Mancher Landser brach zusammen und weinte

18.4.2020, 06:12 Uhr
Ein amerikanischer Soldat führt Angehörige der deutschen Luftwaffe in ein Kriegsgefangenenlager.

© Foto: Stadtarchiv Nürnberg/Signal Corps Ein amerikanischer Soldat führt Angehörige der deutschen Luftwaffe in ein Kriegsgefangenenlager.

Mittwoch, der 18. April, war wieder ein strahlender Frühlingstag. Die ganze Nacht über hatte die US-Artillerie auf die noch unbesetzten Teile der Stadt gefeuert und den Beschuss, als es hell wurde, sogar noch intensiviert. Entlang der Haupteinfallsrouten Nürnbergs wurde heftigst gekämpft. Die deutschen Verteidiger, allen voran die Soldaten der Waffen-SS und die Luftwaffen-Infanteristen, standen zwar mit dem Rücken zur Wand, wehrten sich aber umso erbitterter. Sie zwangen die Amerikaner mancherorts, Haus für Haus zu durchkämmen und zu erobern.

Im Norden und Nordosten der Stadt gestaltete sich der Vormarsch der 3. US-Division äußerst zäh. Vor allem in St. Johannis wurden die GIs von den oberen Stockwerken noch intakter Häuser und von Ruinen aus mit einem wahren Trommelfeuer eingedeckt. "Das MG-Feuer war so stark, dass es sich wie ein ständiger Hagelschlag auf einem Blechdach anhörte", berichtete ein Zeitzeuge, der sich vermutlich wie alle Zivilisten in einem Keller verborgen hielt. Aus Kleinreuth und Großreuth hinter der Veste, aus Buch und Thon wurden ebenfalls immer wieder schwere Gefechte gemeldet.

Ein weiteres Widerstandszentrum lag in der Bayreuther Straße, im Bereich des Stadtparks, bei der Reformationsgedächtniskirche sowie in der Sulzbacher Straße. Bis zum Abend allerdings hatten die US-Regimenter bereits die Welser- sowie die Maxfeldstraße erreicht und die Verteidiger in Richtung des Nürnberger Mauerrings abgedrängt. Patrouillen sicherten die eroberten Stadtteile, durchkämmten die Häuser und sammelten die überall herumliegenden Waffen samt Munition ein.

Auch die Soldaten und Offiziere der 45. US-Infanterie-Division mussten an diesem Tag zur Kenntnis nehmen, dass die Kämpfe härter wurden. Schwerpunkte waren hier Mögeldorf, Zabo, die SS-Kaserne, Steinbühl und Gibitzenhof. Die Männer, die in diesem Bereich gegen die Amerikaner antraten, waren zum großen Teil erfahrene Landser, die mit Karabinern, Maschinengewehren und Panzerfäusten umzugehen wussten. Sie starteten an mehreren Stellen sogar kleine, erfolgreiche Gegenangriffe, die letztlich aber vergeblich waren und das Vordringen der GIs nur um Stunden verzögerten.

Besonders verbissen gerungen wurde um Mögeldorf. Hier standen den GIs vor allem Luftwaffensoldaten, etliche versprengte Wehrmachtsangehörige und eine Kompanie Hitlerjugend gegenüber. Nach Beendigung der Kämpfe brannten mehrere Häuser lichterloh, es lagen 30 deutsche Soldaten und sieben Zivilisten tot in den Straßen. Auf selbst gezimmerten Tragbahren und mit Handwagen sammelten die Mögeldorfer die Leichen ein und bestatteten sie in einem Gemeinschaftsgrab.

Bis zum Abend hatten die Amerikaner jedoch auch im Süden die deutsche Widerstandslinie überrollt. Ihre Front verlief abends von An den Rampen über Gibitzenhof-Tunnel, Landgrabenstraße, Wölckernstraße, Peterskirche, Stephanstraße, Gleißhammerstraße bis zur Ostendstraße. Panzerspitzen standen bereits nahe der Stadtmauer.

"Vielleicht das spektakulärste Ereignis des Tages war die Einnahme der die Stadt beherrschenden Luitpoldarena, des Schauplatzes des höchsten Nazifestes, des alljährlichen Reichsparteitags", vermeldete stolz die Chronik der 45. Division. "Im Zentrum der Arena stand das mächtige Podium, von dem aus Adolf Hitler, Reichsmarschall Hermann Göring und Propagandaminister Joseph Goebbels elf Jahre lang einer hysterisch jubelnden Masse verkündet hatten, dass morgen Deutschland die Welt beherrschen werde. (...)."

"Der Endkampf um die Stadt der Reichparteitage beginnt"

Als Gauleiter Karl Holz erfuhr, dass sich die Amerikaner bis auf einen Kilometer an die Stadtmauer herangearbeitet hatten und den Belagerungsring schlossen, beriet er sich mit Oberbürgermeister Willy Liebel und dem Gauobmann der Deutschen Arbeitsfront, Georg Ganninger, was angesichts des bevorstehenden blutigen Finales noch zu tun sei. Weil der Gefechtsstand im Panierskeller inzwischen in Reichweite amerikanischer Granatwerfer lag, zog sich die braune Führungsclique in den Palmenhofbunker zurück, der durch einen Stollen mit dem Polizeipräsidium verbunden war.

Das Funkgerät im Präsidium stellte mittlerweile die einzige Verbindung zu höheren Kommandostellen dar. Von dort ließ Holz devot nach Berlin melden: "Mein Führer! Der Endkampf um die Stadt der Reichsparteitage beginnt. Die Soldaten schlagen sich tapfer und die Bevölkerung ist stolz und standhaft. Ich werde in dieser deutschesten aller Städte bleiben, kämpfen und fallen. In diesen Stunden schlägt mein Herz mehr denn je in Liebe und Treue für Sie und für das herrliche deutsche Reich und Volk. Die nationalsozialistische Idee wird siegen und alle Teufelei überwinden. Es grüßen Sie die Nationalsozialisten des Gaues Franken in deutscher Treue."

Ein Infanterist der 3. Division sucht vor Heckenschützen Deckung hinter einem Panzer in der Nähe des heutigen Staatsarchivs.

Ein Infanterist der 3. Division sucht vor Heckenschützen Deckung hinter einem Panzer in der Nähe des heutigen Staatsarchivs. © Foto: Stadtarchiv Nürnberg

Und, was niemand erwartet hatte, Adolf Hitler reagierte höchstpersönlich. Kurz nach Mitternacht am 19. April ging folgendes Telegramm ein: "Ich danke Ihnen für Ihr vorbildliches Verhalten. Nicht nur die Volksgenossen Ihres eigenen Gaues, denen Sie allen vertraut sind, richten Sie dadurch auf, sondern auch viele Millionen anderer (sic!) Deutscher. Es beginnt jetzt jener Kampf des Fanatismus, der an unser eigenes Ringen um die Macht erinnert. Wie groß auch immer im Augenblick die Übermacht unserer Feinde sein mag, am Ende wird sie - genauso wie einst - trotzdem zerbrechen. Ich würdige Ihr heldenhaftes Wirken in herzlicher Dankbarkeit durch Verleihung des Goldenen Kreuzes des Deutschen Ordens."

Begeistert über diese Ehrung durch den Führer nahm Holz sein eigenes Goldenes Parteiabzeichen ab und heftete es dem Gefolgsmann Ganninger an die Brust. Ob er trotz seines kindlich anmutenden Stolzes ahnte, dass er soeben den "Totenorden" des "Dritten Reichs" erhalten hatte? Allen bisher damit ausgezeichneten Nazi-Größen war das Kreuz des Deutschen Ordens jedenfalls postum verliehen worden. Zudem reichte der Gauleiter noch in derselben Nacht seinem Intimfeind Willy Liebel die Hand und bot ihm sowie Ganninger das "Du" an. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass die drei Männer mit ihrem Leben abgeschlossen hatten.

Während im Stadtzentrum Nürnbergs noch gestorben wurde und die Amerikaner in den besetzten Gebieten Ausgangssperren verhängten, hatten die Knoblauchsländer Bauern schon wieder ganz andere Sorgen. "Sie dürfen von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends das Feld bestellen und bringen schon die erste 1945er Ernte ein: Spargel . . . !", schrieb unser Gewährsmann Fritz Nadler.

"Die köstliche Feldfrucht schießt in diesen warmen Apriltagen mit aller Macht aus der Erde. Der Spargel-Segen ist teils schon in Körbe verpackt, teils liegt er noch auf den Tischen der großen Bauernstuben. Aber die Bauern fragen: 'Was sollen wir denn damit anfangen?" Sie können die Frucht nicht an die hungernden und darbenden Nürnberger heranbringen, denn im Raum zwischen Nürnberg und dem Knoblauchsland tobt Kampfgetümmel."


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