Gespräch statt Eskalation: So arbeitet das Verhandlungsteam der Polizei

3.1.2019, 08:33 Uhr
Am 13. Juni 2017 hat die Verhandlungsgruppe der Polizei bei einem Großaufgebot am Inneren Laufer Platz Kontakt zu einem Gefährder aufgenommen, der angeblich mit einer Waffe hantierte. Später stellte sich heraus: Eine Gefahr hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben.

© Eduard Weigert Am 13. Juni 2017 hat die Verhandlungsgruppe der Polizei bei einem Großaufgebot am Inneren Laufer Platz Kontakt zu einem Gefährder aufgenommen, der angeblich mit einer Waffe hantierte. Später stellte sich heraus: Eine Gefahr hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben.

Es war vor fast genau einem Jahr, am 1. Januar 2018. Stefan Thiele klettert am Baugerüst des Plärrer-Hochhauses nach oben, Stockwerk um Stockwerk. Das Geschäftsgebäude der Städtischen Werke mit seinen 15 Etagen wird saniert und ist eingerüstet. Thiele will ganz nach oben, aufs Flachdach. Es ist Nacht, die Temperatur liegt etwas unter dem Gefrierpunkt.

"Es war ordentlich zugig da oben", erinnert sich der 48-Jährige. Auf dem Dach steht ein aufgebrachter Mann, er macht einen verwirrten Eindruck. Kurz zuvor hat der 32-Jährige zwei 50 Kilo schwere Propangasflaschen auf die Fürther Straße geworfen. Einer der Stahlbehälter traf einen Mercedes, in dem zwei Männer saßen und vor der Kreuzung an der roten Ampel warteten. Die Männer hatten Glück, sie kamen mit leichteren Verletzungen davon.

Von Angesicht zu Angesicht

Thiele hat den Auftrag, zu diesem Mann Kontakt aufzunehmen. Er soll mit ihm verhandeln. "Wir wissen in so einem Moment nicht, mit wem wir es zu tun haben", sagt er. Die Frage der Kommunikationsmittel ist in diesem Fall klar gewesen. Es gibt weder Telefon noch die Möglichkeit, per Handy mit dem Mann zu sprechen. Ein in Filmen beliebtes, aber in der Realität oft unbrauchbares Mittel, das Megafon, scheidet ebenfalls aus. Damit kann der Gefährder zwar den Polizisten hören, der Polizist den Gefährder aber kaum. Bleibt also nur eine Variante: das Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Dazu muss der Beamte so nahe heran wie möglich. Aber nicht zu nahe, um den Mann, der auch gedroht hat zu springen, nicht zu bedrängen.

Der Chef der Verhandlungsgruppe kennt Extremsituationen. Anfang 2010 trat Thiele eine heikle Mission an. Er gehörte zu den zwölf Beamten, die das bayerische Innenministerium als Ausbilder nach Afghanistan entsandte. Zusammen mit Polizisten aus anderen Bundesländern waren es 141 deutsche Beamte, die sich mit Kollegen aus anderen EU-Staaten um die Ausbildung der Polizei am Hindukusch kümmerten.

Notruf missbraucht

So eine Extremsituation zeichnete sich auch am 13. Juni 2017 ab, als ein Notruf in der Einsatzzentrale einging und jemand berichtete, dass ein Mann in einem Wohnhaus am Inneren Laufer Platz mit einer Waffe zu schießen drohe. Thiele nahm den Kontakt zu dem Gefährder auf, der, wie sich später herausstellte, gar keine Waffe besaß. Der Anrufer, der den Großeinsatz auslöste, hatte gelogen, gegen ihn wurde ermittelt.

Auf dem Hochhausdach am Plärrer gibt sich Thiele gleich als Polizeibeamter zu erkennen. Einer der ersten Fragen von Thiele ist: "Wie können wir Ihnen helfen?" Der 32-Jährige spricht Deutsch, ein Dolmetscher ist nicht nötig. Thiele verlangt von seinen Kollegen, dass sie in der Lage sind, sich in die Person hineinzuversetzen. "Man muss zuhören können. Der Betroffene soll nicht totgequatscht werden." Dem Gefährder werde allerdings auch klargemacht, dass Gewalttätigkeit der schlechteste aller Wege ist "und dass die Polizei diesen nicht zulassen wird".

Geht ein Gefährder auf die an ihn gerichteten Worte ein, dann ist Zeit gewonnen. "Der Mann auf dem Dach hat während des Gesprächs keine Gasflaschen und anderen Gegenstände mehr vom Dach geworfen", erläutert der 48-Jährige. Zeit, in der die Streifen unten die Straßen abriegeln können und Zeit, in der Spezialkräfte in Position gehen können.

In den meisten Fällen, lassen sich Gefährder überzeugen und geben auf. Dann klicken die Handschellen. Ist das dann auch das Ende der einfühlenden Kommunikation mit ihm? Thiele schüttelt den Kopf: Wenn es die Situation erlaubt und der Verhandler dem Gefährder eine Fortsetzung des Gesprächs bei einer Zigarette in Aussicht gestellt hat, dann findet das nach der Festnahme auch statt, sagt er. "Das machen wir nicht nur aus taktischen Gründen. Wir lügen den Adressaten nicht an, der verliert sonst das mühsam aufgebaute Vertrauen zu uns."

Gespräch statt Eskalation: So arbeitet das Verhandlungsteam der Polizei

© Brock

Der 32-Jährige auf dem Hochhausdach hört zu und ist zugänglich. "Es ging sehr langsam, aber er ließ sich von uns überzeugen." Die ersten Notrufe von Bürgern waren am 1. Januar 2018 schon kurz nach 13 Uhr eingegangen, gegen 3.30 Uhr am 2. Januar konnte Thiele den Mann beruhigen und überreden, seine gefährliche Aktion aufzugeben.

Immer in Bereitschaft

24 Beamte zählt die Verhandlergruppe. Die Polizisten sind in erster Linie in anderen Dienststellen (Schutzpolizei, Verkehrspolizei, Kripo) tätig. "Mit dabei sind Kollegen aller Altersklassen und Dienstgrade." Im Falle eines Einsatzes werden sie aus den Dienststellen abgerufen oder in ihrer Freizeit alarmiert. Pro Jahr werden sie im Schnitt gut 50-mal angefordert.

Die Beamten sind psychologisch geschult und identifizieren sich mit diesem Job, so der Chef der Gruppe. "Das ist wichtig, denn wenn ich in einer akuten Situation Empathie nur vortäusche, bringt das nichts." Die Erfolgsquote der Verhandler liegt laut Thiele bei nahezu 100 Prozent. "Es gibt aber leider auch Fälle, bei denen wir machtlos sind und der (Selbst-) Gefährder sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lässt." Um solche Erfahrungen zu verarbeiten, gebe es unter Kollegen Gespräche danach, psychologische Hilfe werde auch angeboten. Thiele: "Denn so ein Einsatz geht nicht spurlos an einem vorüber."

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