Von wegen Frauensache: Der gepflegte Mann ist voll im Trend

10.2.2016, 14:00 Uhr
Pflege eist längst nicht mehr nur Frauensache: Immer mehr Männer besuchen Kosmetik-Studios. Kosmetikkonzerne reagieren auf den Trend und bringen immer häufiger Männer-Linien auf den Markt.

Pflege eist längst nicht mehr nur Frauensache: Immer mehr Männer besuchen Kosmetik-Studios. Kosmetikkonzerne reagieren auf den Trend und bringen immer häufiger Männer-Linien auf den Markt.

Kommt Arnold Schwarzenegger zum Kosmetiker . . . Was Mitte der 1980er Jahre noch einen herrlich absurden Stammtisch-Witz abgegeben hätte, wirkt 2016 irgendwie altbacken. Vermutlich hält sich der Hollywoodstar und Ex-Politiker ohnehin ein ganzes Heer an Stylisten und Visagisten. Die Zeiten ändern sich, Geschlechterrollen und gesellschaftliche Konventionen sind in den vergangenen dreißig Jahren erweitert, neu definiert oder komplett über den Haufen geworfen worden. Die Männlichkeitssymbole vergangener Jahrzehnte haben ausgedient oder werden ironisch gebrochen. Auf Faschingsfeiern schmückt der Jeck von heute seinen Oberkörper nicht selten mit einem flauschigen Brusthaartoupet und erntet dafür schallendes Gelächter. Außerhalb der Fastnachtszeit dominiert jedoch wieder die glattrasierte Hühnerbrust.

Erol ist 31 Jahre alt und arbeitet in einem Restaurant am Hauptmarkt. Einmal im Monat geht er zu seiner Kosmetikerin, um sich die Augenbrauen zupfen zu lassen. Ein Gesichtspeeling mit Dampfbad und Massage darf es bisweilen auch sein. Pediküre und Maniküre hat Erol zwar ausprobiert, würde es aber nicht noch mal machen lassen, „weil es ein seltsames Gefühl war. Lieber schneide ich mir meine Nägel selber.“ Er sei nicht oberflächlich, aber durchaus eitel – und steht dazu. „Wir leben im 21. Jahrhundert, da ist es doch normal, dass auch ein Mann gepflegt ausschaut.“

Auch Handwerker gehen zur Maniküre

Ist Erol als Angestellter in einem gastronomischen Servicebetrieb die Ausnahme von der Regel, weil er berufsbedingt einen größeren Wert auf sein Erscheinungsbild legen muss? „Nein, es kommen auch Männer aus schweren handwerklichen Jobs zu uns“, erzählt Eva-Maria Kraut, Geschäftsführerin des Kosmetikstudios Profil-Institut am Obstmarkt. „Bei denen ist das Äußere im Beruf vielleicht zweitrangig, aber privat gönnen sie sich schon mal eine Maniküre.“

Seit über 18 Jahren betreibt Kraut zusammen mit ihrer Kollegin Sylvia Nöcker den Salon. Von Anfang an nannten sie sich Profil-Institut for Men & Women, denn „der Mann stand bei uns sozusagen immer an erster Stelle“, sagt Kraut. Das war für sie auch ein Grund, sich selbstständig zu machen: „Ich komme aus der Parfümerie-Branche und seinerzeit durften wir im Geschäft keine Männer behandeln. Ich habe das nicht verstanden, denn der Markt war ja da.“ Ein Markt, dessen Wegbereiter nach Ansicht der 43-Jährigen ein gewisser David Beckham war.

Ende der 1990er, zur Jahrtausendwende hin, wandelte sich insbesondere durch den extravaganten Fußball-Superstar das Männerbild und der Begriff der „Metrosexualität“ war geboren. Mit ihm gerieten maskuline Klischees ins Wanken – der steinharte Muskelprotz mit Drei-Tage-Bart und wettergegerbter Haut, dem Stil- und Modebewusstsein herzlich egal waren, entsprach nicht mehr dem Zeitgeist. Oder wie Kraut es formuliert: „Wir reden von Männern, die stark auf ihr Äußeres achten, ohne als ,unmännlich‘ zu gelten. Was immer ‘unmännlich‘ bedeuten soll.“ Auch die stereotype Annahme, dass hauptsächlich homosexuelle Männer zum Kosmetiker gehen, kann sie nicht gelten lassen. Unter ihren rund 55 männlichen Stammkunden gäbe es nur wenige Homosexuelle. „Die Mehrheit besteht ganz einfach aus Männern, die auf ein gepflegtes Äußeres achten, unabhängig von ihrer Sexualität.“

Ein bis zwei Herren lassen sich täglich im Profil-Institut behandeln, Stammgäste besuchen das Studio alle vier Wochen, das Durchschnittsalter ihrer männlichen Kunden liegt bei 40 Jahren. Häufig trifft man auf Geschäftsleute, die sich von Kraut und ihrem Team „den Stress aus dem Gesicht zaubern lassen wollen — während es bei der jüngeren Generation mehr um eine reine Haut und die Bekämpfung von Akne geht“.

Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt es im Behandlungsangebot des Profil-Instituts grundsätzlich keine mehr. Ob botanische Hautpflege mit pflanzlichen Extrakten, medizinische Behandlung von Unreinheiten oder ganz klassisch Maniküren, Massagen, Haarentfernung und professionelles Make-up: Das Augenmerk von Kraut und Nöcker liegt auf einem geschlechtsneutralen Angebot. Zwischen 45 Minuten und zwei Stunden dauern Einzelsitzungen oder Kurbehandlungen. Die Preis richtet sich je nach Art der Behandlung von zehn Euro für eine Augenbrauenkorrektur bis hin zu 330 Euro für eine sechsteilige Kur-Therapie zur Verfeinerung und Glättung der Hautoberfläche.

Erols Arbeitskollege Kevin lebt seit einigen Jahren in Franken, stammt aber ursprünglich von den Philippinen. Während man ihn in Nürnberg nur sporadisch beim Kosmetiker trifft, war er in seiner alten Heimat ein regelmäßiger Maniküren- und Pediküren-Gänger. „Geschäfte, die Hand- und Fußpflege anbieten, gibt es auf den Philippinen ja wie Sand am Meer“, erzählt der 26-Jährige. „Eigentlich sind Filipinos ein Volk von Bauern, dennoch sind diese Behandlungen dort sehr beliebt, nicht nur bei Touristen.“ Es gäbe allerdings gerade in Südostasien verhältnismäßig viele Männer, die dazu neigen, sich extrem feminin zu schminken und zu kleiden. „Transsexualität ist da ein großes Thema und dementsprechend auch Kosmetik“, meint Kevin.

Markt an Herrenkosmetik im Wachstum

Die großen Konzerne haben die Zeichen der Zeit erkannt und stellen sich mit immer neuen Produktlinien für Männer auf. Experten schätzen das jährliche Marktvolumen für Herrenkosmetik in Deutschland auf 1,5 Milliarden Euro – das ist bereits ein Viertel des Gesamtumsatzes auf einem Markt, der zwar noch klar von Frauen dominiert wird. Doch der Wachstumsmotor sind Männerprodukte.

Deswegen leisten sich Kosmetikkonzerne wie Marktführer L’Oreal oder die Beiersdorf AG (mit dem Marken-Flaggschiff Nivea) für ihre Werbekampagnen die größten Filmschauspieler oder Spitzensportler, immer bereit, der Männerwelt einen aufregenden neuen Duft, eine ultrasensitive Aftershave-Lotion und die nächste „revolutionäre Innovation“ gegen „müde Männerhaut“ zu verkaufen.

Dank unzähliger Studien wissen diese Firmen bestens über das Pflege-Verhalten der Herren der Schöpfung Bescheid: Eine halbe Stunde pro Tag steht der gemeine deutsche Mann laut Statistik im Bad – und das nicht nur zum Duschen. Gut die Hälfte kauft sich Gesichtscremes, 15 Prozent geben an, diese täglich zu benutzen. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Regale für Männer-Produkte in Drogerien füllen sich beharrlich, das Angebot steigt mit wachsender Nachfrage. Interessanterweise bedienen sich die Unternehmen aber alteingesessener Klischees, was Namen und Aussehen ihrer Waren angeht: Feuchtigkeitscremes sind verpackt in glänzenden Silbermetallic-Kartons, heißen „Men Expert Hydra Energy“, tragen ominöse Abkürzungen wie „Q10“. Das suggeriert Technik und Geschwindigkeit, wenn nicht sogar ein neues Auto-Modell – alles, was Männern eben Spaß macht. Dazu gibt es ein paar markante Sprüche von einem Hollywoodstar beim Wellenreiten im Ozean oder auf einer Harley-Davidson im Wüstensand. In der Werbung kommen Männer immer noch vom Mars, Frauen von der Venus. Ein Rückschritt?

Pflegebewusstsein statt Eitelkeit

„Na ja, das ist eben Zielgruppen-Marketing der großen Konzerne“, sagt Marietti von Aufseß, Inhaberin von Schön ist Schön in der Fürther Straße. „Ich halte zwar nichts von diesen Klischees, aber in der Werbung sind sie eben unvermeidbar.“ Doch bei der Behandlung in ihrem Kosmetik-Studio sei das sowieso irrelevant: Erstens, weil es auch bei ihr prinzipiell keine Unterschiede im Angebot für Männer und Frauen gibt. „Außerdem habe ich hier im Geschäft Marken, die nicht mit solchen maskulinen Attributen werben. Das sind natürlich spezielle Profi-Produkte, die nicht im Fernsehen angeboten werden.“

Ähnlich wie im Profil-Institut sind die männlichen Kunden bei von Aufseß vor allem Geschäftsleute der Altersgruppe Ende 30 bis Mitte 50. Männer machen rund zehn Prozent der Schön ist Schön-Kundschaft aus, fast ausschließlich Stammkunden, die im Abstand von sechs Wochen vorbeischauen. Von Aufseß betont, dass es sich dabei nicht um „eitle Fatzke“ handelt, sondern schlicht um Herren „mit Pflegebewusstsein“. Oft nutzen sie die Mittagspause für eine rasche Gesichtsbehandlungen oder eine entspannende Rücken-Nacken-Kopf-Massage, bevor es zurück auf den Bürostuhl geht. Auch bei Schön ist Schön sind homosexuelle Männer die Ausnahme. „Das spielt aber eh keine Rolle mehr“, meint von Aufseß.

Denn: Ein heterosexueller Mann beim Kosmetiker, das ist mittlerweile beinahe selbstverständlich. Arnold Schwarzeneggers 68 Jahre altes und trotzdem fast faltenfreies Gesicht im jüngsten „Terminator“-Streifen liefert hierfür den besten Beweis. Oder ist modernste Bildbearbeitung am Rechner etwa keine Kosmetik?

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