Rezepte gegen Dosenkost

13.2.2010, 00:00 Uhr
Rezepte gegen Dosenkost

«Waltraud, was machen wir mit den Zucchinis?» Ratlos rollt Silvia S. (Name von der Redaktion geändert) zwei dunkelgrüne Zucchinis in den Händen. Silvia S. ist blond, Anfang 40 und erbarmungswürdig hager. Die blonden Haare hängen ihr zottelig ins Gesicht, die Kleidung ist abgetragen, die Haltung geduckt. Sie wirkt wie ein Kind, das jeden Moment damit rechnet, geschlagen zu werden. Die Leiterin des Kochkurses, Waltraud Seufert, öffnet Konservendosen mit passierten Tomaten. «Einfach in Scheiben schneiden, Silvia, die legen wir dann später so auf die Pizza.» Silvia trollt sich an den Tisch und beginnt umständlich, die Zucchinis in Ringe zu schneiden. Seufert wendet sich einer anderen Teilnehmerin zu.

Positive Energie

Die 69-Jährige ist passionierte Hobbyköchin und leitet den Kochkurs für Mütter mit Suchtproblemen. Die patente Pfarrersfrau hat für jede der acht Frauen ein offenes Ohr und sprüht gerade so vor positiver Energie: «Gut gemacht, Sabine, dann ist der Gurkensalat fertig und wir müssen nur noch das Dressing mischen», sagt sie gutgelaunt.

Sabine R., eine Frau mit tiefschwarzen Ringen unter den Augen nickt: «Aber wir machen keinen Zucker rein, das mag ich nicht.» Seufert lacht: «In den Gurkensalat tut man nie Zucker hinein, den machen wir mit Sahne, Salz, Pfeffer und Dill.» Am großen Gemeinschaftstisch im Frauen-Café von Lilith in der Bogenstraße wird emsig Gemüse geschnippelt, geratscht und genascht. Die meisten Mütter haben ihre Kinder mitgebracht. Die Atmosphäre ist gelöst, die Frauen kennen sich. Die kleineren Kinder werden in einem geräumigen Spielzimmer betreut, während ihre Mütter das Menü zubereiten.

Vegetarische Küche

Heute gibt es Rosenkohlsuppe als Vorspeise, Gurkensalat und Pizza als Hauptgericht. Alle Speisen, die im Kochkurs zubereitet werden, sind vegetarisch. Pro Person kalkuliert Waltraud Seufert mit 1,20 Euro. «Mit Fleisch wäre das nicht machbar», gibt sie zu bedenken. Dominik, 8 Jahre alt, übt sich im Karottenschneiden. Die Zunge im Mundwinkel geparkt, widmet er sich voller Konzentration der gelben Rübe. «Super machst du das», lobt ihn seine Mutter und streicht dem Steppke über den blonden Schopf. Dominik lächelt.

«Selten erlebt er mich so entspannt wie hier», erzählt Bettina W. Im Alltag nehme sie sich selten Zeit fürs Kochen einer ordentlichen Mahlzeit. «Ich mach’ meistens eine Dose auf.» Den Kochkurs, der alle zwei Wochen und insgesamt fünfmal stattfindet, lässt die 37-Jährige allerdings nie ausfallen: «Ich mach’s für meine Kinder, sie sollen es besser haben als ich es hatte.» Dominiks Mutter wuchs im Heim auf. Bevor sie dort landete, sei sie zu Hause missbraucht worden, erzählt sie: «Meine Geschwister und ich hatten nie etwas Gescheites zu essen.» Als Toilette habe ein Eimer gedient. «Meine Mutter war Alkoholikerin, der war das alles egal», sagt Bettina W.

Teufelskreis aus Drogen und Armut

Sozialpädagogin Daniela Dahm, Vorsitzende von Lilith e. V., ist seit 20Jahren in der Drogenhilfe tätig. Sie kennt die Probleme der Frauen: «90 Prozent unser Klientinnen sind arbeitslos und leben mit ihren Kindern unter der Armutsgrenze.» Die Chancen auf einen Wiedereinstieg ins Berufsleben seien gering, weil die Lebensläufe der Suchtkranken Brüche aufweisen und die wenigsten über einen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Hinzu kommt, dass die meisten der suchtkranken Frauen unter massiven psychischen Problemen leiden und demnach gar nicht in der Lage sind, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Ein Teufelkreis. Doch wo nimmt er seinen Anfang?

Schwer traumatisiert

Zwischen Gewalt und Drogenkonsum bestehe ein deutlicher Zusammenhang, erläutert Dahm. Etwa 80 Prozent der Drogenkonsumentinnen wurden in ihrer Kindheit sexuell missbraucht und haben dadurch schwere Traumatisierungen erlitten.

Das Risiko, dass die Kinder der Betroffenen einmal dasselbe durchmachen müssen, sei überdurchschnittlich hoch. Deshalb sei es so wichtig, den Müttern das notwendige Wissen über eine gesunde und ausreichende Ernährung zu vermitteln und sie in sozialen Fertigkeiten zu trainieren.

Lobby für Kinder spendet

Die Kosten für den Kochkurs, der für die Teilnehmerinnen selbst kostenlos ist, übernimmt die Lobby für Kinder e. V. Rund 15.000 Euro spendet der Verein an Lilith e. V. im Jahr. Dahm fährt fort, die meisten der suchtkranken Mütter sind polytoxikoman, das heißt von mehreren illegalen Drogen abhängig. Das Kernproblem sei Heroin. Einige der Teilnehmerinnen bekommen vom Arzt verschriebene Ersatzdrogen, andere seien noch abhängig oder seit kurzem clean.

«Für viele Frauen sei die Schwangerschaft ein Schlüsselerlebnis, erzählt Dahm. «Entweder sie kommen ganz weg von den Drogen oder sie reduzieren deutlich.» So wie Kathrin B. Die Mutter zweier Söhne im Alter von drei und fünf Jahren hat es geschafft, von der Nadel wegzukommen. Viele Jahre lang war ihr egal wie sie lebt, es ging ums High-Sein, sonst nichts. «Die Schwangerschaft war für mich die größte Motivation aufzuhören», erzählt Kathrin B. heute. In dem Kochkurs habe sie schon jede Menge Tipps und Rezepte mitgenommen. «Ich muss zwar schon tricksen, um mit dem bisschen Geld, was ich habe, auszukommen, aber hier habe ich gelernt, dass es funktioniert.»