Seniorentreff Heilig-Geist-Spital: Zocken ist Trumpf

1.7.2008, 00:00 Uhr
Seniorentreff Heilig-Geist-Spital: Zocken ist Trumpf

© Michael Matejka

«Meinen Zehner habe ich heimgebracht! Siehst du?» Edith Halm fragt’s und will eigentlich gar keine Antwort hören. In Gedanken ist sie schon beim nächsten Schritt. Sie ordnet die Karten neu in der Hand. «Pik ist Trumpf. O weh, o weh! Dat mut doch nicht sein!», klagt Christel Bott.

Die Damen haben die 70 überschritten. Und die Damen zocken. Einmal in der Woche packen sie am Holztisch vor dem rustikalen Kachelofen in der Konrad-Groß-Stube im Heilig-Geist-Spital die Karten aus. Es spielt keine Rolle, dass die Berlinerin (71) und die Nürnbergerin (75) kaum Berührungspunkte haben in ihren Lebensläufen. Sie teilen die Leidenschaft für Skat. Das genügt.

«Jeden Mittwoch herrscht Kaffeehaus-Atmosphäre.» So titelten die NN, als der Seniorentreff vor 20 Jahren eröffnet wurde. Aus dem Kaffeekränzchen von damals ist eine Institution geworden, die die unterschiedlichsten Interessen bedient. Der Spieletreff rangiert zwischen Computerclub, Stepptanz-Kurs, Lauftraining, «Englisch Konversation» oder den Theater spielenden «Spitalgeistern».

Rund 300 Männer und Frauen nehmen jede Woche an den Kursen teil, selbst organisierte Gruppen treffen sich. Der jüngste Teilnehmer ist 47, der älteste ist mehr als doppelt so alt.

Mit Georg Berschneider hat es das Alter gut gemeint. Man sieht es ihm nicht an. «86 Jahre?» Jutta Döpfer, seine Mitspielerin, die selbst schon 79 ist, schaut ungläubig und legt eine Karte auf den Tisch.

Georg Berschneider lebt im Seniorenzentrum Maxfeld, «im Altenheim, sage ich immer», meint er kokett und lacht. Seinen Bewegungsradius hat er sich durch den Umzug dorthin nicht beschneiden lassen. «Daheim rumhocken und zum Fenster rausschauen», das sei nichts für ihn. Von «der Glotze» will er sich sein Programm schon gar nicht diktieren lassen.

Der 86-Jährige sitzt auf der Eckbank. Das Fenster ist offen, der Wind trägt warme Sommerluft herein. Berschneider nimmt ein Blatt Papier, legt eine Tabelle an mit vier Namen und trägt die Punkte ein. Er kommt ins Philosophieren über das, was er gern spielt. «Rommé ist mir zu einfach. Backgammon ist ein Spiel, das ich absolut nicht mag.» Aber Skat habe er schon als junger Mann gespielt. Mit Skat vertrieb er sich damals, als Soldat in Kriegsgefangenschaft in Ägypten, die Langeweile und die dunklen Gedanken.

Fitness fürs Hirn

In gewisser Weise erfüllen die Karten heute eine ähnliche Funktion. Berschneider hat sich der Spielgruppe des Seniorentreffs angeschlossen, «um nicht allein zu sein». Ein Satz, der tonnenschwer im Raum stehen könnte. Bei Berschneider hört er sich jedoch nicht nach verzweifelter Suche nach Beschäftigung an. Donnerstags sei Yoga, an anderen Tagen besuche er die Altenakademie, «um den Geist zu schärfen».

Auch Jutta Döpfer sucht Ablenkung. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich «ein wenig eingeigelt», bis ihre Tochter sie wieder auf Trab brachte. «,Etz mach halt a weng was‘, hat sie gesagt!» Jutta Döpfer überwand die Schwelle, die zum Seniorentreff führt.

Nicht wenige kommen nach einem Wendepunkt. Nach dem Tod des Partners oder nach dem Übertritt in den Ruhestand zum Beispiel. Helga Stiegler (67) hat bis Ende des vergangenen Jahres noch gearbeitet. Bis dahin strukturierte die Berufstätigkeit den Alltag. Jetzt muss sie sich täglich einen eigenen Rahmen schaffen. «Ich habe zu viel Freizeit daheim, das ist das Schlimme.»

Es sei gar nicht so leicht, neue Kontakte zu knüpfen, fährt Helga Stiegler fort. Der Seniorentreff hilft manchmal dabei. «Viele Leute haben hier eine Heimat gefunden und kommen fast täglich», beobachtet Irmgard Mangold, die Leiterin der Einrichtung.

Die Gründung geht auf einen Stadtratsbeschluss von 1988 zurück. Damals sei es darum gegangen, älteren Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiter zu ermöglichen, erinnert sich Heidrun Bogerts, die den Seniorentreff von 1997 bis 2005 leitete. Ein Kriterium: Die Teilnahmepreise für die Veranstaltungen liegen im unteren Bereich. Damit sie sich jeder leisten kann.

Die Einrichtung des Seniorentreffs stehe für ein Umdenken in der Seniorenarbeit, schreibt Sozialreferent Reiner Prölß im Programmheft des Seniorentreffs. «Das traditionelle Bild der fürsorgenden und betreuenden ,Altenhilfe‘, in der alte Menschen vorwiegend als abhängig und hilfsbedürftig betrachtet wurden, wandelt sich.»

Rentner wie Georg Berschneider oder Jutta Döpfer würden sich mit Händen und Füßen wehren, wenn man sie in die Ecke der hilfsbedürftigen Alten stellen wollte. «Ich bin zwar nicht im Rentnerstress, aber ich habe jeden Tag etwas zu tun», sagt Berschneider. Zocken gehört dazu.