Dieter Nuhr: "Die Welt war nie besser"

3.9.2013, 08:06 Uhr
Dieter Herbert Nuhr (Jahrgang 1960) ist ein Publikumsliebling - ob auf der Bühne, im Fernsehen oder als Autor. Als einziger Künstler ist er sowohl mit dem Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett als auch mit dem Deutschen Comedypreis geehrt worden.

© dpa Dieter Herbert Nuhr (Jahrgang 1960) ist ein Publikumsliebling - ob auf der Bühne, im Fernsehen oder als Autor. Als einziger Künstler ist er sowohl mit dem Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett als auch mit dem Deutschen Comedypreis geehrt worden.

Herr Nuhr, mal ehrlich: Nur noch perfekte Tage? Das wäre doch voll langweilig, oder?
Dieter Nuhr: Wenn es immer der­selbe wäre, ja. Ich möchte auch nicht jeden Tag dasselbe Fischcurry essen oder denselben Film sehen. Auch Wit­ze nutzen sich schnell ab. Abwechs­lung ist eine Grundvoraussetzung für perfekte Tage.

Ein freier Tag, an dem es nichts zu tun gibt, außer nachzudenken ... Wie oft passiert Ihnen so etwas wirklich?
Nuhr: Bei mir sind Denken und Ar­beit nicht getrennt, das Denken gehört bei mir sogar dazu. Und freie Tage gibt es bei mir ebenfalls nicht, schon weil ich auch keine unfreien Tage habe. Ich denke also auch an Arbeitstagen. Ich darf das, weil ich ja mein eigener Arbeitgeber bin.

Das Philosophieren liegt Ihnen also im Blut? Was treibt Sie dazu, Belanglo­sigkeiten so lange zu betasten, bis sie Ihnen –-und nur Ihnen – schließlich widerwillig ihren tieferen Sinn offen­baren?
Nuhr: Das ist ein häufiges Missver­ständnis. Das Buch enthält keine Be­langlosigkeiten. Es beschreibt das Denken selbst – und das dreht sich nicht nur um Wichtiges oder Stringen­tes, sondern es wabert herum im Hirn, bewegt sich nicht zielgerichtet, son­dern eher springend und assoziativ, nicht linear, sondern im Raum, also nicht wie eine Eisenbahn, sondern eher wie beim Autoscooter. Jetzt kommt's: Das Buch ist der Versuch, unseren Denkbegriff zu dekonstruie­ren!

Ach ja?
Nuhr: Scheinbar Belangloses nimmt in unserem Denken erheblich mehr Raum ein als Philosophisches, Unbewusstes belegt viel mehr Raum als Bewusstes. All das bildet unser Ich in der Gegenwart und verändert sich sekündlich. Das Buch beschreibt, wie sich unser Ich in den Denkschlaufen immer wieder selbst neu erfindet und verliert. Es bemerkt komischerweise selten jemand, dass mein Buch eine grundlegende Neuinterpretation unse­res Denk- und Identitätsbegriffes an­strebt. Es wäre mir auch peinlich, wenn das jemand bemerken würde. Egal. Nicht das Buch ist der Witz, son­dern wir. Es muss ja einen Grund ha­ben, warum so viele Leute dieses Buch lesen. Ich glaube, weil sie spüren: Das Buch ist eine Abbildung ihrer selbst. Und wenn nicht, dann eben die Abbil­dung von jemand anderem. Es ist ja auch wurscht.


Sie schreiben „Vielleicht hätten wir alle Bakterien bleiben sollen”. Gibt denn die Menschheit ein derart resig­nierendes Bild ab?
Nuhr: Zum Denken gehört auch das Impulsive dazu. Da sagt man schon mal Dinge, die nicht wirklich zu Ende gedacht sind. Ich glaube nicht, dass Bakterien besser leben als wir. Sie haben nicht mal ein funktionierendes System öffentlicher Verkehrsmittel, allerdings auch keinen Ehrgeiz voran­zukommen. Als Bakterie macht einem der Stau nichts aus. So hat alles seine Vorteile.

Zum Thema Resignation noch etwas offenkundig Autobiografisches aus dem Buch: „Morgens im Bad zu stehen, hat etwas Desillusionierendes. Wenn etwas schlechte Laune in das Leben der Menschheit gebracht hat, dann war es die Erfindung des Spie­gels.” So schlimm?
Nuhr: Sagen wir mal so: Fototer­mine mache ich nicht mehr vor 14 Uhr. Dann wird alles besser...

Eigentlich versuchen Sie ja, allem und jedem mit Humor zu begegnen. Und sich zum Optimismus zu zwin­gen. Selbst für eine Frohnatur ein schier übermenschlicher Kraftakt heutzutage, oder?
Nuhr: Heutzutage? Ehrlich gesagt, bin ich fest davon überzeugt, dass die Welt nie besser war als heutzutage. Niemals zuvor haben so viele Men­schen auf so hohem Lebensstandard gelebt wie heute, die Armut in der Welt hat sich in den letzten vierzig Jahren von 46 auf zwölf Prozent ver­ringert, die Kindersterblichkeit, die Lebenserwartung, Essen, Kleidung, medizinische Versorgung, Navisys­tem, Smartphone, vierlagiges Klopa­pier — alles besser als je zuvor. Einzige Verschlechterung: Die Anzahl der Me­dien hat zugenommen. Und damit die Anzahl derer, die uns mitteilen, wie scheiße alles ist.

„Der ultimative Ratgeber für alles“ war 79 Wochen auf den Bestsellerlis­ten. Und jetzt der nächste Streich. Ist es denn moralisch in Ordnung, seine Babies in einen derart brutalen Kon­kurrenzdruck zu zwingen?
Nuhr: Ich habe ja keinen Druck, ein bisschen vielleicht. Natürlich freue ich mich, wenn das, was ich tue, Erfolg hat. Aber ich freue mich auch an einem gewonnen Tennisspiel in der Bezirksklasse Z. Und wenn ich mal verliere, freue ich mich daran, dass ich dadurch erheblich mehr lerne als durch jedes gewonnene Spiel. Das neue Buch hat sich bereits noch mehr verkauft als das alte. Das sagt mir aber auch, dass es nicht immer so wei­tergehen kann. Irgendwann wird ein Buch weniger verkauft werden als das vorhergehende. Das ist mathematisch gar nicht anders möglich, wegen der begrenzten Zahl von alphabetisierten Deutschsprachigen. Trotzdem wird das frustrierend sein.

Ein perfekter Tag hat ja viel mit Glücklichsein zu tun. Aus diesem Blickwinkel: Wann war Ihr letzter (fast) perfekter Tag?
Nuhr: Morgen.
 

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