Die Staatsphilharmonie im "Hirsch" - ein gelungenes Experiment

1.11.2011, 12:39 Uhr
Die Staatsphilharmonie im

© Michael Matejka

„Das ist ein Experiment“, sagt Marcus Bosch, Generalmusikdirektor des Staatstheaters Nürnberg, als er eine ungewöhnliche Bühne betritt: Die Staatsphilharmonie Nürnberg gastiert im Club „Der Hirsch“.

Dort zeigt man am Eingang nicht dezent seine Eintrittskarten vor, sondern bekommt einen Stempel aufgedrückt. Man trinkt Bier aus der Flasche, und über der Bühne hängen Discokugeln und riesige Spinnennetze, die wohl noch von einer Halloween-Party übrig sind.

Bosch trägt nicht den sonst für Dirigenten obligatorischen Frack, sondern Jeans und einen blauen Pulli. So ein Modell haben auch alle rund 80 Musiker an. Und so sieht also das Experiment aus: Die Staatsphilharmonie verlässt den Orchestergraben des Opernhauses beziehungsweise die Konzertbühne der Meistersingerhalle, musiziert an ungewöhnlichen Orten ohne Schnickschnack und begeistert so neues Publikum für klassische Musik. Am Ende, als längst wieder DJs das musikalische Zepter im Club übernommen haben und für dröhnende Bässe sorgen, kann Bosch zufrieden feststellen: Ja, das Experiment sei geglückt. Die Zuhörer drängeln sich fast vor der Bühne, die Neugierde auf das einstündige Konzert am späten Montagabend ist groß.

Das Orchester beginnt mit Claude Debussys „La mer“. Fließendes Wasser und Wellen als Elemente der Musik – das ist natürlich nicht tanzbar und klingt völlig ungewöhnlich in der Discokulisse. Aber es funktioniert, das Publikum lauscht aufmerksam. Was wohl auch daran liegt, dass die Staatsphilharmonie hier keine halben Sachen anbietet: Alle sind konzentriert bei der Sache. Ganz so, als gelte es, bei einer Opernaufführung oder im Konzertsaal zu spielen.

„Die Akustik des Saales hat mich positiv überrascht“, wird Maestro Bosch hinterher sagen. Schmissiger wird es bei George Gershwins „Ein Amerikaner in Paris“: Die Vertonung eines Spaziergangs durch Paris bedient sich deutlich beim Jazz. Die Begeisterung der Zuhörerschaft wächst mit jedem Takt – und nochmals, als sich die Staatsphilharmonie mit einer Zugabe bedankt: Arturo Márquez' „Danzon Nr. 2“ bringt südamerikanische Rhythmen in den Saal, variierend zwischen sehnsuchtsvollen und heiter-fetzigen Melodien. Das kommt gut an, zumal bei den Schlusstakten die DJs an ihren Pulten schon mitmischen und den Beat für die nun folgende Chill-out-Party vorgeben. Die Musiker genießen den Applaus in ungewöhnlicher Atmosphäre, denn auch für sie ist es ja Neuland: Das Publikum steht zum Teil direkt vor den Notenständern und könnte bei Interesse die Partituren mitlesen.

Auch ist es natürlich nie komplett still – Kronkorken und Gläser klappern, es wird mit Handys fotografiert. Aber davon lässt sich niemand irritieren, die Spielfreude ist ungebremst. „Wir wussten ja nicht, wie es werden würde“, sagt Bosch hinterher sichtlich erleichtert. „Es freut uns, dass so viele Menschen gekommen sind.“ Der 42-Jährige hat vor seinem Amtsantritt – offiziell ist er seit September Generalmusikdirektor in Nürnberg – angekündigt, Berührungsängste zu klassischer Musik abbauen zu wollen. Er wolle Neues wagen, Aufbruchstimmung erzeugen.

Die nun begonnene kleine Konzertreihe im Club unter dem Titel „Phil & Chill“ ist dabei das wohl heikelste Projekt gewesen. Es hätte ja gut sein können, dass der Saal leer bleibt: Eingefleischte Klassikfans hätte womöglich die Kulisse abgestoßen, Clubgänger die Musik. Aber Bosch hat mit seiner uneitlen Art überzeugt. Das Programm war gut und schlüssig und nicht oberlehrerhaft ausgewählt. Die Musiker haben sich bewusst nicht als elitären Klangkörper inszeniert, sondern als Orchester, das Spaß am Musizieren hat und sich ehrlich über die Zustimmung der Zuhörer freut.

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