Körperwelten: "Das ist pietätlos und reißerisch"

26.10.2014, 06:00 Uhr
Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte: Christian Hanke.

© dpa Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte: Christian Hanke.

Wie kann das sein, dass zwei Verwaltungen großer Städte im Osten und im Süden Deutschlands zu so unterschiedlichen Bewertungen bei ein und derselben Sache kommen?

Christian Hanke: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil wir seit der Förderalismusreform in allen Bundesländern eigene Bestattungsgesetze haben. In Berlin ist die Rechtslage klar: Leichen sind grundsätzlich zu bestatten – also auch plastinierte Leichen und Leichenteile. Wir hatten in Berlin auch genügend Zeit, die Rechtslage umfassend zu prüfen, weil hier eine Dauerausstellung geplant ist. Auch eine temporäre Ausstellung würde in Berlin-Mitte nicht genehmigt werden.

Warum kaufen Sie es eigentlich Herrn von Hagens nicht ab, dass er wissenschaftliche Zwecke verfolgt, ja im Grunde eine Art Volksaufklärer ist?

Hanke: Der wissenschaftliche Umgang mit Leichen ist in Berlin strikt im Sektionsgesetz geregelt. Das sieht keine öffentliche Zurschaustellung von plastinierten Leichen vor. Mit den heutigen technischen, multimedialen Möglichkeiten kann man hervorragende Ausstellungen zur Gesundheitsaufklärung und -förderung organisieren, ohne sensationell Leichen zu präsentieren.

Was stört Sie am meisten an den Körperwelten: Die Tatsache, dass dort Leichen und Leichenteile gezeigt werden? Oder die Tatsache, dass diese auch noch in Rollen auftreten, etwa als Skatspieler, als Torwart, als Reiter oder als Liebespaar?

Hanke: Als Verwaltungschef halte ich mich an Recht und Gesetz. Als Bürger kritisiere ich auch die voyeuristische Art der Darstellung. Dies ist pietätlos und reißerisch. Es gibt auch eine postmortale Würde des Menschen. Die wird hier verletzt.

Wie wird es in Berlin mit der von Ihnen verbotenen Ausstellung, die im Sockelbau des Fernsehturmes am Alexanderplatz geplant war, jetzt ei-
gentlich weitergehen? Hat sich die Sache damit endgültig
erledigt? Stehen noch Prozesse an?

Hanke: Die Ausstellung ist untersagt. Ich gehe davon aus, dass die Betreiberin sich daran hält. Ansonsten hat der Rechtsstaat Instrumente, Recht auch durchzusetzen. Einer gegebenenfalls gerichtlichen Überprüfung sehen wir gelassen entgegen.

Was sagen Sie den zahlreichen Anhängern, die die Technik der Plastination ja auch hat? Diese Besucher betonen, Sie hätten hier so viel über den menschlichen Körper, seinen Aufbau, seine Faszination, seine Vergänglichkeit gelernt wie sonst nirgendwo, weder in der Schule noch im Privatleben?

Hanke: Eine sehr subjektive Sicht. Es gibt genügend Möglichkeiten, sich umfassend und anschaulich über das menschliche Leben zu informieren. Ich bezweifle, dass Themen wie der Sinn des Lebens und seine Vergänglichkeit auf einem ethisch angemessenen Niveau in einer solchen Ausstellung erörtert werden können. Der Sinndiskurs, der in unserer Gesellschaft häufig durch die Verdrängung des Todes aus dem Alltag zu kurz kommt, muss werteorientiert geführt werden. Dazu gehört eben auch, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch gemacht werden sollte.

Wie stand es bei Ihnen im Bezirk Berlin-Mitte um die gesellschaftliche Akzeptanz der Ausstellung? Wer waren die Gegner, wer die Befürworter der Körperwelten?

Hanke: Es gibt natürlich auch hier Befürworter. Aber der Bezirk bekommt viel Zustimmung für seine Haltung und rechtliche Anwendung. Klar, gegen die Ausstellung haben die beiden großen Kirchen Stellung genommen, aber auch Unternehmen in unmittelbarer Nachbarschaft wie auch die Tourismusbranche in Berlin, die eine Banalisierung des Zentrums der deutschen Hauptstadt befürchtet.

Haben Sie selbst eigentlich jemals eine Körperwelten-Schau mal irgendwo gesehen? Und wenn ja, mit welchen persönlichen Eindrücken?

Hanke: Nein, ich habe die Ausstellung aus ethischen Gründen bewusst noch nie besucht. Allerdings kenne ich die Exponate und Konzeption aus Unterlagen und entsprechenden Veröffentlichungen. Wir sind eine freiheitliche, plurale Gesellschaft, doch es gibt ethische Grenzen, die nicht überschritten werden sollten und die der Gesetzgeber definiert hat.

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