Kicken statt kiffen: Sport gegen die Sucht

7.11.2012, 13:53 Uhr
Kicken statt kiffen: Sport gegen die Sucht

© Hippel

Tom ist pünktlich. Zehn Minuten bevor das Training beginnt, tritt der 39-Jährige gegen den Ball. Es ist Donnerstagnachmittag auf der Wöhrder Wiese, Tom trägt ein unauffälliges mausgraues Trikot, schwarze Hose, schwarze Stutzen. Knallbunte Schuhe, wie sie manche Fußballprofis tragen, sind nichts für ihn. Bloß nicht aus der Menge herausragen, das sagt Toms Klamotte. Der gebürtige Nürnberger aber unterscheidet sich dennoch von den anderen, mit denen er hier spielt. Denn er hat es geschafft. Tom ist nicht mehr süchtig, hat seit zwei Jahren einen festen Wohnsitz.

Die Zeit davor war anders. Die Liebe verschlug den Schreiner in den Norden. Es hielt nicht. Tom kehrte in die Heimat zurück, tröstete sich mit Alkohol, Drogen, fand keinen Job, keine Bleibe. Eine Spirale, die nur in eine Richtung führte: abwärts.

Heute ist dem fröhlichen Mann davon nichts mehr anzusehen. Geholfen hat ihm dabei auch: Fußball spielen. Das Kicken mit anderen Wohnungslosen und Suchtkranken — beim Team „Acht auf Kraut“. Deshalb ist er heute noch Teil des Teams. „Du lernst, wieder soziale Bindungen einzugehen“, sagt er rückblickend. Für ihn damals eine Abwechslung. „Ich habe mir gedacht: Da gehst du jetzt hin, statt dir die Hucke vollzukiffen.“ Auf dem Feld, den Ball am Fuß, allein und doch zusammen mit anderen, die ähnliche Schicksale haben: „Da kann man auch mal den Frust ablassen.“

Termine einhalten

Auch Jiri Pacourek weiß, wovon der 39-Jährige spricht. Pacourek trainiert die Fußballelf, die zu seinem Projekt „Homerun“ zählt. Zu dem Angebot, das der Verein Hängematte initiiert hat und fördert, zählt nicht nur das wöchentliche Fußballspiel, das im Winter in der Halle stattfindet, sondern eine Reihe anderer Aktivitäten. Im Sommer fährt Pacourek mit den Teilnehmern Rad, spielt Minigolf, aktuell steht Schwimmen, Eislaufen oder Kegeln auf dem Programm.

Das Ziel der Freizeitaktivitäten? „Auch Spaß haben“, sagt Jiri Pacourek, ebenfalls früher obdachlos. Aber vor allem sollen die gebeutelten Personen „wieder lernen, Verantwortung zu übernehmen“. Zum Beispiel indem sie Termine einhalten. Wie eben am Donnerstagnachmittag. Acht Mann sind inzwischen eingetrudelt, 20 bis 60 Jahre alt. Sie treten gut gelaunt gegen die Kugel. „Hier können sie den Ärger hinter sich lassen“, sagt Pacourek. Und sie spüren, dass sie ihren Frust nicht mit Alkohol, für die meisten ein Problem, bekämpfen müssen.

Unterstützt werden die Fußballer nicht nur von der Hängematte, sondern auch vom Existenzamt der Stadt Nürnberg. „Homerun“ ist das jüngste Projekt der Hängematte, deren Geschichte vor über 25 Jahre begann. Der Verein wurde von acht sozial engagierten Menschen gegründet — unter ihnen Dieter Maly, heute Chef des Sozialdienstes, und Mudra-Geschäftsführer Bertram Wehner. Sie erkannten, dass in den Abendstunden in Nürnberg eine Anlaufstelle für Drogenabhängige fehlt. Eine Versorgungslücke, die sie füllten: 1987 eröffnete in Gostenhof die bayernweit erste Notschlafstelle für Drogenabhängige ab 18 Jahren. Da die Räumlichkeiten bald zu klein wurden, zog 1997 die Notschlafstelle in die Imhoffstraße 28.

Das Durchschnittsalter der Nutzer liegt zwischen 30 und 45 Jahren, sagt Geschäftsführerin Simone Alberti. Bei ihnen handelt es sich überwiegend um Heroinabhängige. „Anders als früher gibt es den klassischen Junkie, der auf Beigebrauch verzichtet, nicht mehr“, weiß sie. „Inzwischen gehören Alkohol und synthetische Drogen zum Konsum dazu.“ Dabei sorgen aktuell sogenannte Legal Highs für Probleme. Alberti: „Eine große Welle von MDPV ist aus dem Osten nach Nürnberg rübergeschwappt. Es ist sehr günstig und sorgt für einen Rausch, der zur Folge hat, dass er die Leute psychisch zerstört.“ Die Folgen solch synthetischer Drogen seien fatal, da sie oft mit nicht mehr identifizierbaren Zusätzen gestreckt werden.

Komplexe Erkrankung

Im Vergleich zu früher sind die Hängematten-Besucher physisch und psychisch in einem weitaus schlechteren Zustand. Deshalb gehört inzwischen eine medizinische Sprechstunde neben Übernachtungs- und Waschmöglichkeiten zum Angebot, genauso Krisenhilfe, Kontaktcafé, warmes Essen und eine Kleiderkammer.

„Wir arbeiten niedrigschwellig und nehmen die Leute so an, wie sie sind“, sagt Alberti. Und ergänzt: „Wir versuchen, in kleinen Schritten Perspektiven zu schaffen und sie aus der Resignation herauszuholen.“ Die Nürnbergerin betont, „dass es sich bei einer Drogensucht nicht um eine selbst gewählte Lebenssituation handelt, sondern um eine komplexe Erkrankung“. Zu den Geldgebern des Vereins gehören der Bezirk Mittelfranken und die Stadt.

Gefeiert wird morgen ab 12.15 Uhr im Fabersaal des BZ, Gewerbemuseumsplatz2. Jörg Böckem liest aus seinem Buch „Lass mich die Nacht überleben“ (14 Uhr).

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