Prügel bei Fußballturnier: "Es gab wirklich keinen Grund"

21.3.2017, 20:00 Uhr

Es war das zweite Nachtfußball-Turnier, das die Sozialpädagogin  in jener Juninacht betreute – neun Monate später sitzt die 27-Jährige als Zeugin vor Gericht und kämpft mit den Tränen. Sie sei schockiert, schildert sie, nie vorher habe sie ein derartiges Ausmaß an Gewalt erlebt. Mehrfach steht sie auf, demonstriert, wie die Angeklagten ihr Opfer mit den Füßen traten, mit voller Wucht, nur leicht, mit Anlauf. Doch dabei zeigt sich, trotz der Gewissheit der Zeugin über ihr eigenes Gedächtnis: Es ist unglaublich schwer, ein Geschehen aus der Erinnerung zu rekonstruieren, unser Gedächtnis funktioniert schließlich nicht wie eine Kamera. Außerdem: Gibt es etwas Unübersichtlicheres als eine Massenschlägerei?

Fünf Tage, so kalkuliert die Jugendkammer I des Landgerichts Nürnberg-Fürth, wird um die Frage gerungen, wer einen damals 19-jährigen Fußballspieler bei jenem Turnier angriff, schlug, bis er zu Boden ging und mit den Füßen gegen seinen Kopf trat.

Ein merkwürdiges Familientreffen

Angeklagt sind  ein 38-Jähriger und ein 29-Jähriger, die beiden sind Brüder, auch der Sohn (16) des Älteren sitzt auf der Anklagebank, sie tragen die gleichen Nachnamen, im Gerichtssaal ist deshalb, zum besseren Verständnis, gelegentlich vom Vater, dem Onkel und dem Sohn die Rede. Es ist ein merkwürdiges Familientreffen, dass an jenem Morgen in  der Jugendkammer I des Landgerichts Nürnberg-Fürth stattfindet. Der 16-Jährige bricht am Morgen, bevor der Prozess überhaupt beginnt, weinend zusammen, im Zuschauerraum schluchzen vereinzelt Verwandte, vier Kinderwägen parken vor dem Sitzungsaal.  

Und während die drei Angeklagten, flankiert von ihren Anwälten Tobias Schmidt, Maximilian Bär, Marion Tragalou und Michael Zahareas, wortreich ihren Gewaltausbruch bedauern, haben sich zwei weitere Beschuldigte, es handelt sich um die Cousins des 16-Jährigen, angeblich nach Griechenland abgesetzt. Die Fahndung läuft, beide erwartet ein eigenständig geführtes Verfahren.

"Eigentlich gab es wirklich keinen Grund"

In dem Fußballspiel ging es offenbar hart zur Sache, ein Schiedsrichter, der die mit Adrenalin aufgepumpten Sportler hätte zurückpfeifen können, war nicht im Einsatz. Die erste Halbzeit verlief noch entspannt, doch in der zweiten Spielhälfte, gingen die Spieler, so  berichtet der damals verprügelte Sportler, "direkt rein". Er will versucht haben, seine eigenen Leute und die Gegner zu bremsen, plötzlich stand er einem anderen Stirn an Stirn gegenüber. Der Mitspieler packte ihn am Hals, der 19-Jährige schubste ihn weg, "eigentlich gab es wirklich keinen Grund, dass es so eskalierte", sagt der Geschädigte heute selbst.

Als er zu Boden ging, folgte, was die Anklage gemeinschaftlichen versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung nennt:  Der 19-Jährige kam  hinter dem Tor, seinen Kopf im Netz, zum liegen.  Dort wurde er, dies belegen mehrere Prellmarken am Kopf, eine Platzwunde an der Nase und eine Prellung der linken Brustseite, immer wieder getreten – mehrfach auch gegen den Kopf.

Er habe seinen Kopf mit den Händen geschützt, erinnert sich der Zeuge, gesehen und erkannt habe er nur einen einzigen Angreifer, denn der hatte ein T-Shirt mit dem Namenszug des Fußballers "Abramowitsch" an. Unstrittig ist, dass dieses T-Shirt der 29-Jährige trug – einen einzelnen Tritt gegen den Hinterkopf hat er bereits eingeräumt. Doch wieso malträtiert  man einen am Boden liegenden Sportfreund? Der 38-Jährige will betrunken gewesen sein, der 29-Jährige wähnte in dem Opfer den Aggressor, der 16-Jährige vermutete einen voran gegangenen Angriff auf seinen Vater. Erst als die Sozialpädagogin lauthals ankündigte, die Polizei zu rufen, ließen alle von ihrem Opfer ab – der Prozess geht weiter.

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