Prostituiertenmörder wollte Psychologin als Geisel nehmen

17.11.2018, 05:51 Uhr
Prostituiertenmörder wollte Psychologin als Geisel nehmen

© Foto: Roland Fengler

Es war ein ganz normaler Donnerstag im Juli, als Felix R. (22) im Dienstzimmer der Psychologin saß und sich seelischen Beistand holte. Sein Großvater sei gestorben, erzählte er. Wenig später, sagt Sascha Rath, Vizechef in der Justizvollzugsanstalt, war klar: Der Tod des Großvater war eine Lüge. Ein Vorwand, um mit der Psychologin zu sprechen, der jüngsten Mitarbeiterin im Team der Gefängnis-Psychologen.

Erst drei Wochen vorher hatte die Schwurgerichtskammer Felix R. wegen Mordes verurteilt. Er hat zwei Prostituierte umgebracht und erzählt, wie er eine Frau mit Schnürsenkeln, die andere mit einem Handykabel strangulierte. Er schilderte, wie ihre Körper zuckten und er sich im Moment ihres Todes wie Gott, oder eigentlich eher wie der Tod, fühlte. Er tötete aus Mordlust, stellten die Richter in der Urteilsbegründung fest – mehrere Dutzend Zuschauer saßen im Saal, es herrschte Totenstille. Auch nach der wochenlangen Beweisaufnahme überkam viele Besucher im Gerichtssaal Entsetzen über diesen Angeklagten, der zwei Frauen das Leben nahm, weil er ihren Todeskampf beobachten wollte.

Schizoide Persönlichkeit

Für Mord gibt es nur eine Strafe: lebenslang. Frühestens nach 15 Jahren kann sie zur Bewährung ausgesetzt werden. In Bayern, der Strafvollzug ist Ländersache, bedeutet dies im Durchschnitt 22 Jahre – das derzeitige Lebensalter des Felix R. Während der Beweisaufnahme beschrieb ein Gutachter Felix R. als schizoide Persönlichkeit – sein Denken und Fühlen sei gespalten. Menschen wie ihm fehlt das Gefühl für andere, sie sind verantwortungslos und Regeln scheren sie kaum. Felix R. sei intelligent, wirklich bemerkenswert sei jedoch seine Anpassungsleistung und wie unauffällig er gelebt hatte.

Immer wieder, so wurde in der Haftanstalt dokumentiert, ging R. in den Wochen nach seiner Verurteilung zur Psychologin. "Nie gab es Probleme, die drohende Gefahr konnte keiner ahnen", so Sascha Rath. Weder die Leiter der JVA noch die Ärzte und die dort tätigen Pfarrer und Psychologen halten sich selbst für Richter. Die Ärzte sehen die Gefangenen als Patienten, nicht als Täter. Die Seelsorger begleiten die Menschen auf ihrem Kreuzweg, doch sitzen nicht stellvertretend ihre Strafe ab. Und auch die Psychologin wollte einem Menschen wie Felix R. helfen.

Mitgefangener packte aus

Das Ziel ist für jeden, der im Gefängnis arbeitet, hoch gesteckt: Sie alle treffen Menschen, mit denen nicht jeder unbedingt etwas zu tun haben will, und sie sollen — und die meisten wollen dies auch — Menschen resozialisieren, die nie sozialisiert waren. Dabei gilt es immer, die Balance zu finden zwischen menschenwürdigen Bedingungen und notwendigen Sicherheitsmaßnahmen. Manchmal werden Gefangene selbst vom Kirchgang ausgeschlossen – etwa, weil sie den Gottesdienst als erweiterten Hofgang missverstanden oder zum Tauschen von Tabak ausgenutzt haben. Doch an diesem 12. Juli, als die Psychologin Felix R. durch die Flure zurück zu seiner Zelle eskortierte, blieb alles ruhig. Vor R.s Zelle wartete ein Vollzugsbeamter. Heute, vier Monate später, sieht es so aus, als sei es dessen zufälliger Anwesenheit zu verdanken, dass die Psychologin nicht als Geisel in R.s Zelle landete.

Was er in der Zelle mit der Geisel vorhatte, ist pure Spekulation. Fest steht nur, dass ein Mitgefangener auspackte: In der Zelle waren die Fenster bereits mit hochgestellten Matratzen verstellt, und als JVA-Mitarbeiter den Haftraum kontrollierten, entdeckten sie verknotete Gummis aus dem Hosenbund von Jogginghosen. Eine Schlinge? R. bestreitet, dass er die Frau fesseln wollte, vielmehr sei mit der Schnur eine Matratze zur Rolle gebunden worden, angeblich um als Boxsack zu dienen.

600 Euro Guthaben für "World of Warcraft" gefordert

In der Zelle lag auch, notiert auf einem Blatt Papier, ein Forderungskatalog. Von Fluchtgedanken kann keine Rede sein: Felix R. schwebte ein ständig gut gefüllter Kühlschrank vor, statt Hofgang unbegrenzter Zugriff auf das Internet und 600 Euro Guthaben für "World of Warcraft". Auch von diesem Computerspiel war im Strafprozess immer wieder die Rede. Felix R. war in Freiheit täglich sieben bis 15 Stunden in der virtuellen Welt dieses Spiels unterwegs gewesen, dort erzielte er Bestmarken und lebte, bevor er als Doppelmörder enttarnt wurde, eine künstliche Identität – weit entfernt von dem arbeitslosen, straffällig gewordenen Jugendlichen, der in einer Sozialpension lebte, weil er zu Hause rausgeflogen war.

Nun wird er sich wegen versuchtem erpresserischen Menschenraub verantworten müssen – auf Anfrage bestätigt Justizsprecher Friedrich Weitner, dass bei der 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth eine Anklage einging. Doch was kann Felix R., einem zu lebenslanger Haft verurteilten Doppelmörder, überhaupt noch blühen, sollte er erneut verurteilt werden? Die Richter griffen bereits zum schärfsten Schwert, das das Strafrecht zu bieten hat: Weil zu erwarten ist, dass er erneut mordet, ordneten sie Sicherungsverwahrung an. Auch wenn er seine Strafe abgesessen hat, kommt er nur frei, wenn er nicht mehr als gefährlich gilt. Denn anders als eine Haftstrafe, steht sie in keinem direkten Zusammenhang mit der Schuld des Täters. Sie dient dazu, die Gesellschaft vor gemeingefährlichen Tätern wie Felix R. zu schützen.

Revision eingelegt

Kaum ein Urteil des Landgerichts wird nach der mündlichen Verkündung rechtskräftig; so liegt auch der Schuldspruch gegen Felix R. derzeit noch beim Bundesgerichtshof (BGH) in der Revision. Bestätigt der BGH das Urteil, wird Felix R. die lebenslange Strafhaft antreten – doch das bedeutet keinen Freibrief für weitere Straftaten, so Philipp Engl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Angenommen, das Landgericht verhängt eine weitere Freiheitsstrafe gegen Felix R., muss er erst 15 Jahre verbüßen, bis er diese Freiheitsstrafe absitzen kann. Angenommen, der BGH verweist den Doppelmord zur erneuten Verhandlung zurück, müsste aus dem Ergebnis beider Verfahren eine Gesamtstrafe gebildet werden.

Felix R. wurde sechs Tage nach dem Vorfall nach Straubing verlegt. Die dortige JVA gleicht einem Hochsicherheitstrakt, hier verbüßen Schwerverbrecher ihre Strafen. Die rasche Verlegung, so Rath, sollte natürlich den Kollegen in der JVA zeigen, wie ernst der Vorfall genommen wird. JVA-Chef Thomas Vogt habe damals sofort zum Dienstgespräch in die U-Haft geladen. Erst im Juni hatte ein Häftling einen Justizbeamten mit der Faust geschlagen, mit einer Rasierklinge angegriffen und am Kopf verletzt. Gegen den Häftling ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Mordverdachts – der betreffende Mitarbeiter will demnächst wieder zum Dienst antreten.

Die Psychologin hat ihren Arbeitsplatz nach dem Vorfall gekündigt.