Hartz IV: So greift die Stadt Nürnbergern unter die Arme

17.11.2017, 05:29 Uhr
Mehr als zehn Prozent der Nürnberger Bevölkerung kriegen Hartz IV oder Grundsicherung. Ihnen bezahlt die Stadt die Miete – bis zu einer gewissen Höhe.

© Archivfoto: Uwe Niklas Mehr als zehn Prozent der Nürnberger Bevölkerung kriegen Hartz IV oder Grundsicherung. Ihnen bezahlt die Stadt die Miete – bis zu einer gewissen Höhe.

Noch bevor die Sitzung richtig begann, verwies Bürgermeister Christian Vogel drei Gewerkschafter des Sitzungssaals, die ein Transparent mit der Verdi-Forderung in die Höhe hielten. Dem Stadtrat Titus Schüller (Linke Liste) ließ Vogel nach einem Disput das Mikrofon abdrehen, weil Schüller kein Mitglied des Sozialausschusses ist und folglich kein Rederecht hat. Beides zeigt: Das Thema ist sensibel, die Stimmung aufgeheizt.

Zum letzten Mal wurden die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) 2012 angehoben. Seitdem wuchs die Stadt um Tausende Neubürger, die Mieten sind zum Teil drastisch gestiegen, bezahlbarer Wohnraum ist knapper geworden. Die Erhöhung sei "geradezu lachhaft", kritisiert Verdi in einer Mitteilung, es sei "offensichtlich, dass die Stadt Nürnberg (. . .) höhere Mieten hat".

Laut Gesetz müssen die Städte den Beziehern von Hartz IV und Grundsicherung die Unterkunftskosten erstatten, wenn sie "angemessen" sind – ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von jeder Kommune theoretisch anders ausgelegt werden könnte. Um Willkür in diesen Bereichen von SGB II und SGB XII zu vermeiden, hat das Bundessozialgericht festgelegt, dass ein "Schlüssiges Konzept" der Berechnung von Unterkunftskosten zugrunde liegen muss. Das sind in Nürnberg unter anderem die maßgeblich geltende Wohnungsgröße und der durchschnittliche Quadratmeterpreis laut Mietspiegel.

Miete nicht Hauptgrund für Obdachlosigkeit

Daraus ergibt sich zum Beispiel, dass ein Ein-Personen-Haushalt 50 Quadratmeter zur Verfügung haben darf und die Stadt ab dem 1. Januar dafür 397 Euro bezahlt – das sind 6,15 Prozent mehr als aktuell. Die höchste Steigerung von 8,08 Prozent ergibt sich bei einer Bedarfsgemeinschaft mit vier Personen. Diese darf 90 Quadratmeter haben, ab 2018 gibt es dafür 709 Euro. Die neuen Mietrichtwerte halten einer Überprüfung der Gerichte stand, ist sich Sozialreferent Reiner Prölß sicher. Dennoch stellt Verdi auf seiner Homepage Musterwidersprüche zur Verfügung, mit denen Nürnberger klagen können, wenn ihre Mietkosten nicht durch Jobcenter und Grundsicherung übernommen werden.

Prölß erklärte, dass die allgemeine Entwicklung der Mietpreise nicht automatisch eine Steigerung der KdU in dieser Höhe bedeuten kann: "Viele Neubauten sind im Hochpreissegment entstanden." Mehr als 90,5 Prozent aller 33 732 Haushalte, die darauf Anspruch haben, erhalten nach Auskunft des Sozialamts ihre Miete komplett erstattet. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen Obdachlosigkeit und überhöhter Miete.

Sie habe Inserate gelesen, in denen ein Polizist oder eine Kindergärtnerin in Lauf für 400 Euro Kaltmiete nach einer Wohnung suchten, erzählt Alexandra Frank-Schinke vom Sozialamt. "Wie sollte man es denen vermitteln, wenn in Nürnberg ein Mietrechtwert von weit über 400 Euro bezahlt werden würde?", fragte sie die Gewerkschafter, die gestern demonstrativ Besucherplätze im Sozialausschuss besetzt hatten.

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