Untersuchung im Nürnberger Zoo: Wenn ein Nashorn zum Arzt muss

20.12.2018, 06:00 Uhr
Um ein Nashorn zu untersuchen, reicht eine Ärztin nicht aus. Sie braucht Unterstützung von Tierpflegern.

© Roland Fengler Um ein Nashorn zu untersuchen, reicht eine Ärztin nicht aus. Sie braucht Unterstützung von Tierpflegern.

Baufachleute nutzen Spezialkameras, um den Wärmeverlust an Hausfassaden zu dokumentieren: Schlecht gedämmte Fenster oder Türen erscheinen gelb bis tiefrot, gut gedämmte Wände werden in blauer Einfärbung wiedergegeben.

Dieses Prinzip nutzt der Nürnberger Tiergarten: Wärmebildfotografien von Kniegelenken eines Straußes oder einer Giraffe geben bis auf eine Stelle hinter dem Komma genau an, welche Temperatur der Vogel oder der Paarhufer hat - mit entsprechender Einfärbung. So können die Zoo-Tierärzte Katrin Baumgartner und Hermann Will genau erkennen, ob eine Entzündung vorliegt.

Dabei müssen die Mitarbeiter dem Tier gar nicht auf die Pelle rücken. Ein scharfes Foto - aus einigen Metern Entfernung geschossen - genügt. So kann man den ausgeprägten Fluchtinstinkt der Tiere umgehen. Möglich machte dies die Zusammenarbeit mit Bauphysikerin Eva Anlauft aus dem städtischen Hochbauamt. Die Spezialistin dokumentiert mit der teuren Kamera Bauprobleme, doch seit vielen Jahren fotografiert sie in ihrer Freizeit die tierischen Patienten am Schmausenbuck.

Für notwendige Untersuchungen direkt am Zootier haben die Mitarbeiter ebenfalls eine Lösung parat: das Klicker-Training. Immer, wenn beispielsweise die Giraffe eine gewünschte Bewegung macht, betätigt der Pfleger den gut hörbaren Klicker und belohnt das Tier mit einem Knäckebrot. Dadurch verknüpft es Bewegung und Belohnung mit dem Klicker.

Das Lernen funktioniert ohne jeglichen Druck, betont Veterinärin Baumgartner: Wenn das Tier keine Lust zum Üben hat, dann eben nicht - allerdings muss es dann auch auf die kleinen Leckerbissen verzichten.

"Früher sind die Giraffen davon gelaufen, wenn wir ihr Gehege betreten haben. Heute kann ich in aller Ruhe die Leiter neben ihnen aufstellen", sagt Baumgartner, seit 23 Jahren Tierärztin im Zoo am Schmausenbuck.

Das Team hat als Zauberwort für die Patienten: Freiwilligkeit, Verzicht auf Zwang. Ganz von allein parken sich die Giraffen in die gewünschte Position ein, wenn die Ärztin mit der Untersuchung beginnt. Natürlich erwarten die Vierbeiner eine entsprechende Belohnung.

Jedes Tier hat seine Vorlieben: Was für Giraffe Lilli ein knuspriges Stück Knäckebrot ist, sind für Gorilla Habibu Rosinen, für Eisbärin Vera Hunde-Leckerlis und für Nashorn Sofie Karottenstückchen. Durch positive Verstärkung lassen sich die Tiergarten-Bewohner zum Mitmachen motivieren. Eisbärin Vera schmiegt ihre Wange dicht ans Gitter, damit das Fell an einer bestimmten Stelle rasiert werden kann. Mit dem in den Haaren enthaltenen Cortisol lässt sich der Stresspegel des Raubtiers bestimmen.

Das Klicker-Training (es funktioniert genauso mit Zungenschnalzen oder Pfeifen) hilft bei einem ganz wichtigen Schritt der Untersuchung: bei der Überwindung der Distanz. Es ist sehr viel Vertrauen notwendig, damit ein Tier diese unmittelbare Nähe zulässt. Für Giraffen oder Zebras mit ausgeprägtem Fluchtinstinkt ist es eine geradezu herausragende Leistung, 20 Minuten still zu stehen, um eine Untersuchung zu ertragen.

Dass das bei Hunden seit langem bekannte und erfolgreiche Klicker-Training genauso auf Strauße, Geparde und Nashörner übertragbar ist, glaubten viele Experten anfangs nicht - manche tun dies auch heute noch nicht. Doch für Katrin Baumgartner gibt es keine Grenzen: Jedes Lebewesen kann durch positive Verstärkung das Gewünschte tun, sagt sie.

Bei einem Vortrag vor skeptischen Amtstierärzten forderte die 50-Jährige ihre Zuhörer daher auf: "Probiert es bei Euren Kindern aus. Und Ihr werdet überrascht sein, wie gut Lernen durch Belohnung funktioniert."

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