Thema Brexit spaltet auch die Nürnberger Briten

22.6.2016, 06:00 Uhr
Thema Brexit spaltet auch die Nürnberger Briten

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"Ich kenne hier im Umkreis niemanden, der für einen Austritt Großbritanniens aus der EU stimmen würde, aber unser Bekanntenkreis ist wahrscheinlich auch nicht repräsentativ", räumt Bruce Pye ein. Und weil er selbst auf jeden Fall Europäer bleiben wolle, habe er sich entschieden, jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, so der frühere Leiter der Englisch-Abteilung am Bildungszentrum (BZ). "Für mich ist das eine Art privates Statement."

Dass sich die ganze vergiftete Debatte um letztlich nur zwei oder drei Punkte drehte, empfinde er als tief deprimierend: Die einen wollen alle Kompetenzen aus Brüssel zurückholen und der Einwanderung einen Riegel vorschieben, die anderen führen nur die Wirtschaft als Grund für einen Verbleib ins Feld.


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"Aber das alles ist doch viel zu kurzsichtig", so Pye. "Um unsere Probleme zu lösen, sind wir doch auf Kooperation angewiesen." Und selbst wenn die Börsen und Buchmacher recht behalten, die derzeit eher eine Mehrheit für einen Verbleib Englands in der EU erwarten, werde es doch keinen Grund zum Jubeln geben. Dafür seien die Gräben zu tief und die Verletzungen zu groß.

Florian Schück, Inhaber des Geschäfts "British Empire", ahnt und weiß, dass seine Kundschaft in der EU-Frage ähnlich gespalten ist wie die Bevölkerung in England – und immerhin umfasst seine Versandliste in der Region an die 4000 Adressen.

"Bei denen, die typische Lebensmittel bestellen wie Backbohnen oder Marmelade, ist mehr Sympathie für einen Austritt zu spüren als bei anderen", fasst er seine Einschätzung zusammen. Und von den Freunden und Bekannten auf der Insel weiß Schück: "Im Süden interessiert das kaum einen; am stärksten sind die EU-Gegner in der Zentralregion nördlich von London bis hinauf zur schottischen Grenze." Für sein eigenes Geschäft sieht er kaum Anlass zu Befürchtungen: "Alle großen englischen Marken sind heute mit Niederlassungen auf dem Kontinent vertreten, da wird es keine Schwierigkeiten geben."

In Schottland indes halte eine große Mehrheit der EU die Treue, meint Tom Crockett, den es einst der Liebe wegen nach Franken verschlagen hatte. Natürlich werde er die laufende Berichterstattung am morgigen Donnerstag schon tagsüber genau verfolgen, meint er – und macht doch kein Hehl aus seiner Verunsicherung: "Ich hoffe natürlich, dass sich die Vernunft durchsetzt. Gäbe es eine Mehrheit für einen Austritt, brächte das eine neue Verunsicherung, weil der ja erst in einiger Zeit wirksam würde."

"In unseren Reihen gab und gibt es sehr vielfältige Stimmen, da ist keine klare Tendenz auszumachen", stellt Lore Stürmer von der Deutsch-Britischen Gesellschaft fest. Vehemente Austrittsbefürworter habe sie sogar im Milieu namhafter Universitäten getroffen. "Der Hinweis auf die engen wirtschaftlichen Verflechtungen beeindruckt die EU-Gegner leider gar nicht", so ihr Eindruck. "Viele hängen anscheinend dem nostalgischen Traum vom alten Commonwealth nach."

Trotz aller Schärfe habe die Auseinandersetzung doch bewirkt, dass mehr über Europa und seine Werte diskutiert wird, hebt Johannes Schmitt, britischer Honorarkonsul, als positiven Effekt hervor. "Das täte auch uns gut. Denn eine Transfer-Union allein ist zu wenig."

Als Künstler muss sich Jonathan Swinard zwar keine allzu großen Sorgen, dass nach einem Brexit womöglich die Freiheit beschnitten werden könnte, heute hier und morgen ein Engagement anzunehmen. "Ich weiß diese Freiheit aber sehr zu schätzen und bin gerne nach Nürnberg gekommen", meint der Korrepetitor und Kapellmeister am Nürnberger Staatstheater. Und auch ein Hauch von Stolz blitzt schon auf, dass die englische Musiker-Gewerkschaft, also "seine", die einzige auf der Insel ist, die einen Brexit nachdrücklich ablehnt.

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Für seine pro-europäische Haltung nennt der 26-Jährige aber noch eine ganz andere und persönliche Wurzel: "Die Generation unserer Eltern und Großeltern war noch vom Zweiten Weltkrieg geprägt und hat Europa als Friedenprojekt verstanden. Das ist leider offenbar etwas in Vergessenheit geraten. Und mir tut es leid, dass in England die Frage nach einem möglichen EU-Austritt überhaupt aufkommen konnte."

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