"Geschlabber" in der Kirche: Wenn der Anstand verloren geht

22.12.2017, 05:43 Uhr
In der Frauenkirche sind Menschen aller Nationalitäten und Hautfarben stets willkommen. Doch immer wieder laden Besucher, vom Glühwein angeheitert, hier ihren Frust auf unangemessene Weise ab.

© Michael Fischer In der Frauenkirche sind Menschen aller Nationalitäten und Hautfarben stets willkommen. Doch immer wieder laden Besucher, vom Glühwein angeheitert, hier ihren Frust auf unangemessene Weise ab.

Obdachlose, die in der Kirche ein Plätzchen zum Schlafen suchen, verwirrte Menschen, die sich plötzlich ausziehen, erschöpfte Besucher, die laut schnarchend in die Bänke des Hauptschiffes sinken - alles nichts Ungewöhnliches für die ehrenamtlichen Mitarbeiter der katholischen Stadtpfarrkirche "Unsere Liebe Frau", die ganzjährig hier abwechselnd Aufsicht führen. Doch in diesen Tagen geht es richtig rund.

Die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Arndt, die während des Christkindlesmarkt zusätzlich in der Frauenkirche im Einsatz sind, müssen angetrunkene Kundschaft immer öfter freundlich hinauskomplimentieren. Sogar sonntags nach dem "Männleinlaufen" zur Mittagszeit drängen Scharen von Touristen in den noch laufenden Wortgottesdienst hinein. So manch einer hat für die Kunstschätze im Gotteshaus nur einen glasigen Blick übrig.

Doch Ursula Hertel-Schönberg, die Öffentlichkeitsbeauftragte der katholischen Innenstadtkirche, die selbst stundenweise die Aufsicht übernimmt, erzählt auch von einer Reihe kurioser Fälle, die sich häufen. Zum Beispiel stürmte einmal ein Mann in den Mittelgang vor den Altar und begann, mit seinem Hund Apportieren zu üben. Draußen, auf dem Christkindlesmarkt sei es ihm jetzt viel zu voll, begründete er seine Aktion.

Mangelhaftes Benehmen

Touristen versuchten schon mal, auf den Altar zu kraxeln, um den im Boden eingelassenen Davidstern besser fotografieren zu können, der an das Judenpogrom von 1349 und die Zerstörung der an dieser Stelle erbauten Synagoge erinnert. Und wieder andere ließen sich nur schwer davon abhalten, ihren überdimensionierten Stoff-Tiger, mit dem sie durch die halbe Welt reisen, für ein Selfie auf dem Altar zu platzieren.

Hertel-Schönberg wunderte sich jüngst über eine stille Beterin, die sich in die Bank setzte, die Hände zum Gebet faltete und kein Wort sprach. Woher ein eigenartiges "Geschlabber" kam, konnte sich Hertel-Schönberg, eine Englisch- und Französischlehrerin, nicht erklären. Erst als sich das Spektakel Tage später wiederholte, entdeckte sie, dass die Frau beim Hereingehen heimlich den kleinen Hahn eines in der Ecke stehenden Kesselchens geöffnet hatte und ihrem Hündchen im Auffangbecken das Weihwasser aussaufen ließ.

Deutsche Blasenschwäche

Pfarrer Markus Bolowich freilich hält das alles für nicht so dramatisch und weist darauf hin, dass Gäste, "explizit Fremde aller Nationen und Hautfarben, in Unserer Lieben Frau willkommen sind!". Auch das Problem des "abendlichen Wildpinkelns" an die Mauern der Frauenkirche sieht er gelassen und schreibt dies einer "deutschen Blasenschwäche" zu. Dr. Petra Seegets, die Gäste- und Touristenpfarrerin der nahen evangelischen Sebalduskirche, sieht die Entwicklung ambivalent. Der Advent sei ein "Stück Türöffner" sagt sie. Viele Menschen wüssten nicht, wo sie mit ihren Problemen hin sollen, und versuchten, sich die Gotteshäuser als besondere Orte zu eigen zu machen.

Doch manchmal nimmt dieser Versuch eigenartige Ausmaße an. Eine junge Mutter etwa wickelte ihr Baby in St. Sebald - und deponierte die volle Windel in der Kirchenbank. Bis zum Mülleimer am Ausgang war es ihr zu weit... Übrigens fand die Pfarrerin im Kirchenschiff auch eine herrenlose Bratwurstsemmel. Amüsiert berichtet Seegets von einer Gruppe Frauen, die um 11 Uhr in der Kirche eintraf und auf einer Führung bestand, obwohl keine vorgesehen war. Wie sich herausstellte, hatten die Damen den Rundgang in St. Lorenz gebucht. Doch sie wollten nicht weichen: "Das hier war schon immer St. Lorenz", blaffte eine der Besucherinnen empört mitten in der mächtigen Sebalduskirche.

Stress an der Info

Hoppla, hier komm ich: Diese Selbstüberschätzung erleben nicht nur die protestantischen und katholischen Kirchen rund um den Hauptmarkt, die ein außergewöhnlich gutes Verhältnis untereinander pflegen und so manche Besucherströme gemeinsam lenken. Auch in der Tourist-Info im Rathaus berichtet man von Kundschaft, die ungebeten hinter den Tresen marschiert und sich an Unterlagen zu schaffen macht. Oder ungeniert nach Tickets greift, die der Vordermann gerade als Weihnachtsgeschenk erstanden hatte. "Es geht einfach zu", seufzt eine Mitarbeiterin.

Der evangelische Dekan Dirk Wessel musste dieser Tage in den Kammerspielen erleben, wie ein junger Mann in der ersten Reihe Platz nahm und sogleich seine Beine zur Entspannung auf die Bühne legte. In der Hand hielt er ein volles Weizenbierglas. Wie er damit am Kartenkontrolleur vorbeigekommen war, ist Wessel ein Rätsel.

Und Gästepfarrerin Petra Seegets staunte sehr, als jüngst vor ihr im klassischen Konzert irgendwo in Nürnberg zwei ältere Damen eine Riesenschachtel Schnapspralinen zückten und mit Geraschel komplett verputzten. Danach musste sie den beiden Frauen die Treppe hinunter helfen.

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