„Es gibt halt auch mal eine schlechte Zeit“

24.11.2010, 20:03 Uhr
„Es gibt halt auch mal eine schlechte Zeit“

© Karlheinz Daut

Wer rund um den ausgeweideten Koloss arbeitet oder wohnt, blickt auf leere Schaufenster und zugeklebte Läden, die aussehen wie unerwünschte Pakete, die niemand öffnen mag. Begüm ist zehn und wohnt in der Adam-Klein-Straße, jeden Tag geht sie am Quelle-Komplex vorüber. „Schade, dass man da nicht mehr all die schönen Sachen kaufen kann“, sagt sie. Der schlafende Steinriese, in den nur tagsüber die Kinder und Lehrer des Jenaplan-Gymnasiums etwas Bewegung bringen, mache ihr spät am Tag Angst. „Früher gab es auch abends Lichter in den Büros, jetzt ist alles dunkel und unheimlich.“

Noch 800 Quelle-Leute sind ein Jahr nach dem endgültigen Aus ohne Job. Ihre Büropflanzen, Fotos und Listen mit wichtigen Telefonnummern an den Pinnwänden haben viele zurückgelassen. Wer drinnen im Labyrinth aus Arbeitshallen, grauen Gängen und Büros herumläuft, stößt plötzlich in einem Flur auf einen verstaubten Gummibaum und Zimmerpalmen-Dschungel, der nur dank Hydrokultur-Kügelchen noch knapp am Leben ist.

Neben Bürotüren hängen weiterhin die Namensschilder, in der Kantine steht dreckiges Geschirr auf dem Laufband. Der Koch hat augenscheinlich seinen letzten Arbeitstag in aller Eile beendet, seine Kaffeetasse steht auf der Kalender-unterlage seines Schreibtischs, ein Buch mit Rezepten für Süßkram ließ er achtlos zurück. Eine Jacke auch.

„Es gibt halt auch mal eine schlechte Zeit“

© Karlheinz Daut

Dass es Quelle, diesen Arbeitgeber, der seinen Leuten jahrzehntelang einen privatwirtschaftlichen Beamtenstatus versprach, nicht mehr gibt, können auch einige Kunden immer noch nicht begreifen. „Gestern war erst wieder eine Frau da, die wollte ins Kaufhaus, weil sie dachte, dass es den 2.Wahl-Verkauf noch gibt“, erzählt Sonja Danner. Sie verkauft Currywürste in dem kleinen Stand unweit des früheren Haupteingangs. Montag bis Freitag von 9 bis 14 Uhr, länger lohne es sich nicht mehr.

Die Holzbude gehöre einem Schausteller, der sich den Luxus eines heißen Grills vor leerer Kulisse nur leiste, weil ihm für das Frühjahr neue Mieter im Kaufhaus angekündigt worden seien. Die Bierbänke liegen auf den Tischen, aufstellen lohnt sich kaum. Ein paar Schüler, ein paar Stammgäste, die in der Nähe arbeiten oder wohnen – nur wenige lassen ein paar Euro am Wurststand. Aber immer wieder wollen sie darüber sprechen, wie es hier weitergeht, erzählt Danner, die fünf Stunden am Stück auf den leeren Tabakladen und die verklebten Scheiben der ehemaligen Noris-Bank guckt. „Es gibt halt auch mal eine schlechte Zeit, da kann man nicht einfach fliehen“, sagt sie fast kämpferisch zum Abschied.

„Es gibt halt auch mal eine schlechte Zeit“

© Ute Möller

Apollo-Optik, Reisebüro und Café – sie halten neben dem Wurststand die Stellung. „Die Stammkunden bleiben uns nur deshalb, weil sie an uns, am Personal, hängen“, sagt eine Verkäuferin. Ungemütlich, trostlos, tote Hose – sie findet viele Worte, um zu beschreiben, wie sie das Arbeiten hier erlebt. Man hätte doch wenigstens das Kaufhaus ordentlich ausräumen können, meint sie. Vielleicht glaubt sie, dass mit Ordnung und Sauberkeit die traurige Stimmung wegzuputzen wäre.

Schichtarbeit in der Korrespondenz-Abteilung in den 50er Jahren, als die Familie dringend das Zubrot brauchte; günstiges Einkaufen mit Personalschein; der Slogan „Erst mal sehen, was Quelle hat“: Der Seniorin, die früher in der benachbarten Hasstraße gewohnt hat, fällt all dieses ein, wenn sie am Personaleingang vorbeigeht. Ja, sie werde wehmütig beim Blick aufs Quelle-Versandzentrum, fügt die Dame am Gehstock hinzu.

Dass Amare Krempl drastischere Worte findet, liegt in der Natur der Sache. 28 Jahre arbeitete sie für Quelle, die meiste Zeit davon in der Hauptbuchhaltung in Fürth. Doch wohnen tut sie in der Wandererstraße, aus ihrem Wohnzimmer schaut sie täglich auf die Quelle-Pforte.

„Es gibt halt auch mal eine schlechte Zeit“

© Ute Möller

Eine neue Stelle hat sie noch nicht gefunden, für ein paar Wochen half sie in einem Betrieb aus. Es gebe zu viel Zeitarbeit, „aber was soll ich machen?“. Wie eine „tote Stadt“ liege Quelle vor ihrer Haustür. Verzweifelt sei sie mitunter, weil sie doch nicht dafür gemacht sei, nur zu Hause zu sitzen und mit Erinnerungen zu ringen. In der Wandererstraße wohnen einige frühere Quelle-Mitarbeiter, man rede aber nicht mehr viel miteinander, sagt Krempl. Keiner wolle dem anderen wehtun, wenn er zum x-ten Mal fragt, ob endlich ein neuer Job in Sicht ist. Man schweige lieber oder sagt: „Es geht schon.“ Auch wenn das so gar nicht der Fall ist.