Melanchthon-Direktor: Von der Schulbank auf den Chef-Sessel

14.1.2017, 06:00 Uhr
Melanchthon-Direktor: Von der Schulbank auf den Chef-Sessel

© Foto: Matejka

Ins Büro vom "Direx" war Hermann Lind nicht erst als Erwachsener vorgedrungen, sondern schon als Schüler, erinnert er sich - und das nicht etwa wegen grober Verfehlungen oder dummer Streiche, sondern als einer, der bei der Schülerzeitung mitarbeitete und an der Planung von Schulveranstaltungen beteiligt war.

Dass sich die Eltern dafür entschieden hatten, den Jungen am Melanchthon anzumelden, war zwar wie bei vielen anderen Familien kein Zufall, aber auch nicht unbedingt das Ergebnis umständlicher Überlegungen. "Bei mir war es eigentlich ganz einfach: Mein Bruder war schon hier, das Gebäude gefiel mir, und ich habe mich vom ersten Tag an wohlgefühlt", erzählt er. Obwohl ihm mit Latein als erster Fremdsprache durchaus einiges abverlangt wurde.

Als eines von nur noch vier Gymnasien in Bayern ist das Melanchthon bis heute eine rein altsprachliche Bildungsstätte mit der Sprachenfolge Latein, Englisch, Griechisch. Die Folge: Der Klassenverband bleibt von der 5. bis zur 10.Klasse unverändert, weil keine Differenzierung zum "Neusortieren" zwingt. Und seine eigene Schulzeit sei, beteuert Lind, auch nicht anders verlaufen oder von mehr Strebsamkeit geprägt gewesen als die seiner Kumpels: "Nach dem Abitur wollte ich erst etwas ganz anderes machen als Lehrer zu werden."

Melanchthon-Direktor: Von der Schulbank auf den Chef-Sessel

© Michael Matejka

Bei einer sechswöchigen Reise mit Freunden nach Griechenland seien die Weichen dann doch in diese Richtung gestellt worden. "Das Land hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Danach entschloss ich mich, Archäologie, Alte Geschichte und eben Griechisch zu studieren", berichtet Lind weiter. Ein paar Semester verbrachte er in Tübingen - unter anderem um dem bekannten Professor Walter Jens zu lauschen, dem Top-Spezialisten für die schon in der Antike hoch geachtete Kunst des Redens (Rhetorik). Fürs Lehramt kam dann noch Latein hinzu.

Aber an Griechisch hatte ihn von Anfang das philosophische Fragen begeistert. Das ist es, wofür er seine Schüler bis heute zu begeistern versucht und weshalb er auch als Schulleiter wenigstens in einem Oberstufenkurs weiter Unterricht hält. "Klar: Die ersten zwei Jahre mit dem Grammatiklernen muss man durchstehen" räumt er ein, "aber dann wird es richtig interessant." Um Beispiele für die Aktualität der Klassiker ist er nicht verlegen: "In der Auseinandersetzung mit König Kreon folgte Antigone ihrem Gewissen und ließ sich nicht beirren – so wie heute mutige Oppositionelle gegen Diktatoren stellen."

Ein glücklicher Zufall war beim Einstieg in die Lehrerlaufbahn auch im Spiel gewesen: "Eigentlich sah es bei den Einstellungen ganz düster aus", erinnert er sich. Wegen seiner Fächerkombination Latein und Griechisch kamen und kommen ohnehin nur eine Handvoll Schulen in Betracht. Nur zu gern hätte er noch eine Zeit als Assistent an der Universität verbracht. Als dann aber plötzlich doch ein Posten zu vergeben war, und das am Melanchthon, musste er nicht lange überlegen. Eine Weile blieb er der Jüngste im Kollegium - keine Kunst bei einem gehobenen Altersdurchschnitt, weil zu wenig Nachwuchs engagiert wurde.

Natürlich kommt ihm heute alles flüssig über die Lippen, was man von einem Schulmann mit Leidenschaft erwartet: das Bekenntnis zum Traumberuf, die Beschwörung der Wertevermittlung auf humanistischer Basis als Kernauftrag und das Versprechen, die Digitalisierung voranzutreiben. Und bei alledem die Kritikfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu fördern.

Oft auf Klassenfahrt

Dass man ihm das auch tatsächlich abnimmt, hat vermutlich mit zwei "Schwächen" zu tun, die dem Lehrer-Klischee nicht unbedingt entsprechen: Während so mancher seiner Kollegen froh ist um jede Klassenfahrt, die er oder sie nicht betreuen muss, ist Lind schon mehr als zwei Dutzend Mal mit Schülern ins Land von Aristoteles und Perikles aufgebracht. Und privat verbringt er ohnehin fast jeden Sommer auf irgendeiner Insel, freut sich auf Kontakte mit Einheimischen - und spricht und versteht auch leidlich Neugriechisch.

Und dann wäre da noch eine ganz andere Welt: Lind ist bekennender, mal leidender, mal beflügelter Clubfan und lässt, soweit irgend möglich, kein Heimspiel aus. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben seit der Jugend.

Was aber hat sich an der "Penne" von einst geändert? Äußerlichkeiten wie die Einführung der offenen Ganztagsschule, verbunden auch mit einem Neubau. Vielleicht auch, etwas tiefer, dass Schule in der veränderten Lebenswelt nicht mehr denselben Stellenwert wie früher hat. Und wie steht es um den Ruf einer elitären Bildungsanstalt, an der vorzugsweise Kinder aus "gutbürgerlichen Kreisen" wohl behütet unter sich sind?

 

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