Möglich ist alles

18.3.2016, 20:06 Uhr
Möglich ist alles

© Thomas Correll

Es riecht nach Holz und Politur, die Sonnenstrahlen, die durch die hohen Fenster fallen, brechen sich an vereinzelten Staubkörnern in der Luft. Im Hintergrund hört man ein leises Schaben.

Die Werkstatt des Familienbetriebs Antik-Reichel liegt nur wenige Meter von der U-Bahnstation Herrnhütte entfernt. Anfang des Jahres hat Marika Schmidt, geborene Reichel, den ursprünglich von ihrem Großvater gegründeten Restaurationsbetrieb übernommen. Seit über 80 Jahren bestimmt der Rohstoff Holz nun das Leben der Familie.

Schreinern aus Leidenschaft

„Als Kind war ich fast jeden Tag in der Werkstatt“, erinnert sich Marika Schmidt. „Eigentlich habe ich nie etwas anderes gemacht.“ So war es auch kein Wunder, dass sie eine Ausbildung zur Schreinerin absolvierte. In der Berufsschule lernte sie dann ihren Ehemann, Ralf Schmidt, kennen. „Antik-Reichel blickt auf eine lange Geschichte zurück“, erzählt sie gedankenverloren. „1934 hat mein Großvater in einem Pferdestall damit begonnen, alte und beschädigte Möbel zu restaurieren. Bis heute haben wir Kunden, die zu uns kommen und sagen: ,Ihr Opa hat meinen Sekretär damals restauriert. Und er hält immer noch.‘“

„Alles was aus Holz ist, machen wir“, fasst Ralf Schmidt zusammen. Inzwischen hat sich der Betrieb weitestgehend auf Restaurationen spezialisiert, es kommt eher selten vor, dass Antik-Reichel komplett neue Möbel baut. „Wir beheben auch Wasser-, Brand- und durch Würmer verursachte Schäden.“ Das Entwurmen von Mobiliar erfolgt nicht mit dem Einsatz von Giften, sondern schlichtweg durch Hitze. Das Holz wird in einer Art Sauna auf über 50 Grad Celsius erhitzt bis die Würmer in ihm denaturieren. Da der Rohstoff Wärme sehr gut isoliert, nimmt dieser Vorgang bisweilen einen ganzen Arbeitstag in Anspruch.

Der Betrieb arbeitet eng mit Uhrmachern und Raumausstattern zusammen. Anhand zweier Stühle zeigen die Schmidts im Ausstellungsraum, was sie mit heruntergekommenen Möbeln bewerkstelligen können. Von einer mehrfach gebrochenen Rückenlehne und abgeschabten Stuhlbeinen ist bei dem anderen Exemplar desselben Stuhlsatzes nichts mehr zu sehen.

Bei besonders altem oder beschädigtem Mobiliar ist die ganze Handwerkskunst der Schreiner gefordert. Zuerst muss herausgefunden werden, mit welchen Lacken beziehungsweise Ölen das Möbelstück vorher bereits bearbeitet wurde. Das gelingt den Profis zum Teil durch einfaches Anfassen des Holzes. „Sollten wir uns trotzdem unsicher sein, kann man sich mit Lösungsmitteln noch einmal rückversichern.“

Möglich ist alles

© Thomas Corell

Fehlen Teile an dem zu restaurierenden Gegenstand, sucht das Ehepaar oder ihr Geselle in ihrem Sammelsurium im Keller nach Altholz, welches idealerweise von der gleichen Beschaffenheit wie das Möbelstück selbst ist. Findet sich etwas Geeignetes, wird es so lange bearbeitet und gefärbt, bis es sich exakt in das beschädigte Areal einfügt.

Wir restaurieren keine Ausstellungsstücke. Wir restaurieren, damit man die Möbel auch benutzt“, betont Ralf Schmidt. Meistens sind die Schlösser und Schubladen über die Jahre am schlimmsten in Mitleidenschaft gezogen worden. Stühle, Kommoden, Tische, Sekretäre und sogar Schaukelpferde werden in der Reichel-Werkstatt wieder salonfähig gemacht.

So auch ein Halbschrank, der im Ausstellungsraum direkt über der Werkstatt steht. Er stammt aus der Zeit um 1600, der Epoche des Frühbarock, weist jedoch auch noch Einflüsse der späten Renaissance auf.

Echte Schätze

In ihm lässt sich ganz deutlich die Dekorationstechnik der „Intarsie“ erkennen. Hierbei werden verschiedene Holzarten in einem einzigen Möbelstück verbaut. Im Falle des Halbschrankes finden sich Hölzer des Faulbaums, die grün eingefärbt sind, des hellen Ahorns, der Eiche und des Nussbaums. „Das Besondere an Möbeln aus dieser Zeit ist, dass man erstmals versucht hat, verschiedene Perspektiven in die Motive auf den Möbelstücken einzubringen“, sagt Ralf Schmidt.

„Wir bekommen vorwiegend Aufträge von Privatkunden“, erzählt Marika Schmidt. Deshalb veranstaltet sie zusammen mit ihrem Mann in diesem Jahr Tage der offenen Tür. Vom 15. bis zum 16. April sind die Werkstatt- und Ausstellungstüren von zehn bis 20 Uhr für Interessierte geöffnet.

„Einmal“, erinnert sich Marika Schmidt. „gab mir eine Frau ein Foto von einem großen Schaukelpferd. Sie bat mich ihr eigenes nach diesem Vorbild umzugestalten.“ Für die Pferdeliebhaberin war dieser Auftrag unvergesslich. Sie besorgte eine Trense, einen Sattel und echtes Schweifhaar von einem Pferd und erfüllte der Kundin diesen ungewöhnlichen Wunsch. „Das Schaukelpferd war so groß, dass ich mich daraufsetzen konnte“, lächelt sie.

Früher war das anders. „Da haben wir sogar Aufträge vom Spielzeugmuseum bekommen.“ Aber die Zeiten haben sich geändert. Ganze Zimmer werden kaum noch mit antiken Möbeln eingerichtet. Solche Schmuckstücke, wie Familie Reichel sie hat, dienen heutzutage eher als ganz besondere Blickfänge.

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