Prozess in Nürnberg: Mann schlug im Streit um Taxi zu

13.7.2017, 17:55 Uhr

Die Wucht der Vorwürfe war enorm: Am 11. und 12. Oktober fand auf dem Messegelände die "Chillventa", eine Messe für Kältetechnik, Wärmepumpen und Lüftung statt – bereits tagsüber schenkten die Veranstalter Bier und Sekt aus, auch am Abschluss-Abend floss der Alkohol in Strömen. Gegen Mitternacht verließ Marco K. die Ausstellung, der Mechatroniker aus Solingen war mit seinem Chef und dessen Frau vor Ort und hatte, wie die meisten anderen auch, "ordentlich getankt", wie es gut neun Monate später Oberstaatsanwältin Gabriele Ebenhöch im Schwurgerichtssaal formulieren wird.

Mitten in der Nacht war damals kein Taxi zu kriegen – zwar warteten bereits zwei Fahrer, doch sie waren von Messegästen aus Dresden vorbestellt worden. K.s Chefin versuchte, eines dieser Taxis zu ergattern. Doch die Mischung aus Alkohol und Aggression ließ den Streit eskalieren.

Sechs Wochen krank

Laut Anklage packte Marco K. den Dresdner Jörg S. (33) und trat dem Kälteanlagenbauer mehrfach gegen Körper und Kopf, "mit einer Ausholbewegung wie gegen einen Fußball ". S. erlitt eine Gehirnerschütterung und einen Bruch der Augenhöhle, er wurde operiert und war sechs Wochen krankgeschrieben. Mit seinen Tritten gegen den Kopf riskierte Marco K. den Tod des Dresdners, nahm ihn wenigstens "billigend in Kauf", wie es im Amtsdeutsch heißt. Die Staatsanwältin warf ihm daher versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor, seit November saß K. in Untersuchungshaft. Seit in einer gemeinsamen Studie der Hochschule Regensburg, der Universität Erlangen-Nürnberg und des Polizeipräsidiums Mittelfranken erforscht wurde, wie gefährlich Tritte sind, gilt grundsätzlich: Ein Fußtritt gegen den Kopf ist ein Anschlag auf das Leben – seit 2013 ermittelt bei Fußtritten gegen den Kopf automatisch die Mordkommission.

Trotzdem bedeutet dies keinen Automatismus für das Urteil: Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme werten die Richter die Tat nicht als Totschlagsversuch, sondern nur als gefährliche Körperverletzung. Zwei Jahre Freiheitsstrafe verhängt das Landgericht Nürnberg-Fürth, die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Zu milde? Tatsächlich muss sich die Schlägerei in den Akten brutal gelesen haben. Doch die Strafprozessordnung fordert, dass nur, was in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen wird, auch dem Urteil zugrunde gelegt werden darf – ein Urteil darf nicht durch Aktenstudium allein zustande kommen. Und hier waren an drei Verhandlungstagen Zeugen zu hören, die gewaltige Erinnerungslücken hatten. Auf einem Video, an der Messe sind Überwachungskameras installiert, war zwar zu erkennen, dass Marco K. zutrat – doch Treffer gegen den Kopf des Geschädigten waren nicht zu sehen.

Reue aus tiefstem Herzen

Zu erleben war jedoch ein Angeklagter, der noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geriet und seinen Gewaltausbruch aus tiefstem Herzen bereut – über seinen Strafverteidiger Michael Spengler zahlte Marco K. dem Geschädigten Jörg S. bereits im Vorfeld des Prozesses 6000 Euro Schmerzensgeld, er übernahm dessen Anwaltskosten und entschuldigte sich mehrfach. Das Opfer akzeptierte und zog die Nebenklage zurück. All dies mildert die Strafe, doch das Gericht verkennt dabei nicht, dass auch der wuchtige Faustschlag auf das Auge des Jörg S. lebensgefährlich sein kann.

Doch dies erkannte Marco K., betrunken wie er war, in jener Nacht nicht. Zudem leidet er unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Anders ausgedrückt: Er kann aus seiner eigenen Achterbahn der Gefühle und Spannungen nicht mehr aussteigen. Ärzte sollen ihm nun helfen, dies in den Griff zu kriegen – das Gericht ordnet als Bewährungsauflage eine Therapie an. Als in jener Nacht der Streit ums Taxi eskalierte, glaubte Marco K., dass seine Chefin in Schwierigkeiten steckt. Sein Angriff galt ihrer Verteidigung. Der Streit ist auf dem Überwachungsvideo nicht zu hören. Doch wer die forsche Frau als Zeugin erlebte, kann sich vorstellen, wie die Taxi-Diskussion mit ihr ausarten konnte.