Was tun, wenn der Chef "Depp" zu mir sagt?

31.12.2014, 07:59 Uhr
Was tun, wenn der Chef

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Herr Mösler, Frau Poppek, Sie meinen, dass Selbsterfahrung nicht nur für Fachleute wichtig ist. Warum?

Mösler: Von Selbstentwicklung profitiert jeder: Weil wir alle Menschen sind, die in einer Beziehung zu anderen stehen. Selbsterfahrung erleichtert und intensiviert die Beziehungen.

Was passiert in einer Selbsterfahrungsgruppe, die sie ja anbieten?

Mösler: Beim ersten Treffen fragen wir nach persönlichen Verliebtheiten – um zu erkennen, wie subjektiv die Erfahrung von Realität ist. Jeder von uns nimmt immer nur einen Ausschnitt eines Universums an Möglichkeiten am anderen wahr. Im zweiten Teil geht es im Rahmen einer Lebensrückschau darum zu erfahren, wie unbeständig unsere Meinungen sind und wie sehr sie von Denkgewohnheiten geprägt sind. Ist ein Glas halb voll oder halb leer? Das ist Einstellungssache.

Und das hilft auch im eigenen, ganz realen Leben?

Mösler: Es stärkt den Rücken und trägt dazu bei, die persönliche Verletzlichkeit zu reduzieren. Sie ist für alle Beziehungen ein Hindernis. Manche Menschen gehen beim kleinsten Anlass wie ein HB-Männchen in die Luft, sie können nicht mehr klar denken und ruhig reagieren. Und wer jeden Morgen von seinem Chef als „Depp“ bezeichnet wird, hat sicher keine gute Laune. Wenn er an dieser Stelle nicht mehr verletzlich ist, kann er anders damit umgehen. Und der, der ihn runterputzt, merkt, dass keine Reaktion mehr kommt und wird sein Verhalten ändern.

Was tun, wenn der Chef

Sie sagen, dass die meisten Verletzungen und Verletzlichkeiten ihre Spur in den Herkunftsfamilien haben?

Mösler: Wenn ein Vater zum Beispiel einmal sagt, du taugst nichts, oder die Mutter sagt, ich hätte dich lieber gar nicht bekommen sollen – das prägt sich bei vielen Kindern so stark ein, dass sie zehn, 20 Jahre oder ein ganzes Leben lang daran knabbern. Aber vielleicht war das einem spontanen Wutausbruch der Eltern geschuldet, vielleicht haben sie es danach bedauert. Wir sind überzeugt, dass Wahrnehmung, Verhalten und Bewertung auf Mustern basieren, die man gestalten kann. Einer unserer Achtsamkeitslehrer, Jon Kabat-Zinn, sagt immer: „Glaube nicht alles, was du denkst!“

Sich selbst zu erfahren, auch in Grenzsituationen, das versprechen doch auch andere Aktivitäten: Abenteuerurlaub zum Beispiel, Extremsport, Fasten oder Yoga. Was ist anders in der Selbsterfahrungsgruppe?

Mösler: Es geht ganz speziell um die nachhaltige Auflösung von Verletzlichkeit, das ist beim Bungee-Jumping, im Klettergarten und bei den meisten Freizeitaktivitäten nicht gegeben.

Wenn sich jetzt jemand für Selbsterfahrung interessiert, wo findet er eine Gruppe?

Poppek: Im Rahmen der Ausbildung zum Psychotherapeuten oder zum Facharzt, gibt es verschiedene Institute. Das IVS bietet aber auch Gruppen für Patienten und andere Menschen an, die einfach interessiert sind am Leben und etwas für sich tun wollen. Etwa, um beruflich besser zurechtzukommen oder ihre Beziehungen befriedigender zu gestalten.

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