Mit Rockmusik gegen alte Strukturen

28.9.2016, 16:45 Uhr
Mit Rockmusik gegen alte Strukturen

© Foto: Trigon-Film

Tunis, 2010: Es liegt etwas in der Luft. Doch für Farah (Baya Medhaffer), gerade mal 18 Jahre alt, ist es so oder so ein Sommer voller Abenteuer. Mit ihrer Band spielt sie die ersten öffentlichen Auftritte in den Bars der Stadt, trinkt Bier, raucht Zigaretten und tauscht mit ihrem Freund, dem Lautenspieler Borhène (Montassar Ayari), nachts im Park zärtliche Küsse aus.

Doch anderen ist so viel Teen Spirit ein Dorn im Auge. Eines Tages bekommt Farahs Mutter Besuch von einem ehemaligen Studienfreund, der eine deutliche Warnung überbringt: Farah möge sich hüten, in Männerbars herumzuhängen und Musik zu machen. Schließlich ist Tunesien ein arabisch-islamisches Land und Rockmusik dort nicht wohlgelitten, vor allem dann nicht, wenn die Lieder auch noch regimekritisch sind.

Unter den Augen der Polizei

Hinzu kommt, dass Farah das Abitur mit Bestnote bestanden hat und die Familie sich nun ein Medizinstudium wünscht. Als die Mutter Farah verbietet, weiter Musik zu machen, kommt es zum großen Krach. Auch Bandmanager Ali (Aymen Omrani) verlangt von den Musikern, die Texte zu ändern, damit sie bei der Politik nicht noch weiter anecken. Doch die Polizei hat bereits ein Auge auf die Band geworfen . . .

Tunesien ist das erste arabische Land, das auf der „Freedom Map“ der Organisation „Freedom House“ mit dem Status „frei“ bewertet[44][/44] wurde. Das war 2015. Doch in dem nordafrikanischen Land liegt nach wie vor vieles im Argen. Die Gesellschaft tändelt zwischen Aufbruch und Rückfall in alte Strukturen, die trotz Reformen nie vollends ausgehebelt wurden.

Leyla Bouzids Film spielt noch dazu vor dem Arabischen Frühling, dessen erste Ausläufer hier jedoch schon spürbar sind. Die an sich konventionelle Geschichte der jungen tunesischen Regisseurin kriegt Drive durch den Schauplatz: Tunis ist nicht gerade eine Hauptstadt des Rock ’n’ Roll – Musik ist hier noch gefährlich, wer sie spielt, kriegt schnell Ärger mit der Obrigkeit. Auch die Musiker im Film finden sich alsbald auf der Polizeiwache wieder, wo sie verhört und eingeschüchtert werden. Die Geheimpolizei im Land ist mächtig, ihre Fühler reichen bis in die Familie und Freundeskreise hinein.

Schon wieder der Proberaum weg

Es sind die mit bewegter Kamera gefilmten Details, die viel über die Stimmung im Land und in der Gesellschaft verraten, wie die Szene, in der die Band schon wieder ihren Proberaum verliert, weil der Hausmeister unter Druck gesetzt wurde; oder wenn der in die Provinz versetzte Vater nach Jahrzehnten des Widerstandes endlich doch in die Partei eintritt, um nicht mehr fernab von seiner Familie arbeiten zu müssen.

Korruption, die miese Wirtschaftslage und das marode Bildungssystem sind Themen, die nebenher im Film auftauchen und eher beiläufig eingestreut werden. Auch die Dialoge (der Film läuft im Original mit Untertiteln) sind stark: „Warum gehst Du nach Hause?“, fragt Borhène Farah. „Ich habe Probleme“, antwortet diese. „Die haben wir alle. Deshalb machen wir ja Musik!“

Leyla Bouzid sieht ihren Film, der im vergangenen Jahr in Venedig den Publikumspreis und den Europäischen Kinopreis gewann, ein Stück weit als Warnung: Da ist der Traum von Freiheit, den der Arabische Frühling befeuert hat. Doch die reaktionären, männlich geprägten Strukturen innerhalb der tunesischen Gesellschaft stecken nicht kampflos auf. Die poetischen, bildreichen, jugendlich-aufbegehrenden Textzeilen, die Farah im Film mantraartig singt, bringen dies auf den Punkt und könnten so auch von Oscar Wilde stammen: „Langeweile überlebt niemand, ob trunken oder nüchtern.“

@„As I Open My Eyes“ ist im Filmhaus im Künstlerhaus, Königstraße 93, zu sehen. Zeiten auf www.kunstkulturquartier.de/filmhaus

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