"Ihr müsst mich überhaupt nicht mögen" - Wallis Bird im Interview

26.6.2014, 09:36 Uhr
Die Musikerin besticht mit ihren folkigen Songs.

© NN Die Musikerin besticht mit ihren folkigen Songs.

Wallis, nach Ihrem letzten Album 2012 sind Sie von London nach Berlin gezogen. Warum eigentlich?

Wallis Bird: In London fragen die Leute als erstes: Womit verdienst du deinen Lebensunterhalt? Es geht dort nicht darum, das Leben zu genießen, sondern darum, soviel zu schuften, dass du dir das Leben und die richtigen Klamotten leisten kannst. Das ist eine sehr oberflächliche Haltung. Es ist dort sehr hart und es braucht Jahre, Menschen wirklich kennenzulernen, sich einen Freundeskreis aufzubauen. Es ist alles sehr konkurrenzbestimmt. Als Künstler ergreife ich bei dieser Haltung die Flucht. Meine Inspiration kommt nicht aus dem Konkurrenzdenken.

 

Gibt es trotzdem etwas, das Berlin von London lernen sollte?

Bird: Nein. Ganz ehrlich, ich glaube London hat eine Menge von Berlin zu lernen. In Berlin kannst du dir einfach Zeit nehmen und tun was du willst. London ist eine sehr kalte Stadt, in der du permanent der Bewertung durch andere ausgesetzt bist. London ist zu prätentiös, die Stadt hält sich für viel wichtiger, als sie ist. Man hält sich auch für den Mittelpunkt der Kunstwelt. Und dann kommst du nach Berlin und merkst: Verdammt, in dieser Stadt ist eigentlich jeder ein Künstler.

 

Ihre neue Platte, „The Architect“, macht es einem Musikjournalisten leicht, die erste Frage zu stellen, denn Sie singen: „Wenn jeder ein Kritiker wäre, würde niemand irgend etwas tun.“ Können Sie mit Kritik nicht umgehen?

Bird: Darum geht es mir gar nicht. Jeder Mensch bildet sich doch seine Urteile über andere und das, was sie tun, ob man das nun bewusst macht oder nicht. Man muss aber eben wissen, was man will und nicht will, um durchs Leben zu kommen. Ich will damit nur sagen: Man darf seinen Instinkt nicht überhören, dein Bauchgefühl ist das einzige Kriterium, das zählen sollte. Die Urteile von anderen können dich lähmen. Und auch ein Hype erzählt dir nur Bullshit.

 

Also hat Ihr Instinkt Sie auch in die vielen verschiedenen musikalischen Richtungen der neuen Platte geleitet?

Bird: Ja, das war mir aber egal. Ich liebe einfach zu viele Arten von Musik. Es gibt zu viel, was ich gerne ausprobiere.

 

Da breitet jemand ein Buffet aus, von dem sich jeder nehmen kann, was er will. Das passt auch zu Berlin, wo man ja so gerne brunchen geht.

Bird: Ja, wahrscheinlich. Ein Brunch macht ja auch alle glücklich. Ich bekenne mich schuldig, ich versuche die Menschen glücklich zu machen (lacht). Könnte sein, dass das meine Musik richtig beschreibt: Sie ist ein großer Mischmasch-Brunch.

 

Wie funktioniert das auf der Bühne, im Konzert? Ist das eher anstrengend?

Bird: Kann sein. Auf jeden Fall für einige Leute im Publikum, da bin ich mir sicher (lacht). Aber tatsächlich funktioniert es für mich sehr gut. Ich sage den Leuten immer: Ihr müsst mich überhaupt nicht mögen. Ich werde meine Scheiße nicht so geschmeidig machen, dass ihr sie leichter schlucken könnt. Ich will nur Dinge ausprobieren. Wenn ich in der Kneipe neben einem Paar sitze, das ich nicht kenne, oder neben einem Mörder, dann halte ich mir auch nicht die Ohren zu. Ich will hören, was die zu erzählen haben.

 

Haben Sie schon mal mit einem Mörder in einer Kneipe gesessen?

Bird: Ja, das ist mir tatsächlich passiert. Er war gerade aus dem Gefängnis gekommen. Er hatte einem anderen mit einem Stuhl den Schädel zertrümmert.

 

Was mir an Ihrer neuen Platte sehr gut gefällt, ist unter anderem der Einsatz einer Blockflöte. Die hat ja zu Unrecht einen schlechten Ruf.

Bird: Ja, sie gilt ja als ein Folterinstrument, mit dem Kinder in der Grundschule gequält werden. Genau deshalb habe ich sie ausgesucht (lacht). Außerdem mag ich den Sound solcher klassischen Instrumente sehr. Demnächst wird auch ein Kammermusik-Ensemble aus Dublin einen meiner neuen Songs remixen.

 

Wie kam es zu den Anklängen an russischen Techno-Pop in Ihrem Song „Gloria“?Ich meine damit diesen gewissen Neunziger-Jahre-Beat.

Bird: Als ich in London war, steckte ich in einer üblen, langweiligen Beziehung. Ich wurde zur Hausfrau, die nur auf ihren Mann wartet, um ihm dann zu sagen: „Endlich bist du da! Ich habe Abendessen gemacht!“ Ich habe ein Jahr lang keinen Song geschrieben, ich war wie ein Zombie. Ich wurde faul und träge, weil ich verliebt war. Deswegen bin ich in Berlin auch erstmal nur Tanzen gegangen. Und vieles, was in diesem Song „Gloria“ erzählt wird, hat damit zu tun, was physisch passiert, wenn ich tanze. Sich der Körperlichkeit des Tanzens bewusst zu werden, darum geht’s auf meiner neuen Platte. Das klingt als Konzept vielleicht ein bisschen lahm, aber was soll's?

 

Sie haben ja schon einmal in Deutschland gelebt und an der Popakademie studiert...

Bird: Ja, in Mannheim, drei Jahre lang. An der Schule war ich aber nur drei Monate, im Rahmen eines Stipendiums.

 

Hatten Sie vorher versucht, sich zum Beispiel an dem Liverpool Institute For Performing Arts zu bewerben, das Paul McCartney gegründet hat?

Bird: Nein, ich bin auch ehrlich gesagt gar nicht der Typ für so etwas. Auch in der Schule war ich immer entsetzlich schlecht. Die interessierte mich einfach nicht. Das mit dem Stipendium hatte sich einfach ergeben. Ich dachte: Toll, du hast die Möglichkeit, für drei Monate ins Ausland zu gehen und wirst auch noch bezahlt? Klar, mache ich! Ich wollte aber nur Leute kennenlernen und Musik machen.

 

Haben Sie irgendwas in Mannheim über Pop gelernt?

Bird: Ja, ich habe ein paar wirklich schöne Gitarrenstunden gehabt, mit einem jungen Gitarristen, der hat meinen Stil geändert. Aber an der Akademie habe ich eigentlich nur gelernt, wie man zu einem Lehrer sagt: „Fuck you!“ (lacht).

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