Mit Rüstung unterwegs: Cosplayerin zeigt ihre Welt

23.10.2015, 15:30 Uhr
Mit Rüstung unterwegs: Cosplayerin zeigt ihre Welt

© Christian G. Photography

Jugendliche wollen sich abgrenzen und in ihrer eigenen Welt leben. Sie ziehen sich zurück oder machen Party mit Freunden. Manche färben sich die Haare bunt oder geben mit Ketten um den Hals den unnahbaren Grufti. Viele entdecken ganz eigene Interessen und fühlen sich in der Clique besonders wohl.

Gruppengefühl und die kreative Beschäftigung mit einer fantasievollen Welt, das ist es, was Marie Langer liebt. Sie begeistert sich für Cosplay und schlüpft in ihrer Freizeit in die Rolle von japanischen Mangafiguren oder mimt Charaktere aus Computerspielen.

Im wahren Leben ist Marie Gymnasiastin an der Nürnberger Maria-Ward-Schule. Sie hat große Pläne. Integrated Life Sciences möchte sie studieren und später einmal in der Forschung arbeiten. Ein Studiengang, der breite naturwissenschaftliche Kenntnisse voraussetzt und Interesse an mathematischen und physikalischen Gesetzen, Methoden und ihren Anwendungen. Es geht um Molekular- und Zellbiologie, um Genetik und Strukturphysik.

Im Abitur, das in diesem Schuljahr ansteht, braucht sie einen Schnitt von mindestens zwölf Punkten, das entspricht einer Zwei plus. Die 17-Jährige hat deshalb gerade in letzter Zeit das Gefühl, dass der Druck steigt. „Man muss ständig mit dem Kopf arbeiten und bei der Sache sein. Ich will gut sein, die Note beeinflusst ja vielleicht mein ganzes Leben“, so die Schülerin.

"Wir sind keine Freaks, die vor der Realität flüchten"

Einen Ausgleich findet sie abseits der rationalen, naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten im Bereich der Fantasie und Kreativität. Vor zwei Jahren hat sie Cosplay für sich entdeckt. Die Bewegung ist Teil der Jugendkultur, die in Japan schon zum Straßenbild gehört, in Deutschland aber noch kein Massenphänomen ist. Doch die Zahl der Verkleidungskünstler, die Charaktere aus Mangas, Comics, Videospielen oder Fantasyfilmen imitieren, wächst auch hierzulande.

Mit Rüstung unterwegs: Cosplayerin zeigt ihre Welt

© Stefan Hippel

Beim Cosplay kann Marie den mutigen Paladin aus dem Computerspiel Etrian Odyssey verkörpern, der mit einigen Getreuen einen mysteriösen Wald erforscht. Oder sie schlüpft in die Rolle eines weiblichen Gladiators aus Dragon Quest IX.

Vor sieben Jahren hatte sie neue Freunde gefunden, die sie für die Welt der Mangas und Computerspiele begeisterten. Mit ihrer Mutter besuchte sie dann „Animuc“, die größte Cosplay-Convention in Bayern. „Bei dem Treffen habe ich so freundliche kreative Leute kennengelernt, die ihre Kostüme selbst gemacht und dem Publikum vorgestellt haben. Es kam nicht darauf an, einander zu übertrumpfen, sondern miteinander Spaß zu haben“, sagt Marie, und ihre Augen funkeln vor Freude. Bald hatte sie mit ihrer neuen Leidenschaft auch ihre Freunde angesteckt.

Seither ist sie unter dem Nicknamen Caruka in der Cosplay-Szene fest verwurzelt und hält Kontakte zu vielen Gleichgesinnten. Sie fahren in ihrer Freizeit gemeinsam auf Cosplay-Treffen, arbeiten an ihren Kostümen und treffen sich zu Foto-Shootings, bei denen sie ihre virtuellen Charaktere inszenieren. Die Fotos werden anschließend im Internet gepostet. „Wir sind aber keine Freaks, die vor der Realität in eine andere Welt flüchten“, tritt Marie einem Vorurteil entgegen. „Andere junge Leute gehen ins Kino oder in die Disco, wir basteln.“

Kreativer Ausgleich

Es geht nämlich nicht nur ums Darstellen mit oder ohne Publikum, es geht vor allem auch um die kreativ-handwerkliche Arbeit. Während viele junge Menschen heute nicht einmal mehr einen Knopf selber festmachen können, sind Nähen und Basteln der Kostüme für Marie ein unverzichtbarer Ausgleich zum fordernden Schulalltag.

Insgesamt zehn Charaktere in ihrer noch jungen Cosplayer-Karriere hat sie schon umgesetzt. „Aber ich habe noch Tausende Ideen im Kopf“, erzählt Marie. Während sich andere High Heels oder einen eigenen Fernseher zu Weihnachten schenken lassen, hat sie sich Geld für eine Nähmaschine gewünscht, die in ihrem Zimmer einen prominenten Platz gleich neben ihrem PC einnimmt. Über YouTube-Tutorials hat sie sich schlaugemacht, wie man Cosplay-Accessoires bauen kann. Den Umgang mit Heißklebepistole und Stichsäge hat ihr der Opa gezeigt.

Inzwischen ist Marie schon ein Profi: Ihre selbst gemachten Rüstungen sehen fast aus, als wären sie tatsächlich aus Metall geschmiedet. Dabei bestehen sie — Schicht für Schicht aufgebaut — aus plastischen Werkstoffen, wie „Worbla’s Finest Art“, einem thermoplastischen Material, das sich mit dem heißen Föhn leicht verformen und so den Körperformen anpassen lässt. Es dient als „Grundgerüst“, Holzleim, Farbe und Lack bilden das Finish. Dabei kommt es vor allem auf die richtige Bemalung mit Licht- und Schatteneffekten an, einer Technik, die die Schülerin meisterlich beherrscht.

Aber was wären Kriegerin oder Paladin ohne die passende Frisur? Perücken aus Kanekalon-Fasern machen fast jede Verwandlung mit. Sie lassen sich mit Lockenwicklern, heißem Wasser oder Föhn stylen. Und schon hat die 17-Jährige statt ihres rötlichen Pagenkopfes einen kurzen schwarzen Schopf oder eine rotblonde Langhaarmähne — ganz wie es die virtuellen Vorbilder erfordern.

"Ich will das nicht machen müssen"

Würde es bei so viel Kreativität und Know-how im Umgang mit Werkstoffen und Textilien nicht nahe liegen, eher einen Beruf als Kostüm- oder Maskenbildnerin anzustreben, statt ausgerechnet einen als Naturwissenschaftlerin? „Basteln, Verkleiden, Darstellen, das ist beim Cosplay ganz freiwillig. Ich will es nicht machen müssen, sondern mich daran freuen, dass ich es machen kann, wann ich will ...“, sagt Marie.

Dafür nimmt sie auch mal ein bisschen Spott in Kauf, wenn sie kostümiert auf dem Weg zu einem Shooting oder einer Convention ist und ihr Leute nachrufen „Fasching ist doch schon lang vorbei!“ Dann kontert sie nicht gekränkt, sondern mit Humor: „Aber Halloween steht schon vor der Tür.“ Für das Kürbisfest heuer arbeitet sie schon am Kostüm für eine Lichtgöttin. Die Led-Leuchten sind gekauft, das Gewand fast fertig...

Cosplay bezeichnet einen japanischen Verkleidungstrend, der mit dem Manga-Boom, dem Aufkommen der japanischen Comics, nach Amerika und Europa kam. Der Begriff ist zusammengesetzt aus den englischen Worten costume (Kostüm) und play (Spiel) und heißt so viel wie Kostümspiel.

Beim Cosplay stellen die Teilnehmer Charaktere aus Computerspielen, Manga-, Zeichentrick- oder Spielfilmen möglichst originalgetreu dar. Sie mimen nicht nur deren Verhaltensweisen. Ganz wichtig ist auch das originalgetreue Kostüm, das die meisten Cosplayer mit viel Liebe zum Detail selbst nähen und basteln.

Die Info-Plattform CosBase geht — abgeleitet von Besucherzahlen auf den Cosplayer-Treffen und den Nutzern von Internetseiten — von mindestens 5000 aktiven Cosplayern in Deutschland aus. Wenn man alle dazuzählt, die sich in den letzten Jahren zumindest zeitweise ins Kostüm geworfen haben, dürfte die Zahl deutlich höher liegen.

Bei Cosplay handelt es sich nicht um ein nationales Phänomen, sondern um ein globales. Amerika und Asien sind zwar Hochburgen, aber auch in Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien gibt es inzwischen eine sehr aktive Szene.

Seit 2007 findet auf der Frankfurter Buchmesse immer das Finale der Deutschen Cosplay Meisterschaften statt. Bei Conventions wie AnimagiC (Bonn), Connichi (Kassel), Animuc (Fürstenfeldbruck) und Frankenmexx (Nürnberg) treffen sich die Cosplayer, performen ihre Lieblingscharaktere und stellen ihre aufwendigen Verkleidungen vor.

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