ist das ein Skandal. Sie wird nur noch vier Geburten begleiten, Ende Mai hört sie damit auf. Bestürzt sei sie, und sehr traurig. Ein Zitat: „Mit unserer Arbeit stirbt ganz viel Wissen. Wer soll das jetzt weitergeben?“

Also weg mit der freien Hebammerei? Die ohnehin mies bezahlten Geburtshelferinnen müssten draufzahlen, um weiterzuarbeiten. 26460 Euro legt das Hebammenhaus seit 2010 für seine sieben Beschäftigten im Jahr hin, dazu braucht die Einrichtung selbst eine zusätzliche Police. Das sei nicht zu stemmen, heißt es.

Kloß im Hals

Helga Torney-Weiß (49) kauert im Schneidersitz im Sessel. Sie, die so wortgewaltig schimpfen kann auf die endgültige Industrialisierung des Geburtsvorgangs („Das ist dann wie bei den Grillhähnchen“), hat einen Kloß im Hals, wenn sie an die Zukunft denkt. Das gemütliche Kreißzimmer mit der Badewanne, dem riesigen Bett und der Batterie homöopathischer Mittel im Schrank, wird leer stehen.

„Danke für die wunderschöne Geburt“ oder „Schee war’s!“ haben Eltern unter die Kinderfotos an der Wand nebenan geschrieben. Auf der Kommode darunter steht ein grauer Kasten, der Wehenschreiber. Ihn können die Hebammen bald einmotten. Ab 1. November wird wohl kein Nürnberger Kind mehr seinen ersten Schrei außerhalb einer Klinik tun. Monatelang hat man in den Hebammenhäusern und -praxen versucht, irgendwie durchzuhalten. Nun ist die Schmerzgrenze erreicht.

Wenn die Frauen über die Bedingungen sprechen, unter denen sie nicht mal zum Putzfrauenlohn Schicht um Schicht geschoben haben, finden sie so schnell kein Ende. „Da sitzt du schweißgebadet im Konzert in der Meistersingerhalle, weil dein Handy dort keinen Empfang hat“, sagt Hebamme Katja Münch. „Ein Glas Wein? Vergiss es“, sagt Katharina Gebhard. „Welche Freunde kochen nochmal für dich, wenn du so oft schon vom Tisch aufgestanden bist, weil eine Frau Wehen bekam?“ Ein Leben auf Abruf, unter dem die eigene Familie leidet, manchmal auch die Gesundheit.

Diese Hebammen böten einer bestimmten Patientinnenschicht eine Nische an, sagt die Nürnberger Gynäkologin Dr. Gabriele Mühlhäuser und lobt die kooperative und sorgfältige Arbeit der Frauen. Die „Zustände in den Kliniken“ hätten mit natürlichen Geburten nur noch wenig zu tun, so die Ärztin, die selbst keine Geburtshilfe anbietet. „Ich müsste 15000 Euro Versicherung zahlen, das lohnt sich nicht“, sagt sie. 

8 Kommentare