Digitale Medien: Kinder sollten das Abschalten lernen

25.4.2017, 14:37 Uhr
Digitale Medien: Kinder sollten das Abschalten lernen

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Unter Psychologen, Medienexperten oder Lehrern gibt es viele, die in den neuen Medien für Kinder vor allem eine Gefahr sehen. Der vielleicht bekannteste Vertreter ist Hirnforscher Manfred Spitzer von der Uniklinik Ulm. In seinen Büchern "Digitale Demenz" (2010) und "Cyberkrank!" (2015) spricht Spitzer davon, dass die ständige Nutzung von digitalen Medien die Gesundheit ruiniert. Vor allem für Kinder seien die Gefahren groß, so Spitzer. Denn ihre Gehirne seien noch im Wachstum und würden durch Online-Aktivitäten massiv in ihrer Entwicklung gestört.

Die radikale Kritik von Manfred Spitzer teilen die wenigsten Experten. Als "digitale Hysterie" bezeichnet dies beispielsweise der Psychotherapeut Georg Milzner. Hysterisch reagierten dabei Experten, die unter dem Deckmantel von Wissenschaft Behauptungen verbreiten, die nicht belegt sind. So werde aus Ängsten ein sich ausbreitender Panikmodus, der Eltern von Kindern entfremde: "Wenn Kinder heute die digitale Welt für sich entdecken, dann vollziehen sie im evolutionären Sinn eine Anpassungsleistung. Kinder müssen auf das vorbereitet werden, was ihre Zukunft sein wird."

Gezielte Enthaltsamkeit

Prof. Gerald Lembke rät: Es sollte also darum gehen, wieder das "Abschalten" zu erlernen und das "Anschalten" als Selbstverständlichkeit zu durchbrechen! Für alle gilt: Achtsamkeit und gezielte Enthaltsamkeit wirken sich positiv auf die eigene persönliche Entwicklung in jedem Alter aus und liefern im Alltag mehr Zufriedenheit und Glücksmomente.

Andrew Przybylski von der Universität Oxford und Netta Weinstein von der Universität Cardiff haben sogar herausgefunden, dass die Medienzeit das Wohlbefinden steigert. Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Erst wenn sie diese Zeitspanne überschritten haben, nehme das Wohlbefinden der Jugendlichen ab.

Die Frage, bis zu welchem Ausmaß der Alarmismus um krankmachende Medien begründet ist, lässt sich so einfach nicht beantworten. Auch der Begriff der Mediensucht ist stark umstritten. "Klar ist: Um von einer Sucht zu sprechen, müssen tatsächlich über einen längeren Zeitraum konkrete Symptome erfüllt sein: gesundheitliche, leistungsbezogene, soziale oder emotionale Probleme wie eine extreme gedankliche Fixierung oder depressive Reaktionen bei längerer Abstinenz. Für die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen gilt dies nicht in dieser extremen Weise oder aber nur phasenweise", so die Medienpsychologin Dr. Astrid Carolus.

So gehen die Wissenschaftler der Untersuchung "Always On" von der Universität Mainz davon aus, dass bloß 2,5 Prozent der Jugendlichen tatsächlich als internetsüchtig bezeichnet werden können. 14,8 Prozent der befragten 1800 Schüler im Alter zwischen elf und 17 gelten als gefährdet. Als süchtig werden dabei die Personen benannt, die bestimmte Kriterien, wie eine exzessive Nutzung, Kontrollverlust oder Entzugserscheinungen vorweisen. Im Umkehrschluss bedeuten die Befunde aber auch: Die Mehrheit der Jugendlichen haben ein gesundes Verhältnis zum Internet und ihrem Smartphone. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Verstehen statt verbieten

Entgegen dem verbreiteten Alarmismus ist der Anteil Jugendlicher mit exzessiver Mediennutzung relativ klein und die Phase ist oft vorübergehend. Dennoch ist das Phänomen ernst zu nehmen. So sind gesundheitliche Schäden möglich. Zudem kann eine exzessive Mediennutzung Anforderungen des Alltags und Entwicklungschancen beeinträchtigen sowie ein Hinweis auf persönliche Probleme oder eine soziale Isolation sein.

Oft beginnt eine extreme Mediennutzung nicht plötzlich. Hier sind Eltern gefragt, ihrem Kind zusätzlich zu den Medien ausreichend Zuwendung, Auseinandersetzung und Aktivitätsmöglichkeiten mit Familie und Freunden zu schaffen, um sich vielfältig zu erproben und eine kreative Freizeitgestaltung ihrer Kinder zu unterstützen.

Auf das Smartphone zu verzichten, wie Kritiker fordern, kommt nicht nur für Jugendliche nicht infrage. Medien sind Teil des Alltags, sie dienen dazu, über Neuigkeiten zu informieren und Kontakte zu pflegen. Auf diese Weise bereichern sie Freizeit, Bildung und Beruf. Statt sie zu verteufeln, sollten man darauf achten, sie kompetent zu nutzen.

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