Experte klärt auf: Nicht jeder Wolf ist ein Wolf

11.4.2018, 05:55 Uhr
Bei schlechten Sichtverhältnissen kann man auch einen großen Hund mit einem richtigen Wolf verwechseln.

© Alexander Heinl/dpa Bei schlechten Sichtverhältnissen kann man auch einen großen Hund mit einem richtigen Wolf verwechseln.

Herr Dr. Joswig, in den vergangenen Monaten sorgte eine Vielzahl von angeblichen Wolfssichtungen im Freistaat für Aufregung. Beim jüngsten Fall in unserer Region will ein Autofahrer in der Fränkischen Schweiz gleich fünf Tiere im Scheinwerferkegel seines Wagens gesehen haben. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass diesem Augenzeugen tatsächlich ein Wolfsrudel über den Weg gelaufen ist?

Walter Joswig: Wir wissen, dass im Veldensteiner Forst ein Wolfspaar lebt. Dafür gibt es zahlreiche Hinweise und auch Nachweise. Ein Rudel aus fünf Tieren in dieser Region halte ich dagegen anhand der bestehenden Erkenntnisse für unwahrscheinlich.

Sie haben angesichts der vielen unbestätigten und auch irrtümlichen Sichtungen schon einmal von einer "wundersamen Wolfsvermehrung in Bayern" gesprochen. Kann man Wölfe und bestimmte Hunderassen tatsächlich so schwer auseinanderhalten?

Joswig: Bei bestimmten Hunderassen ist das tatsächlich so. Beispielsweise wurden die Tschechischen Wolfshunde so gezüchtet, dass sie Wölfen sehr ähnlich sehen. Besonders bei schlechten Lichtverhältnissen kann es auch bei anderen Hunden, denken Sie nur an Huskys oder Schäferhunde, zu Verwechslungen kommen.

Ihre Behörde bekommt es hin und wieder ja auch mit Fake News zu tun. Aufnahmen von Wölfen, die irgendwo anders auf der Welt aufgenommen wurden, oder Fotos, in die per Photoshop ein Wolf montiert wurde. Was treibt Ihrer Erfahrung nach die Urheber solcher gezielten Falschmeldungen an, und wie kommen Sie diesen Fälschern auf die Schliche?

Joswig: Wenn uns ein Bild oder eine Videosequenz verdächtig vorkommt, etwa weil die Landschaft nicht nach Bayern passt, speisen wir es zur Überprüfung in unser europäisches Netzwerk ein. Meist handelt es sich um Originalaufnahmen aus anderen Regionen. Über entsprechende Rückmeldungen bekommen wir dann die richtige Verortung, oft Niedersachsen, Brandenburg, oder auch schon mal Slowenien. Was die Urheber solcher Fake News antreibt, darüber will ich nicht spekulieren. Da ist ein Psychologe mit Sicherheit ein kompetenterer Ansprechpartner als ich.

Manche Jäger behaupten auch, Pfotenabdrücke von Wölfen in ihren Revieren entdeckt zu haben. Wie kann man solche Spuren eindeutig identifizieren, oder ist das in manchen Fällen nur Jägerlatein?

Joswig: Es ist so gut wie unmöglich, anhand einzelner Pfotenabdrücke einen Wolf von einem gleich großen Hund zu unterscheiden. Anhand des Spurverlaufs gelingt das schon eher: Ein Wolf läuft im sogenannten "geschnürten Trab", die Abdrücke liegen dann auf einer Linie. Es gibt aber auch Hunde, die das können. Um einen Spurverlauf sicher einem Wolf zuordnen zu können, braucht man deshalb sehr viel Erfahrung.

Bislang sind in Bayern in drei Regionen zweifelsfrei sogenannte standorttreue Wölfe nachgewiesen worden, im Grenzgebiet Bayerischer Wald/Böhmerwald, auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr und im Veldensteiner Forst. Welche Kriterien müssen erfüllt sein, dass Ihre Behörde weitere Wölfe fest in die Wolfsmonitoring-Datenbank aufnimmt?

Joswig: Wir gehen allen Hinweisen nach. Erstnachweise werden veröffentlicht und zusätzlich auf unserer Monitoringseite im Internet eingestellt. Wenn ein Wolf sich über sechs Monate nachweislich in einem Gebiet aufhält, bewerten wir ihn als standorttreu.

Sind diese Kriterien bundesweit einheitlich, oder gibt es unterschiedliche Verfahrensweisen in den einzelnen Bundesländern?

Joswig: Die Beurteilung von Hinweisen erfolgt sogar europaweit einheitlich. Zudem sind die Kolleginnen und Kollegen im Wolfsmanagement gut vernetzt und tauschen sich aus. Es wäre auch nicht klug, wenn es für das Monitoring von großräumig agierenden Arten, die Staaten- und Ländergrenzen überwinden, keine einheitlichen Standards gäbe. Naturschutz ist zwar grundsätzlich Sache der Länder, der Bund setzt aber dann Vorgaben, wenn es sich um internationale oder europäische Maßnahmen oder Vereinbarungen handelt, bei denen der Bund international der Ansprechpartner ist.

Junge Wolfsrüden auf der Suche nach einem eigenen Territorium und einem Geschlechtspartner wandern oft mehrere Hundert Kilometer. Können Sie angesichts dieser hohen Mobilität zumindest annäherungsweise sagen, wie viele Tiere sich aktuell im Freistaat aufhalten?

Joswig: Eine seriöse Aussage über die Anzahl der durchwandernden Wölfe ist nicht möglich. Die Tiere werden – wenn überhaupt – meist nur einmal gesehen.

Bis vor kurzem hatte Bayern ja noch den Status eines sogenannten Wolfserwartungslandes. Könnten wir aber irgendwann einmal ähnliche Verhältnisse wie in Brandenburg oder Sachsen bekommen, wo ja schon eine ganze Reihe von Rudeln nachgewiesen wurde?

Joswig: Seit 2006 werden in Bayern immer wieder einzelne Wölfe nachgewiesen. Es handelt sich in der Regel um durchziehende Jungtiere, die entweder aus der südwestlichen Alpenpopulation oder nordosteuropäischen Tieflandpopulation stammen. Standorttreue Wölfe haben wir derzeit nur in den bereits erwähnten Gebieten. Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass die Zahl der Wölfe in Bayern weiter zunimmt.

Beim Wolfsmonitoring in Bayern wird das LfU durch ehrenamtliche Helfer unterstützt, die im Netzwerk Große Beutegreifer organisiert sind. Welche Verbände und wie viele Personen arbeiten aktuell in diesem Netzwerk mit und wie sieht diese Kooperation konkret aus?

Joswig: Derzeit sind in Bayern rund 190 vom LfU geschulte Personen im Netzwerk Große Beutegreifer ehrenamtlich tätig. Sie unterstützen uns beim Monitoring und auch bei der Dokumentation von Rissmeldungen. Für Betroffene sind sie als Ansprechpartner vor Ort sehr wichtig. Im Netzwerk sind vor allem Jäger, Forstleute und Mitglieder von Naturschutzverbänden tätig.

Im Moment ist der Wolf europaweit streng geschützt und darf nicht gejagt werden. Es werden jedoch immer öfter Forderungen nach Gesetzesänderungen laut, um bei Problemen die gezielte Entnahme, sprich Tötung von einzelnen Tieren zu ermöglichen. Sind solche Regelungen aus Ihrer Sicht notwendig, wenn der Wolf wieder nachhaltig heimisch wird in unserer Region?

Joswig: Auch in Bayern sind Entnahmen jetzt schon möglich, beispielsweise wenn auffällige Einzeltiere eine Gefahr für den Menschen werden könnten. Der Schutzstatus des Wolfs geht auf europarechtliche Normen zurück, er ist also europaweit streng geschützt. Auch wenn der Wolf in Bayern dem Jagdrecht unterstellt werden würde, wie zum Beispiel in Sachsen, ist der Schutzstatus weiter zu beachten.

Vor allem die Weidetierhalter beobachten die Rückkehr des Wolfs mit großer Sorge. Der "Ausgleichsfonds Große Beutegreifer" soll sie wirtschaftlich unterstützen, wenn ihnen durch Wolfsrisse Schäden entstanden sind. Wie viel Geld und an wen wurde da bislang ausgezahlt?

Joswig: Mögliche Schäden werden umfassend ausgeglichen. Seit 2010 wurden insgesamt knapp 6000 Euro an Tierhalter ausgezahlt.

Inwieweit ist da bislang der Staat in der Pflicht? Bisher arbeitet dieser Ausgleichsfonds ja auf freiwilliger Basis und wird von den Naturschutzverbänden wie dem BN oder dem World Wide Fund for Nature (WWF) unterstützt.

Joswig: 80 Prozent des Schadenausgleichs aus dem "Ausgleichsfonds Große Beutegreifer" stammen vom Bayerischen Naturschutzfonds, der seinerseits Gelder vom Freistaat Bayern zugewiesen bekommt. Dennoch ist die Beteiligung der Naturschutzverbände Bund Naturschutz, Landesbund für Vogelschutz, WWF und der Wildland-Stiftung des Landesjagdverbandes mit je fünf Prozent sehr wichtig.

Viele Wolfsgegner treibt vor allem die Angst vor Tieren um, die ihre natürliche Scheu vor dem Menschen verlieren und sich auch Gebäuden und Kommunen nähern könnten. Wie sollte man Ihrer Ansicht nach mit solchen verhaltensauffälligen Exemplaren umgehen?

Joswig: Wie gesagt: Der Schutz des Menschen hat immer Vorrang. Eine solche Situation muss man sehr ernst nehmen. Ein Wolf, der seine Scheu vor den Menschen verliert und sich etwa nicht ohne weiteres vertreiben lässt, sollte in letzter Konsequenz der Natur entnommen werden. In Niedersachsen ist dies bereits einmal geschehen.

Und wenn Sie persönlich einem Wolf in freier Wildbahn begegnen würden. Wie würden Sie wohl reagieren?

Joswig: Ich würde ihn gern beobachten. Wenn ich Gelegenheit hätte, würde ich versuchen, ihn zu fotografieren, jedoch ohne mich ihm zu nähern. Das Landesamt für Umwelt stellt übrigens im Internet Tipps für solche Begegnungen zur Verfügung.

 

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