Erste Hilfe im dichten Behördendschungel

7.6.2017, 07:59 Uhr
Erste Hilfe im dichten Behördendschungel

© Foto: privat/PR

Frau Ensinger, wenn amtliche Formulare ausgefüllt werden müssen, raufen sich sogar Akademiker die Haare. Warum tun Sie das freiwillig?

Rita Ensinger: Weil ich’s kann und Spaß daran habe, eine Lösung zu finden. Und ich freue mich, wenn ich helfen kann. Auch wenn selbst ich nicht immer durchblicke: Ich weiß, an wen ich mich wenden kann. Viele Anregungen hole ich mir aus der Zeitung, die ich jeden Früh von vorn bis hinten durchlese. Vor kurzem habe ich die Adresse einer Nürnberger Vermittlungsstelle für Auslandsaufenthalte gefunden und einem jungen Mann weitergeben können, der das gern machen möchte.

 

Wenn Menschen im Behördendschungel scheitern: Woran hakt es am häufigsten?

Ensinger: Es hakt oft daran, dass Menschen die Strukturen nicht kennen. Für ihr Problem müssen sie häufig an mehreren Stellen Anträge stellen. Sozialamt, Jobcenter, Wohnungsamt, Kindergeldstelle bei der Familienkasse . . . Sie sagen dann: Ich habe doch schon alles geschickt. Viele Alleinerziehende sind entnervt, wenn die Väter nicht zahlen. Sie müssen aber das Geld verlangen, das verlangt das Amt. Die Mütter und Väter müssen wichtige Unterlagen und Kontoauszüge beibringen, damit der Unterhalt ausgerechnet werden kann – und in ein paar Monaten vielleicht alles von vorn. Denn vielleicht hat der Vater schon wieder Arbeit, oder er hat eine andere. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist es noch komplizierter. Für manches ist das Ausländeramt zuständig, für anderes die Regierung von Mittelfranken. Meine Erfahrung ist, dass man auch geduldig sein muss.

 

Fragen Sie sich nie, ob das so kompliziert sein muss?

Ensinger: Die Behörde kann nichts dafür, die Leute wollen schließlich etwas von ihr. Ich habe viel Verständnis für die Mitarbeiter. Sie kochen auch nur mit Wasser und müssen Gesetzesvorgaben erfüllen. Aber wenn jemand sagt, die Empfänger von Hartz IV und anderen Leistungen liegen nur auf der faulen Haut, dann täuscht er sich. Die Leute müssen alle paar Wochen Nachweise erbringen.

 

Und schon sitzen sie wieder bei Ihnen in der Beratung?

Ensinger: Ich versuche, die Menschen auch zu schulen. Sie müssen sich einen Ordner anlegen, darin enthalten zum Beispiel Unterteilungen für Krankenkasse, Jobcenter und Ausländeramt. Wenn Sie einen Antrag stellen, sollen sie ihn kopieren, und versuchen, sich beim nächsten Mal selbst durchzuhangeln.

 

Wer kommt denn hauptsächlich zu Ihnen?

Ensinger: Es gibt viele Menschen, die keinen Brief schreiben können. Nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern Deutsche von Geburt – das ist sehr bedauerlich. Meine Haltung ist: Du willst was, also tu was! Aber ich kann doch einer alten Dame nicht sagen, machen Sie mal schön selbst. Natürlich bin ich behilflich. Vor kurzem war eine Frau da, die hat ihre Mutter jetzt im Altersheim. Da ist unglaublich viel Papierkram zu erledigen. Und es gibt natürlich unter den Ausländern auch manche Analphabeten.

 

Erleben Sie auch kuriose Situationen?

Ensinger: Ich hatte mal zwei Familien in der Beratung, die waren früher einmal befreundet, dann aber völlig zerstritten. Ich habe sie an eine Mediationsstelle der Stadt verwiesen, die vermitteln sollte. Diese hat aber schnell aufgegeben: Die Familien würden in zwei Filmen leben . . . Das war einigermaßen kurios. Lustig ist es meistens gar nicht. Die Menschen, die zu mir kommen, haben einen großen Leidensdruck und existenzielle Not. Es geht nicht immer nur um Geld, sondern auch um Arbeit oder andere Probleme.

 

Wie zum Beispiel?

Ensinger: Vor kurzem hatte ich zwei junge Männer aus dem Irak, die hatten dort studiert und wollten hier weitermachen. Sie müssen ihre Zeugnisse anerkennen lassen und brauchen dazu vorher einen amtlichen Übersetzer, können sich zudem bei einer bestimmten Plattform registrieren lassen. Das waren zwei, die sofort das gemacht haben, was man ihnen vorgeschlagen hat, und als sie wiederkamen, war es erledigt. Ich bin sicher, sie haben sich bei der Technischen Hochschule schon eingeschrieben und das Semester läuft.

 

Sie sagen, dass Ihr Rat nicht von allen befolgt wird. Warum ist das so schwierig?

Ensinger: Zum Teil sind Menschen psychisch nicht in der Lage, das umzusetzen. Ich erinnere mich an eine Afrikanerin, sie war schon zwölf Jahre hier und konnte ganz wenig Deutsch. Wie kann das sein, habe ich ihren Arzt gefragt. Sie war Kindersoldatin, hat er verraten, "sie kann nicht mehr lernen, ihr Kopf ist kaputt." Ich bin viel milder geworden seitdem.

 

Wie viel Zeit nehmen Sie sich für eine Beratung?

Ensinger: Das kommt darauf an, wie groß der Andrang ist. Manchmal kann ich nur kurz etwas anreißen und muss dann einen weiteren Termin ausmachen. Ich möchte keine Nullachtfünfzehn-Beratung machen.

 

Gehen Sie auch mit aufs Amt?

Ensinger: Nur in Ausnahmefällen und wenn ich jemanden schon lange kenne.

 

Vor einigen Jahren haben die Behörden verschiedene Initiativen gestartet, um Behördendeutsch verständlich zu machen. Formulare sollten leichter zu begreifen sein. Hat das gefruchtet?

Ensinger: Es gibt ein paar Prospekte und im Internet wird "leichtes Deutsch" als Alternative angeboten. Das kann helfen. Aber ich sehe natürlich auch Formulare, da muss ich nachfragen: Was bedeutet das? Was wollen die? Mein Vorteil ist, dass ich klar sagen kann, was ich wissen möchte. Und dass ich als Außenstehende Distanz habe, das nimmt Wind aus der Sache.

 

Was ist Ihre Erfahrung mit den Behörden?

Ensinger: In der Regel komme ich sehr gut mit Ämtern aus. Und wenn, wie kürzlich, ein Ausländer sagt "Scheiß-Sozialamt", kann ich richtig sauer werden. "Lieber Mann, in Ihrer Heimat gibt es kein Sozialamt", habe ich geantwortet. Sicher sind die Behördenwege oft lang und kompliziert, aber dafür haben wir den Sozialstaat – den wir über unsere Steuern finanzieren.

 

Können Sie den Lesern drei praktische Tipps geben, wie sie selbst im Formularkrieg gewinnen können?

Ensinger: Das Erste ist: Schauen Sie sich den Brief und das Formular genau an. Um was geht es eigentlich? Suchen Sie sich dazu die notwendigen Unterlagen. Beim Kindergeld beispielsweise gibt es eine Nummer, die muss das Amt haben. Nicht zu vergessen: Gibt es eine Frist, die eingehalten werden muss? Das Zweite ist: Legen Sie sich einen Ordner an. Unterteilen Sie ihn nach Themen, heften Sie alle Schreiben ab – immer mit dem neuesten Datum obenauf. Drittens: Machen Sie sich eine Kopie von jedem ausgefüllten Antrag oder Formular. Die können Sie möglicherweise beim nächsten Antrag als Vorlage benutzen.

Kontakt: Formalitäten – Unterstützung und Rat, montags 10 bis 12 Uhr (nicht in den Schulferien), Kulturladen Zeltnerschloss, Gleißhammerstraße 6, Anmeldung unter Telefon (09 11) 47 29 45.

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