Machomann904: "Der Hip-Hop von heute ist ausgelutscht"

19.5.2016, 06:00 Uhr
Machomann904:

© Fotos: Michael Matejka

Ihre echten Namen wollen Joker478, Sonik461 und Fontane904 lieber für sich behalten, ebenso den ihres einsitzenden Kollegen Shortie75. Die (Postleit)-Zahlen in ihren Künstlernamen lassen jedoch erahnen, aus welchem Stadtteil sie stammen.

Wieso rappt ihr?

Joker: Na ja, ich kann nicht singen, keine Chance. Also dachte ich mir, dann mache ich eben mit dem Mund Musik. Genau das ist Rap für mich.

Sonik: Ich konnte mit Hip-Hop sehr viel in Worte fassen, meine Gedanken strukturieren und ausdrücken. Man kann Dinge zur Sprache bringen, die man im täglichen Leben lieber für sich behält.

Fontane: Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, jeder spielte ein Instrument, es wurde viel gesungen - nur eben kein Rap. Da hab ich mir ein paar Beats geholt und einfach mal drübergerappt - mit dem Kackmikrofon meines Headsets. Irgendwann wollte ich das Ganze professioneller angehen.

Joker ist 23 Jahre alt, ein gebürtiger Fürther, aber in Irland aufgewachsen. Der 24-jährige Sonik stammt aus der Ukraine und lebt seit seinem achten Lebensjahr in Nürnberg. Fontane wurde in Pegnitz geboren, die Familie des 20-Jährigen kommt aus dem Iran. "Migrationshintergrund, was sonst", lacht Fontane. "Hip-Hop ist halt ‘ne Einwanderer-Musik." Die drei Machomänner sind voll berufstätig, Sonik und Fontane arbeiten im Einzelhandel, Joker auf dem Bau.

Wie ist Machomann904 entstanden?

Fontane: Wir sind uns sprichwörtlich auf der Straße über den Weg gelaufen, durch Shortie habe ich Joker und Sonik kennengelernt. Wir hatten dieselben Vorstellungen von Rap, also sind wir ins Studio gegangen. Im Moment sind wir nur zu dritt, Shortie fehlt. Doch wir werden auf unseren Bruder warten und für ihn rappen.

Ihr bezeichnet euren Stil als "autobiografisch-ironischen Gangsterrap". Wie viel "Gangster" steckt denn in euch?

Joker: Wir sind Nürnberger Jungs von der Straße und keine Gangsterbosse wie Pablo Escobar (lacht). Aber wir stehen mit der hiesigen "Unterwelt" so weit in Verbindung, dass wir genug darüber erzählen können.

Fontane: Wenn man nur Mist sieht, kann man nicht über Blumen rappen. Unsere Leute tragen keine Business-Anzüge, sind keine Banker und Anlageberater. Wir leben abseits dieser heilen Welt und haben im Grunde keine andere Wahl als über die Scheiße zu rappen, mit der wir täglich konfrontiert werden. Und das machen wir auch - unzensiert.

Sonik: Wir wollen Drogen und Kriminalität nicht glorifizieren. Doch so ehrlich sind wir: Es gibt illegale Dinge, die ihren Reiz haben. Bei manchen halten wir es auch für falsch, dass sie illegal sind (lacht).

Eine Stilrichtung wie der Gangsterrap badet meist in den eigenen Klischees. Doch hat man erst einmal einige Songs der Nürnberger gehört, spürt man, dass hier ungeschliffene Diamanten am Werk sind: Die Texte sind rau und direkt, oft aggressiv und bewusst exaltiert, dann voll bitterer Ironie. Eine genaue Beobachtungsgabe mischt sich mit mal derben, mal cleveren und wortgewandten Anspielungen auf die typischen Themen des Genres wie Drogen, Kriminalität und das Leben in sogenannten Problemvierteln: „Es ist wieder so ‘ne Nacht / Ich such Schlaf, mein Kopf lässt nicht / Erinnerungen? Für viele schön, doch für mich sind sie lästig / Ob‘s mir passt, wie ich leb‘? Nein, ich hasse es, zu sehen / Doch hoffentlich durch meine Raps könnt ihr den Hass hier verstehen.“ (aus dem Song „Pistole“ von Joker478 und Sonik 461).

Joker: Diese Themen spielen bei uns natürlich eine zentrale Rolle. Aber nicht zum Selbstzweck. Wir rappen über das, was wir sehen, was uns passiert. Eine subjektive Sache, aber auch authentisch. Ich nenne es real.

Und dafür liefert euch Nürnberg reichlich Inspiration?

Joker: Das ist das Komische an Nürnberg: Obwohl es für mich keine Großstadt ist und viele Viertel und deren Einwohner geradezu nach Provinz miefen, gibt es hier mehr als genug, worüber man rappen kann.

Machomann904:

Sonik: Nürnberg hat eine Romantik. Vielleicht gerade, weil sich hier so wenig ändert: Wenn ich abends durch die Stadt gehe, sehe ich diese ganzen Straßenmusiker - seit meiner Kindheit sind das dieselben, am gleichen Fleck. Schnell kennt man jede Ecke, trifft die immer gleichen Leute – auch die gleichen Schläger, die gleichen Dealer, die gleichen Arschgesichter.

Joker: Das ist einerseits ziemlich trist. Andererseits macht das den Charme und Charakter der Stadt aus. Man muss nur die schrägen Töne aus dieser Eintönigkeit herauszufiltern wissen.

Fontane: Unser Bruder Shortie ist im Norikus aufgewachsen, Joker hat direkt daneben gewohnt, Sonik und ich lebten auch in der Nähe. Früher war es der Hotspot für Kriminalität und Drogen. Heute hat sich das ein bisschen gebessert, aber es passiert immer noch viel Mist dort. Genug, um uns zu ehrlichen Texten zu inspirieren.

Beschreibt die Nürnberger Hip-Hop-Szene.

Sonik: Kaputt. Oder nicht existent.

Fontane: Nicht nur in Nürnberg ist das so: Es gibt in Bayern generell keine richtigen Plattformen für Nachwuchs-Rapper. Jeder, der aus dieser Musik was machen will, muss es aus eigener Kraft schaffen. Das ist schade, weil es anderswo, beispielsweise in NRW, viele Labels gibt, die jungen Künstlern unter die Arme greifen.

Sonik: Und die wenigen aus Bayern, die es geschafft haben, verduften schnell aus dem Freistaat. Wir sind hier auf uns selbst angewiesen. Das gibt uns wiederum aber auch eine gute Portion Trotz und Selbstbewusstsein: Nicht rumheulen, sondern machen!

Ihre Musik produzieren Machomann904 komplett allein: Von den Texten über die Beats, von Studioaufnahmen und dem Mix, bis hin zu den Videos. Ihre Songs und Clips veröffentlichen Machomann904 über eigene YouTube-Channels und in sozialen Netzwerken wie Facebook. Die Qualität ihrer Videos ist beeindruckend, vor allem angesichts der Tatsache, dass sie in Eigenregie zustande kommen und praktisch ohne jedes Budget.

Habt ihr musikalische Vorbilder?

Sonik: Eminem war früher ganz wichtig für uns. Die alten Sachen von Bushido und Sido ebenfalls. Das ganze Aggro-Berlin-Ding hat uns auf jeden Fall ziemlich beeindruckt. Da waren wir ja noch Kinder, natürlich hat uns das geprägt.

Joker: Aber aktuell haben wir eigentlich keine Vorbilder, außer vielleicht Kendrick Lamar - der macht spannende Sachen, der ist noch hungrig. Die Größen von einst sind mittlerweile satt und reich - alteingesessen eben.

Fontane: Seitdem ich mit den Jungs Musik mache, höre ich wenig von anderen Künstlern. Ich achte nicht darauf, auf welcher Rap-Schiene alle fahren. Weil du irgendwann nur noch Trends hinterherrennst. Da ziehe ich lieber mein eigenes Ding durch. Was es schon gibt, braucht keiner.

Joker: Ich stand zweimal unter Vertrag, zweimal ein glatter Reinfall. Jetzt ist alles selfmade.

Wenn man euch von den großen Rapstars reden hört, fällt meistens der Begriff "früher". Ist Hip-Hop aus der Mode gekommen?

Joker: Die Medien und das Internet haben Rap größtenteils zerstört. Alle können heute ihr Zeug im Netz veröffentlichen, irgendwelche Hanswürste, die denken, sie wären Rapper, ballern zwei schlechte Reime raus und stellen es sofort online. Qualität spielt dabei keine Rolle mehr, die schiere Masse erschlägt einen. Und echte Talente gehen in dieser Masse unter.

Fontane: Das war um die Jahrtausende noch ganz anders. Eminem hat seinerzeit den Hip-Hop auf der ganzen Welt so unglaublich populär gemacht. Er war witzig und böse, neu und radikal.

Joker: Eben all das, was uns unsere Eltern verboten haben. Und heute hören unsere Eltern selber Rap. Hip-Hop ist ausgelutscht. Innovation gibt es nur noch abseits der Charts.

Wo wollt ihr hin?

Sonik: Keiner von uns kann sich vorstellen, dass er in zwei Jahren von der Menge gefeiert auf der Bühne steht. Auch, wenn wir uns das natürlich wünschen würden. Aber wir hängen hier fest.

Fontane: Ich glaube, im Moment wäre ich nicht mal fähig, aus Nürnberg wegzuziehen.

Joker: Die Hoffnung, von unserer Musik leben zu können, ist selbstverständlich da. Anders würde es auch keinen Sinn mache, dann könnten wir ja gleich mit dem Rappen aufhören. Wir wollen es schaffen. Aber wir wollen dafür niemandem . . . (räuspert sich) . . . ich formuliere es mal so: in den Arsch kriechen.

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