Katastrophenschutz: Ein Plan für fast jedes Szenario

10.9.2016, 06:00 Uhr
Am Sonntag jährt sich der 11. September 2001, der Tag, an dem zwei Passagierflugzeuge in die New Yorker Twin Towers flogen, zum 15. Mal. Wie wäre Nürnberg auf eine derartige Katastrophe vorbereitet?

© Seth McAllister (dpa) Am Sonntag jährt sich der 11. September 2001, der Tag, an dem zwei Passagierflugzeuge in die New Yorker Twin Towers flogen, zum 15. Mal. Wie wäre Nürnberg auf eine derartige Katastrophe vorbereitet?

NZ: Herr Skrok, stellen Sie sich vor, es ist Montag, 8 Uhr. Die Menschen machen sich auf den Weg in die Arbeit. Einige haben ihr Büro schon erreicht. Plötzlich steuert ein Flugzeug in den Businesstower; zeitgleich explodiert ein Sprengsatz in einer U-Bahn am Hauptbahnhof. Es gibt viele Tote und Verwundete. Ist Nürnberg auf ein solches Szenario vorbereitet?

Volker Skrok: Grundsätzlich ja, insofern man hierbei von einer Vorbereitung sprechen kann. Nicht jedes erdenkliche Szenario kann vorab trainiert werden. Generell sind wir auf Großereignisse vorbereitet: Es gibt Strategien, wie auf radioaktive Anschläge, Großbrände, Flugzeugabstürze und Terroranschläge zu reagieren ist. Es ist vorab genau festgelegt, wer für welche Aufgabe zuständig ist.

Dafür bedarf es Strukturen in einer Stadt – Behörden und Dienststellen wie das Ordnungsamt, die Feuerwehr oder die Polizei und Hilfsorganisationen wie das Bayerische Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk. Diese existieren in Nürnberg. Mindestens einmal im Jahr findet eine Großübung statt. Es wird Verschiedenes trainiert: Die Verfahren gehen dabei von der Chaosphase eines Großeinsatzes, also der ersten Zeit nach einer Katastrophe, bis zum Ende eines außergewöhnlichen Ereignisses – natürlich mit Zeitsprüngen. Auch mit dem Führungsstab, an dessen Spitze Oberbürgermeister Ulrich Maly oder der 2. Bürgermeister Christian Vogel steht, wird geübt.

Welche Mechanismen setzt ein derartiger terroristischer Anschlag bei der Stadt in Bewegung?

Skrok: Zunächst fahren Feuerwehr und Rettungskräfte an die Unglücksorte. Zeigt sich, dass das Ausmaß sehr groß ist, wird die Zahl der Einsatzkräfte erhöht. Zunächst greift man dabei auf noch freie Einsatzkräfte in der Stadt zurück; kann dann aber auch welche aus benachbarten Gemeinden anfordern. Bei größeren Unglücken können auch Kräfte aus anderen Bundesländern herangezogen werden.

Parallel dazu nehmen zwei Stäbe ihre Arbeit auf: Die örtliche Einsatzleitung der Feuerwehr trifft sich auf der Feuerwehrwache 5 in Langwasser. Der Bereich Verwaltung unter dem Oberbürgermeister kommt in der Feuerwache 4 im Hafen zusammen. Während der erste Stab die operativ-taktischen Aufgaben übernimmt, stellt der zweite den Kontakt zu der Regierung her und informiert Medien und Bevölkerung und übernimmt strategisch- administrative Aufgaben.

Welche Aufgaben übernehmen Sie?

Volker Skrok leitet die Nürnberger Feuerwehr.

Volker Skrok leitet die Nürnberger Feuerwehr.

Skrok: Als Leiter der Nürnberger Feuerwehr gehöre ich zum Verwaltungsstab. Meine Vertreter übernehmen dann meine bisherigen Aufgaben und Funktionen im operativ-taktischen Stab und kümmern sich um die weiteren Einsätze, die anfallen. Denn auch in einem Katastrophenfall geht der normale Betrieb in einer Stadt weiter.

Elektronisch gespeichert

Die Vorgehensweise im Fall eines Anschlags beruht auf vorher ausgearbeiteten Plänen. Wie darf man sich das vorstellen: Liegen A3-große Papiere in Ihrer Schublade?

Skrok: Die sogenannten Gefahrenabwehrpläne sind elektronisch gespeichert. Es gibt verschiedenste Pläne – etwa für den Fall, dass es in einem Großbetrieb brennt. Der Plan zeigt, welche Straßen die Feuerwehr befahren kann und an welcher Stelle Löschwasser vorhanden ist. Es gibt grundsätzliche Ausarbeitungen zum Beispiel für die Explosion eines Tanklastzugs oder für den Absturz eines Flugzeugs.

Die Dokumente informieren über die Zahl der Einsatzkräfte, die mindestens nötig sein werden, wie weit die Absperrungen sein müssen, welche Sondereinheit zum Beispiel für Schadstoffe zuständig ist, welche Geräte gebraucht werden und welche weiteren Behörden einbezogen werden müssen. Sie enthalten auch wichtige Telefonnummern, etwa die der Deutschen Flugsicherung. Je nachdem welche Katastrophe eintrifft, holen wir uns die entsprechenden Daten und arbeiten die Checkliste
ab.

Gibt es in Nürnberg ein Lager, in dem spezielle Geräte oder auch Verbände vorrätig gehalten werden für den Fall, dass sehr viele Menschen verletzt sind?

Skrok: Grundsätzlich ist so etwas in einem bestimmten Maß immer vorrätig. Das reicht natürlich nicht aus, um die gesamte Nürnberger Bevölkerung zu versorgen. Es gibt jedoch Lager, in denen Betten und weiteres Material für den Bevölkerungsschutz gelagert sind, etwa Dekontaminationsmöglichkeiten. Die einzelnen Hilfsorganisationen im Rettungsdienst haben weitere Bevorratungen, die auch für eine hohe Zahl an Verletzten ausgelegt sind.

Seit Juni 2013 können sich Bürger die Anwendung Katwarn kostenlos auf ihr Smartphone laden. Warum bietet Nürnberg dieses Warnsystem für seine Bürger an?

Skrok: Im Fall einer Katastrophe muss eine Stadt seine Bürger warnen. Das macht Katwarn. Die Anwendung informiert über den Vorfall und teilt mit, was zu tun ist. Im Fall des theoretischen Anschlags heißt es dann: Katastrophenfall in der Stadt Nürnberg, Flugzeugabsturz und Bombenanschlag, Bereiche um Businesstower und Hauptbahnhof meiden. Dann würde man auf die Internetseite der Stadt Nürnberg verweisen.

Katwarn kann aber nicht flächendeckend warnen, weil sich jeder die Anwendung freiwillig auf dem Smartphone installieren kann. Daher bauen wir ab 2017 wieder ein Sirenensystem in Nürnberg auf. Ertönen die Sirenen, wird den Bürgern signalisiert, sich per Internet, Radio oder Fernsehen zu informieren.

Neu strukturiert

Was hat sich nach dem 11. September 2001 in Nürnberg hinsichtlich des Katastrophenschutzes geändert?

Skrok: Der Katastrophenschutz in Nürnberg hat sich in jener Zeit ohnehin verändert. Die Änderungen sind daher nicht auf den 11. September zurückzuführen. Der Katastrophenschutz wurde neu strukturiert und organisiert. 2007 wechselte die Zuständigkeit – nicht mehr das Ordnungsamt, sondern die Feuerwehr war für den Katastrophenschutz verantwortlich.

Der Wechsel war sinnvoll. Die Feuerwehr hat praktische Erfahrungen mit Schadenslagen. Alte Pläne wurden überarbeitet. Was der 11. September verändert hat, war die Wahrnehmung. Szenarien, die als unmöglich galten, waren nun realistisch. Eine Stadt galt auf einmal wieder als verwundbar.

Der 11. September 2001 war so einschneidend, dass viele Menschen noch heute wissen, wo sie sich befanden, als sie vom Anschlag hörten.

Skrok: Auch ich weiß das heute noch ganz genau. Ich war auf der Arbeit, wo ich damals für die Ausbildung der Feuerwehrler zuständig war. Ich stand auf dem Hof und hörte, dass ein Flugzeug in einen der Twin Towers geflogen war. Ich habe dann einen Fernseher eingeschaltet. Mir war damals sehr mulmig, denn die Folgen auf die Weltpolitik waren nicht absehbar.

0 Kommentare