Kleinod aus der Wirtschaftswunderzeit

9.6.2017, 12:02 Uhr
Klassizistisches Idyll mit viel Grün, das war der Guttenbergplatz im Jahr 1900. Der Schriftsetzer benannte den Platz versehentlich nach dem Buchdrucker Johannes Gutenberg um.

© Hermann Martin Klassizistisches Idyll mit viel Grün, das war der Guttenbergplatz im Jahr 1900. Der Schriftsetzer benannte den Platz versehentlich nach dem Buchdrucker Johannes Gutenberg um.

Fotograf Hermann Martin betrieb einen Heidenaufwand, um den Guttenbergplatz in Szene zu setzen: Er kolorierte sein Bild eigens nach und montierte eine bunte Armada von Passanten ein, die den Platz bevölkern.

So unrealistisch war das nicht, immerhin konnte man sich vor 117 Jahren als Fußgänger noch einigermaßen gefahrlos auf die Allersberger Straße wagen. Heute würde jede Menschenansammlung binnen kürzester Zeit durch das wütende Hupen heranpreschender Autos und das infernalische Donnern der Straßenbahn zerstreut werden.

Außer dem Namen ist nicht viel geblieben, doch mit dem „Blumen-Ei“ bekam der Platz eine neue Mitte und einen baukünstlerischen Blickfang.

Außer dem Namen ist nicht viel geblieben, doch mit dem „Blumen-Ei“ bekam der Platz eine neue Mitte und einen baukünstlerischen Blickfang. © Sebastian Gulden

Die Südstädter waren damals stolz auf "ihr" Nürnberg. Nicht umsonst prangt auf Martins Ansichtskarte unten links ganz lokalpatriotisch das kleine Nürnberger Stadtwappen, von Eichenlaub umrankt. Folgerichtig benannte man den Platz an der Grenze von Glockenhof und Galgenhof nach zwei Söhnen der Stadt, den Kupferstechern Carl und Heinrich Guttenberg.

Zum Stolzsein hatten die Südstädter gute Gründe, denn jenseits des Hauptbahnhofs lag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das "Boom-Viertel" Nürnbergs. Hier blühten Industrie und Gewerbe, prächtige Wohn- und Geschäftsbauten säumten die Straßen und Plätze.

Armut und Verslummung gab es aber auch hier. Jenseits der Hauptstraßen in den altersschwachen früheren Bauern- und Handwerkerhäusern und in den Hinterhöfen hausten oftmals jene, die der Fortschritt abgehängt hatte.

Als der Guttenbergplatz um 1880 angelegt wurde, standen die Planer vor der Herausforderung, die Einmündung von gleich drei Straßen in die Allersberger Straße für Verkehr und Auge gleichermaßen angenehm zu gestalten. Anstatt das dreieckige Grundstück zwischen Findelwiesen-, Heideloff- und Allersberger Straße für die Bebauung freizugeben, legten sie dort einen kleinen Park – heute würde man "Pocket Park" sagen – an.

Nur der Kirchturm ist heute noch übrig

Wer mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof gen Süden fuhr, dem präsentierten sich die spätklassizistischen Fassaden an den Seiten des Platzes gerahmt von üppigem Grün; links grüßte der gewaltige neugotische Turm der Peterskirche herüber, der genau auf der Flucht der Findelwiesenstraße liegt. Schöner konnte einen die Südstadt kaum willkommen heißen.

Die Ähnlichkeit zu einem Ufo kommt nicht von ungefähr. Lebhaft geschwungene Formen und ein weit überhängendes Flugdach prägen die Architektur des „Blumen-Eis“.

Die Ähnlichkeit zu einem Ufo kommt nicht von ungefähr. Lebhaft geschwungene Formen und ein weit überhängendes Flugdach prägen die Architektur des „Blumen-Eis“. © Sebastian Gulden

Der Kirchturm ist heute so ziemlich das Einzige, was von der Ansicht des Jahres 1900 übrig geblieben ist. Der Zweite Weltkrieg legte die Randbebauung des Guttenbergplatzes in Schutt und Asche. 1963 zog der Arzneimittelhersteller Heumann, der schon vor Kriegsausbruch hier produziert hatte, anstelle der zerstörten Häuser an der Nordseite seine Konzernzentrale hoch, die seit Abschluss der Sanierung 2014 als Studentenwohnheim genutzt wird.

An der Südseite entstanden niedrige Kaufhallen, denen noch heute der Ruch des Provisorischen anhaftet. Für sie mussten die letzten erhaltenen Vorkriegsbauten am Platzrand weichen. In der Mitte des Guttenbergplatzes aber hat die Wirtschaftswunderzeit ein wahres Kleinod hinterlassen: 1959 entstand hier nach Plänen von Heinz Buff ein zierlicher Verkaufspavillon für Blumen, dem die Nürnberger wegen seines ovalen Grundrisses den liebevollen Spitznamen "Blumen-Ei" verpassten.

Heute genießt man hier im stilechten Interieur der 1950er Jahre auf Cocktailsesseln am Nierentisch Kaffee und Kuchen. Das "Blumen-Ei" ist eine Insel der Wirtschaftswunderzeit und einer jener Orte, an denen man spürt, dass Nürnbergs Architekturgeschichte mit dem Krieg nicht endete und dass auch die oftmals filigrane und beschwingte Baukunst der Nachkriegsjahre zur Identität unserer Stadt gehört.

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