Verzicht wirkt wie ein ewiger Urlaub

23.3.2015, 21:12 Uhr
Verzicht wirkt wie ein ewiger Urlaub

© Foto: dpa

Was man sieht: eine junge Frau, die mit Handtasche im Café sitzt und einen großen Kaffee trinkt. Was man nicht sieht: Die junge Frau besitzt neben der Handtasche, ihrer einzigen, nur noch ungefähr 300 persönliche Gegenstände. Zucker und Alkohol hat sie aus ihrem Leben verbannt, und sie wurde zur Langstreckenläuferin. Das erzählt sie irgendwann nebenbei.

Das Gespräch sollte sich eigentlich um ihr neues Buch drehen, „Buddha räumt auf“. Regina Tödter schreibt Ratgeber. Thema der Wahl-Nürnbergerin, die aus Wolfsburg stammt und Religionswissenschaft studiert hat, ist das bessere Leben. Eines, das man entspannter erlebt, weil man „achtsam“ ist, wie es bei Lebenshilfeexperten heißt. In Tödters jüngstem Buch geht es ums Entrümpeln. „Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Socken sortiert?“, steht darin. Die Autorin plädiert für eine neue Bescheidenheit, gegen die allgegenwärtige Überflutung durch Dinge, Informationen und Aktivitäten, ob daheim, bei der Arbeit, in der Freizeit oder auf Reisen. Tenor: Zu viel von allem macht unglücklich. Tempo drosseln, Besitz teilen und so Zeit für Beziehungen zu gewinnen, macht glücklich. Bizarrerweise läuft der Buchmarkt gerade an Vereinfache-dein-Leben-Leitfäden bereits über – die Nachfrage bringt den Nachschub.

Wer solche Titel verfasst, tut sich als Theoretiker schwer, zumal mit erst 30 Jahren. Regina Tödter erzählt hier aus ihrem eigenen Leben. „Vor zwei Jahren war ich das totale Gegenteil“, sagt sie. „Ich habe gern und viel konsumiert. Aber ich habe mich dabei selbst verloren.“ Nach dem Studium arbeitete die Geisteswissenschaftlerin fachfremd in verantwortlicher Position bei einer Modekette. Sie verkaufte Klamotten im schnellen Takt der Kollektionswechsel. „Ich habe Sachen gehortet und den Überblick verloren. Ich war lustlos und gestresst. Jeden Tag habe ich mich über das Hamsterrad geärgert.“

Also: Stopp. Regina Tödter kündigte und besann sich auf ihren Studienstoff über den Buddhismus. „Buddha vertritt eine Loslassphilosophie, die sich wunderbar in den Alltag übertragen lässt.“ Seine Theorie von den „drei Geistesgiften“ – Gier, Aggression und Unwissen – helfe beispielsweise dabei, Unzufriedenheiten zu ergründen. Buddha war Experte für das Leid.

Verzicht wirkt wie ein ewiger Urlaub

© Foto: Michael Matejka

Zwei Jahre ist das jetzt her. „Es geht mir viel besser, und ich vermisse nichts.“ Minimalismus, solange er nicht verbissen wird, fühle sich an wie ein endloser Urlaub, verheißt die Autorin in ihrem Buch. Sie und ihr Mann haben ihren Hausrat von einer Vier- auf eine Zwei-Zimmer-Wohnung verkleinert. Ihr Partner sei weniger streng, sagt Regina Tödter, aber sie selbst warf 95 Prozent ihrer Habe weg, verkaufte oder spendete Sachen. „Es sieht bei mir aus wie in einer Pension, bloß ohne Bilder an der Wand.“ Kein Auto, Fernseher, Fotoapparat, Facebook mehr. „Ich kann mich gar nicht daran erinnern, was ich alles besessen hatte.“ Fehlt mal ein Werkzeug, leiht das Paar es über Tauschplattformen aus.

Regina Tödters Antrieb ist nicht die Religion, sondern die Selbstgenügsamkeit. Die Erde, so befinden Reduktionisten wie sie, bietet schlicht nicht genügend Kapazitäten für den Konsumwahn der Industrieländer. Andere werden radikale Aussteiger – die 30-Jährige nimmt sich eher das eigene Wohlbefinden zum Maßstab. Sie hat auch über „Zuckersucht-Killer“ geschrieben; demnächst erscheint ein „Alkohol-Killer“. Während das Entschleunigungs-Konzept heute leicht Freunde in kapitalismuskritischen Teilen der jungen Generation findet, scheiden sich beim Essen und Trinken die Geister hart. Warum gerade auf Genuss verzichten?

„Das Wort ,Verzicht‘ gefällt mir sowieso nicht. Ich rede vom Loslassen, freiwillig.“ Es sei doch so: Jeder Mensch hat eine persönliche Wohlfühlmenge, wie viel wovon ihm guttut. „Wir sind doch oft gar nicht dankbar für unseren Luxus. Wenn man aber erkennt, wie wenig man eigentlich braucht, um glücklich zu sein, bekommt man eine Grundzufriedenheit.“ Tödter sagt, sie habe neue Genussmittel für sich entdeckt: ausschlafen, gute Live-Musik, Zeit für Freunde haben. „Leute, die mir mangelnde Lebensfreude vorwerfen, sind oft sehr gestresst. Andere essen oft schlecht, weil sie nicht kochen mögen, auch da wird auf viel Genuss verzichtet.“

Der Philosoph Schopenhauer, auch ein später Buddha-Schüler, erweist sich hier als treuer Freund: Die einzige wirkliche Freiheit des Menschen liegt in seiner Fähigkeit zur Entsagung, unkte der Pessimist. Sehr analytisch klingt das. Weniger selbststrukturierten Leuten mag gerade mal eine Fastenaktion bis Ostern gelingen. Die Nürnberger Beraterin lobt trotzdem die Idee. „Es ist eine gute Methode, um zu spüren, dass man sich noch verändern kann – das sollte man nie verlernen.“ Es könne erfüllend sein, in einer komplexen Welt wenigstens den eigenen Körper als veränderlich wahrzunehmen. „Der Körper ist das eigene Zuhause. Man fängt bei sich selbst an und fühlt sich so viel gelassener.“

Tödter bearbeitet ein Thema mit Variationen. Ihr nächstes Buch behandelt die Slow-Bewegung, das bewusst langsamere Leben und Arbeiten. Vor einem Abgabetermin war ihr selbst ihr asketisches Zimmer zu unruhig. Sie fuhr zum Schreiben in ein kleines Hotel, ließ für vier Tage die Finger vom Internet. „Es war schwierig. Aber es kam mir vor wie zwei Wochen. So erholt war ich schon lange nicht mehr.“

Regina Tödter: Buddha räumt auf. Südwest, 144 Seiten, 12,99 Euro

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