Einwandererstadt Nürnberg: Wo welche Migranten leben

21.9.2016, 05:58 Uhr
Ende Oktober 1961 kamen die ersten Gastarbeiter aus der Türkei nach München und im Anschluss auch nach Nürnberg.

© dpa Ende Oktober 1961 kamen die ersten Gastarbeiter aus der Türkei nach München und im Anschluss auch nach Nürnberg.

Nürnberg ist durch seine in Westeuropa relativ zentrale, geographische Lage privilegiert. Sie bot sich an für den Handel von Nord nach Süd und von Ost nach West. So ist es nicht verwunderlich, dass die Noris im Mittelalter Kreuzungspunkt der Handelsstraßen nach Venedig und nach Prag war.

Religion und Handwerk als Zuzugsfaktoren

Zwei Faktoren waren für die Zuwanderung nach Nürnberg entscheidend: Zum einen die Religion, der Protestantismus, und Nürnbergs Ruf als Handels- und Handwerkerstadt. Während im 15. und 16. Jahrhundert Kaufleute aus Italien, den Niederlanden und Schlesien hier erste Handelsgesellschaften gründeten, war Nürnberg auch bei Handwerkern beliebt. So kamen auf Initiative des Stadtrates 1488 zum Beispiel schwäbische Barchentweber und niederländische Atlasweber nach Nürnberg. Doch auch Handwerker und Händler, die vor Repressalien in anderen Ländern geflüchtet waren,  zog es nach Nürnberg. Sie brachten neue Handwerks- und Handelszweige in die Stadt, von denen die Stadt profitierte. So kam zum Beispiel der Goldschmied Albrecht Dürer der Ältere, der Vater des berühmten Malers, aus Ungarn nach Nürnberg.

Ein weiterer Grund für die Anziehungskraft Nürnbergs war die Religion. Die protestantische Metropole zog Religionsflüchtlinge aus den Niederlanden, Hugenotten aus Frankreich und Exulanten aus Österreich an. Auch wenn von diesen Flüchtlingen viele nur auf der Durchreise waren, so blieben einige doch da und fanden Arbeit und Berufe.

Mit dem Adler beginnt die Industriealisierung

Die erste Fahrt des Adlers 1835 markierte den Beginn der Industrialisierung in Deutschland - ein Zeitalter im Takt der Dampfmaschine. Es ist kein Zufall, dass die erste Eisenbahn Deutschlands von Nürnberg nach Fürth fuhr. Protestanten waren von jeher dem Handel zugeneigt, wies doch ein florierendes Auskommen im Diesseits auf die Gnade Gottes hin. So wurde auch ausländisches Know-how gerne in der Stadt begrüßt, auswärtige Firmengründer hatten es leicht.

In den neuen Fabriken, wie der Cramer-Klett'schen Maschinenfabrik, einem Vorläufer der MAN, wurden viele ungelernte Arbeitskräfte gebraucht. Das zog Menschen aus dem Umland an, aber auch von weiter her. Dies brachte aber auch eine konfessionelle Umwälzung mit sich, denn viele Katholiken aus der Oberpfalz oder anderen Gebieten kamen nach Nürnberg.

Der Zweite Weltkrieg bildete eine Zäsur, die Stadt war zerstört und entvölkert, viele Einwohner in das Umland geflohen.


Die Karte zeigt den häufigsten Migrationshintergrund nach Stadtvierteln. Für den zweithäufigsten Migrationshintergrund im Bedienfeld oben rechts die zweite Karten-Ebene an und die erste abwählen.

Visualisierung: Viola Bernlocher, Daten: Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth, 31.12.2015.

Und es kam eine weitere Zuwanderergruppe nach Nürnberg. Bayern nahm einen großen Teil der Heimatvertriebenen aus Schlesien, dem Sudetenland und anderen Gebieten auf, auch in Nürnberg gab es große Flüchtlingslager. Anders als anderswo fanden die Vertriebenen hier in den vielen Industriebetrieben schnell Arbeit, da sie in ihrer vorherigen Heimat auch oft in Berufen gearbeitet hatten, die im Industriebereich angesiedelt waren, wie Steven M. Zahlaus in seinem Beitrag zum Buch "Dageblieben! - Zuwanderung nach Nürnberg gestern und heute" schreibt.

Dies zeigte sich auch in hohen Beschäftigungszahlen: 1949 betrug die Arbeitslosenquote bei Flüchtlingen und Heimatvertriebenen nur 9,1 Prozent, während es bayernweit in dieser Bevölkerungsgruppe 39,9 Prozent waren. 1961 sind fast 20 Prozent der Einwohner Nürnbergs Aussiedler, wie ein Blick auf die Einwohnerstatistik dieses Jahres zeigt.

Doch die Folgen des Krieges zeigen sich auch in den 1950er Jahren nach wie vor durch geburtenschwache Jahrgänge und einen Mangel an Arbeitskräften. 1955 schließt die BRD deshalb das erste Gastarbeiter-Anwerbeabkommen mit Italien. Bis 1973 kommen Menschen aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Tunesien, Marokko und aus Jugoslawien.

Als klar wird, dass ihr Aufenthalt nicht nur von kurzer Dauer ist, holen viele ihre Ehepartner und Kinder nach oder vermitteln Familienangehörige ohne Job an ihre Arbeitgeber. Dies zeigt sich auch heute noch: Rund 14,5 Prozent der Migranten haben einen türkischen Migrationshintergrund.

Daten: Amt für Statistik und Stadtforschung für Nürnberg und Fürth

Barbara Lux-Henseler, stellvertretende Leiterin des Amts für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth, sieht die Zuwanderungsbewegungen in Nürnberg als ein gesamtdeutsches Phänomen. 2013 hatten 37,7 Prozent der Nürnberger (je nach Rechnung) einen Migrationshintergrund, damit liegt Nürnberg auf Platz zwei der deutschen Großstädte nach Frankfurt am Main. Dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Nürnberg so hoch ist, liege auch an der industriellen Vergangenheit Nürnbergs und einem höhren Bedarf an Gastarbeitern.

Auch andere Einwanderungswellen zeigen sich in der Zusammensetzung der Nürnberger Bevölkerung und an den Geburtsorten. Spätaussiedler aus Russland, Rumänien und Kasachstan kamen in den 1990er Jahren nach Deutschland. Besonders in Langwasser stellen Menschen mit einem russischen Migrationshintergrund die größte Gruppe der Migranten im Viertel. In dieser Gruppe sind viele Spätaussiedler statistisch erfasst, da sie aus diesen Gebieten nach Deutschland gekommen sind.

Weltpolitik zeigt sich in der Sozialgeographie

Auch Flüchtlinge aus Krisenherden der Welt kommen nach Deutschland und nach Nürnberg. In Schafhof etwa zeigt sich das daran, dass hier besonders viele Menschen aus dem Irak leben. Mit der EU-Osterweiterung 2004 kamen viele Rumänen und Polen nach Nürnberg, um hier Arbeit zu suchen.

Auch die griechische Community in Nürnberg ist groß. Barbara Lux-Henseler sieht einen Grund darin, dass Migranten an Orte ziehen, wo ihre Landsleute bereits leben. Dies zeigte sich auch in der jüngeren Vergangenheit, während der Finanzkrise wuchs die griechische Community noch einmal stärker.

Interessant ist hier zu beobachten, dass in den innenstadtnäheren Stadtteilen vor allem Türken die stärkste Migrantengruppe stellen, während in den neueren Bezirken an der Peripherie der Stadt, wie in Langwasser oder Röthenbach, Migrantengruppen dominieren, die zu einem späteren Zeitpunkt nach Deutschland gekommen sind.

Dies liege nach Meinung von Barbara Lux-Henseler daran, dass Migranten zunächst in Stadtteile ziehen, wo Wohnen kostengünstig möglich ist, wie das in den 1960er Jahren und auch lange danach noch in Gostenhof möglich war und wo Wohnraum überhaupt verfügbar war. Als zum Beispiel viele Spätaussiedler nach Nürnberg kamen, war das oft nur noch in Randbezirken der Fall, wie in Langwasser. Und wo sich schon einige Migranten angesiedelt haben, etabliere sich dann schnell auch eine größere Community, erklärt Lux-Henseler.

Für die Zukunft erwartet Barbara Lux-Henseler vor allem den Zuzug neuer Migranten aus den aktuellen Krisenherden der Welt, sei das nun Syrien, Afghanistan oder Somalia.

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Freizügig: Immer mehr Nürnberger zieht es aufs Land.

Zu- und Fortzüge nach und von Nürnberg sind in dieser Karte dokumentiert.

Zugezogen: Wo kommen Nürnbergs Bürger her? Eine Karte zeigt die Geburtststädte der Neubürger.

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