Ein Handarbeitskurs im Reich der erogenen Zonen

13.12.2017, 07:59 Uhr
Ein Handarbeitskurs im Reich der erogenen Zonen

© Foto: Silvia Marks/dpa

Frau Fritz, wie viele Teilnehmerinnen sagen daheim, dass sie beim "Handarbeitsabend" waren?

Melanie Fritz: Ein Viertel, würde ich schätzen. Aber wenn eine Frau sonst nicht strickt und häkelt, kann sie schon in Erklärungsnot kommen. Und auch das Fläschchen Sekt führt vielleicht zur einen oder anderen kritische Nachfrage.

 

Scherz beiseite: Warum muss man so etwas Natürliches wie Sexualität in einem Kurs lernen?

Fritz: Es ist ein Mythos, dass man Sexualität "kann". Der Zeugungssex mag angeboren sein, aber die Feinheiten müssen wir lernen wie eine Sprache oder wie ein Instrument. Um ein Instrument gut zu spielen, übt man ja viel und lernt immer dazu. Bei der Sexualität ist es der Körper des Partners, den man zum Schwingen bringt und ihm neue Töne entlockt.

 

Was ist dabei das größte Missverständnis zwischen Männern und Frauen?

Ein Handarbeitskurs im Reich der erogenen Zonen

© Gabriele König

Fritz: Da fällt mir vieles ein. Ich bin mal provokant: Das erste Missverständnis ist, dass Männer immer Lust haben. Das zweite: Viele Frauen warten auf den Mann, der einfach weiß, wie sie funktioniert und was ihr gefällt. Vergebens natürlich. Und das dritte Missverständnis ist die Annahme, dass männliche und weibliche Sexualität ähnlich funktionieren.

 

Tun sie nicht? Und wie verhält es sich wirklich?

Fritz: Frauen brauchen beim Sex im Allgemeinen mehr Zeit, sie sind vielschichtiger und ihre Vorlieben individuell unterschiedlicher als die von Männern. Frauen sind auch nicht so Orgasmus-orientiert wie Männer, die ihre Sexualität auf den Höhepunkt als Ziel ausrichten.

 

Und was ist die größte Fehlannahme der Männer über sich selbst?

Fritz: Dass sie alles über Frauen wissen und sich anatomisch gut auskennen.

 

Das lernt man ja in der siebten Klasse mit Schema-Zeichnung . . .

Fritz: Was Schulen im Aufklärungsunterricht vermitteln, ist, wie Empfängnis funktioniert und – wenn es hochkommt – wie man ein Kondom benutzt. Die Jugendlichen lernen nichts über Körpervorgänge oder wie ich einen Menschen über Berührung erreiche.

Wenn sich bei den "Handarbeitsabenden" wildfremde Frauen gegenübersitzen: Ist das Sprechen über Sexualität nicht peinlich?

Fritz: Für mich überhaupt nicht. Es macht mir total Spaß, weil ich sehe, wie viele "Ahas" es in den Köpfen auslöst. Auch für die Frauen ist es nicht peinlich, denn es gibt einen Rahmen, der offen ist, aber nicht intim wird. Wichtig ist, dass die Frauen unter sich sind. Sie stellen hier Fragen, die sie sonst nicht stellen würden.

 

Was sind das für Frauen, die sich zum "Handarbeitsabend" anmelden?

Fritz: Von 18 bis . . . die Älteste war 76 Jahre. Ja, 76! Eine sexuell sehr aktive Frau, die schlicht neugierig war. Oft sind auch Frauen um die 60 dabei, die eine langjährige Ehe hinter sich haben und nun mit einem neuen Partner oder in einer Affäre etwas Neues ausprobieren und entdecken wollen.

 

Und was treibt sie an?

Fritz: Viele Frauen wünschen sich mehr Spaß am Sex, sie wollen ihre Fertigkeiten erweitern und auch erfahren: Was tut ihm gut? Wann tue ich ihm weh? Was gibt es noch? Gerade junge Frauen finden rein mechanisches Auf und Ab bei der Stimulation mit der Hand langweilig und eklig.

 

Was lernen die Frauen beim "Handarbeitsabend" mit Ihnen stattdessen?

Fritz: Es ist in erster Linie Aufklärungsarbeit über Berührung und den Kontakt beim Sex, sie erfahren aber auch etwas über die Anatomie des Mannes und wie man sexuelle Begegnungen gestalten kann.

 

Und ganz praktisch?

Fritz: Üben wir an Sekt-Fläschchen, die haben eine gewisse Ähnlichkeit. Ich demonstriere, wo beim Mann sensible Zonen sind, zeige wo die Partnerin fester zugreifen darf und wo sie vorsichtiger sein muss. Was man tun kann und was man nicht tun sollte.

Um Psychologie geht es gar nicht? Männer sind angeblich sehr empfindlich, wenn es um ihr bestes Stück geht . . .

Fritz: Sie meinen die Größe, die Form des Penis und die mehr oder weniger stabile Erektion? Das finde ich in der Tat für das Thema, das wir behandeln, erst einmal unwichtig. Es geht um emotionale und sexuelle Lust. Ich versuche, den Respekt davor und die Wertschätzung für alles, was da ist, zu vermitteln. Sexualität bedeutet ja, sich mit dem anderen in ein Boot zu setzen.

 

Um Ihr Bild aufzugreifen: Kann das Boot auch kentern?

Fritz: Na ja, Sexualität ist immer ein sehr komplexes Thema. Gerade bei Paaren, die schon lange zusammen sind, geht es nicht nur um Sex – sondern es spiegelt sich in der Sexualität die Beziehungsdynamik. Wenn die nicht mehr stimmt, ist Kentern eine Möglichkeit. Aber man kann gleichzeitig lernen: So kann ich schwimmen, falls wir kentern.

 

Welche Erfahrungen machen Frauen nach dem "Handarbeitsabend"?

Fritz: Am eindrücklichsten ist für mich, dass Frauen sagen, sie haben Spaß an der Handarbeit. Dass sie mit anderem Wissen und Selbstbewusstsein rangehen. Frauen, die in langen Partnerschaften leben, wo möglicherweise Sexualität schon lange nicht mehr aufregend ist, erzählen, dass der Kurs wie ein Türöffner funktioniert in Richtung Neugier und Neues ausprobieren. Sie berichten, dass die Fixierung auf den Orgasmus schwindet und dass das Genießen wichtiger wird – auf beiden Seiten.

 

Wie wichtig ist Technik und wie viel ist Gefühl?

Fritz: Bis die Teilnehmerinnen die verschiedenen Griffe kennen, macht die Technik bestimmt 50 Prozent aus. Je mehr die Grundtechniken verinnerlicht werden, desto wichtiger wird das Gefühl. Am Ende sind vielleicht zehn Prozent Technik und 90 Prozent Gefühl. Dazu kommt: Je vertrauter wir miteinander sind, desto mehr Feedback trauen wir uns zu.

 

Apropos Reden über Sex. Das fällt den meisten Menschen schwer, oder?

Fritz: Leider neigen wir zu negativem Feedback: nicht so, nicht da, nicht jetzt! So entsteht eine Nörgel-Frust-Spirale. Ich achte darauf, dass die sexuelle Kommunikation positiv ist. Dabei ist zum Beispiel wichtig, nicht zu fragen: Gefällt’s dir? Sondern lieber etwas auszuprobieren, mit mehr oder weniger Druck oder Tempo, und dann zu fragen: Ist dir das so lieber oder so? Es geht darum, gemeinsam dem nahezukommen, was der oder die andere wünscht oder braucht. Gerade Männer sind oft verunsichert: Sie wollen der Frau geben, was sie mag – aber Frauen können das oft nicht so konkret sagen.

 

Bieten Sie dann für Männer auch etwas an?

Fritz: Für Männer gibt’s die "Handwerkerabende", meist in kleineren Gruppen. Es geht um weibliche Anatomie und darum, was Frauen an Berührung wollen, welche Frauentypen es gibt und so weiter. Wir benutzen hier Silikonmodelle fürs Äußere und ich kläre über die innere Anatomie auf, die G-Fläche und den A-Punkt und wie Mann mit seiner Partnerin erforschen kann, welche Bewegung für sie angenehm ist.

 

Und wenn der Abend zu Ende ist, sind die Männer wild aufs Ausprobieren?

Fritz: Viele sagen, das wusste ich gar nicht. Das ist so viel Neues, das muss ich erst verdauen. Und mich dann Stück für Stück rantasten.

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