Ein Hort des Vergnügens: die Luitpoldstraße

26.9.2017, 17:59 Uhr
Jakob Kerzinger ließ 1912 die Architektur seines Kaffeehauses für sich sprechen. Wer konnte dem Charme des malerischen Eckhauses im Nürnberger Stil schon widerstehen?

© unbekannt (Sammlung Boris Leuthold) Jakob Kerzinger ließ 1912 die Architektur seines Kaffeehauses für sich sprechen. Wer konnte dem Charme des malerischen Eckhauses im Nürnberger Stil schon widerstehen?

Luitpoldstraße! Für viele Nürnbergerinnen und Nürnberger ist sie gleichbedeutend mit Feiern-bis-der-Arzt-kommt und – sagen wir – gesellschaftlich weniger gelittenen Vergnügungen. Dass die Straße in den 1890er Jahren ausgerechnet durch den Garten des früheren Klaraklosters trassiert wurde, ist eine Ironie der Stadtgeschichte.

Im Sinne ihres Namenspatrons, des bayerischen Prinzregenten Luitpold, der ein leidenschaftlicher Förderer der Kunst war, kamen bei der Randbebauung der Straße einige der besten Architekten der Stadt zum Zuge, darunter Georg Richter, Emil Hecht und das Büro Peringer & Rogler.

Die Eigentümer der Cafés, Hotels und Tanzlokale investierten Unsummen, um mit ihren Hausfassaden und Interieurs im Jugendstil, Neubarock und Nürnberger Stil um die Gunst der Gäste zu werben.

1898 erbaute das Büro Ochsenmayer & Wißmüller in der Luitpoldstraße 3-5 einen der ersten Vergnügungstempel: Das "Hotel Luitpold" bot neben Logis ein Café, ein Restaurant und die "Luitpold-Lichtspiele" (später "Rex"), denen der Volksmund den Kurznamen "Lu-Li" verpasste. Später firmierte die Hausgastronomie unter den Namen "Wintergarten" – wegen des mit einem Glasdach überfangenen Innenhofes – und "Königin Bar".

Noch heute trägt das kriegsversehrte ehemalige „Kerzinger“ – 72 Jahre nach Ende des Krieges – sein Notdach (rechts). Die Fassaden hingegen versprühen nach wie vor den Charme der Jahrhundertwende.

Noch heute trägt das kriegsversehrte ehemalige „Kerzinger“ – 72 Jahre nach Ende des Krieges – sein Notdach (rechts). Die Fassaden hingegen versprühen nach wie vor den Charme der Jahrhundertwende. © Boris Leuthold

Bauherr war ein gewisser Johann Christoph Gehrling, der nach damaligem Verständnis einiges auf dem Kerbholz hatte: Er war wegen "unerlaubter Abhaltung einer öffentlichen Tanzmusik" oder der "Übertretung der Polizeistunde" vorbestraft! Lange hielt es ihn nicht im "Luitpold"; schon 1899 übernahmen die Gebrüder Geismann aus Fürth die Regie.

Etwas betulicher ging es in Etablissements wie dem "Neptun" (Nr. 8) mit lauschigem Gärtlein zur Klaragasse, dem "Hitzler" (Nr. 10), dem "Habsburg" (Königstraße 72) und dem "Kerzinger" im Eckhaus Luitpoldstraße 16 zu, das Inhaber Jakob Kerzinger als "modernes bestventiliertes Familien-Café" bewarb.

Während die Gast- und Hotelräume mit Einrichtung im Spätjugendstil aufwarteten, präsentierten sich die Fassaden des 1897 bis 1898 von Georg Richter erbauten Hauses im lokalpatriotischen Nürnberger Stil.

Nach der Renovierung im Geiste der Goldenen Zwanziger wartet die Tanzfläche der „Königin Bar“ auf feierwütige Gäste – und die kamen reichlich.

Nach der Renovierung im Geiste der Goldenen Zwanziger wartet die Tanzfläche der „Königin Bar“ auf feierwütige Gäste – und die kamen reichlich. © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Als Anfang der 1920er Jahre die "Dielen", eine Mischung aus Café und Tanzbar, aufkamen, etablierte sich in der Luitpoldstraße 17 die "Tzatschewa-Diele". Gemälde von Albert Maurer, die den deutsch-bulgarischen Stummfilmstar Manja Tzatschewa in verschiedenen Rollen zeigten, zierten den Gastraum. Auch einige der anderen Vergnügungsbetriebe rüsteten auf: Die "Königin Bar" etwa erhielt 1927 durch die Architekten Hans und Otto Ebert und den Bildhauer Andresen eine Neuausstattung im Stil des Expressionismus.

Im Zweiten Weltkrieg donnerten die Bomben auf die Luitpoldstraße nieder. Bedenkt man, wie enorm die Schäden gerade in der Nürnberger Altstadt waren, grenzt es an ein Wunder, dass so viele Prachtbauten die Katastrophe überstanden. Nach dem Krieg gelang es dem Evergreen "Café Kerzinger", sich völlig neu zu erfinden.

Hier geht was! Mögen die einmontierten Passanten, die Pferdekutsche und das Automobil auch etwas naiv wirken – um 1900 steppte vor und im „Hotel Luitpold“ der Bär.

Hier geht was! Mögen die einmontierten Passanten, die Pferdekutsche und das Automobil auch etwas naiv wirken – um 1900 steppte vor und im „Hotel Luitpold“ der Bär. © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Der im Bombenhagel ruinierten Dachlandschaft verpasste man ein Notdach, das als Kuriosum bis heute erhalten ist. Das Innere wurde komplett umgemodelt und zeigte sich in den 1950er Jahren in den schrillsten Formen der Rockabilly-Ära mit mehrfarbigen Linoleumböden, Cocktailsesseln, Fliesenmosaiken und nierenförmigen Wandspiegeln.

Der "Tzatschewa-Diele" und der "Königin Bar" war weniger Glück beschieden. Bomben vernichteten die malerischen Bauten. Doch schon 1948 begann der Wiederaufbau der "Königin Bar" und der "Lu-Li" durch das Berliner Architekturbüro Ackermann & Wolfenstein, und für mehrere Jahrzehnte waren sie auch wieder ein Magnet des Nürnberger Nachtlebens mit Tanz, Live-Musik und edlen Cocktails von Barkeeper Stefan.

Eine besondere Attraktion der "Lu-Li" war eine Rutsche, über die man in die Tanzbar "Gärtla" im Souterrain sausen konnte. Doch auch das konnte nicht verhindern, dass das Haus in den 1970er Jahren geschlossen und schließlich für den Bau des Neuen Museums abgebrochen wurde.

Nach der Renovierung im Geiste der Goldenen Zwanziger wartet die Tanzfläche der „Königin Bar“ auf feierwütige Gäste – und die kamen reichlich.

Nach der Renovierung im Geiste der Goldenen Zwanziger wartet die Tanzfläche der „Königin Bar“ auf feierwütige Gäste – und die kamen reichlich. © Boris Leuthold

Ganz in der Nähe der "Lu-Li" in der Luitpoldstraße 11 eröffnete nach dem Krieg ein weiteres Lichtspielhaus, das "City-Kino", das 1955 mit dem Film "Die Frau vom Fluß" mit Sophia Loren Premiere feierte. Auch diese Institution musste 1975 ihre Pforten schließen.

Damals verdrängten andere Lustbarkeiten die Cafés und Bars – die ersten Peepshows, Sexshops und Porno-Kinos eröffneten. Ihnen wiederum grub das Internet die Kunden ab. Zurück blieb ein verlotterter Straßenzug, der nurmehr ein Abglanz seiner einstigen Pracht war. Die Ladeneinbauten der späteren Nachkriegszeit, die man erbarmungslos in die Erdgeschosse der Häuser hineingeschlagen hat, trugen ihren Teil zu der Tristesse bei.

Seit kurzem aber kommt Bewegung in die Luitpoldstraße – kaum ein Haus, vor dem kein Baugerüst steht und in dem keine Handwerker zugange sind. In die Nr. 13 – einst "Hans-Sachs-Diele", dann Tabledance-Bar und zuletzt Club – soll nach dem Willen der Brauerei Gutmann Gastronomie einziehen (die NZ berichtete), und im früheren "Habsburg" an der Königstraße eröffnet Sternekoch Alexander Herrmann ein neues Restaurant. Nürnbergs Partymeile erhält eine Rundumerneuerung, auch wenn die "neue" Luitpoldstraße vielen Feierwütigen in Zukunft vielleicht zu zahm sein wird.

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