Willkommen in der Welt der Vollpfosten

4.1.2017, 07:59 Uhr
Willkommen in der Welt der Vollpfosten

© Guenter Distler

Um es gleich zu sagen: Schilder und Sperrflächen wirken selten. "Macht doch Pfosten", fordern Bürger dann, beispielsweise vom Verkehrsplanungsamt. "Wir haben sehr viele Anfragen", berichtet Amtsleiter Frank Jülich. Doch die Behörde ist zurückhaltend. Jede Absperrung sei "geklauter öffentlicher Raum", deshalb sollen möglichst wenige Poller in Nürnberg stehen. Wie viele es in der Stadt gibt, weiß niemand. "Wir zählen nicht die Pfosten", sagt Jülich, dessen Amt mögliche und nötige Standorte festlegt.

Auch der Servicebetrieb Öffentlicher Raum (Sör), der kaputte Poller ersetzt und alle jährlich einmal auf Standfestigkeit prüft, führt keine Statistik. Sicher sind es Hunderte, wahrscheinlich eher Tausende. Denn nicht nur im öffentlichen Raum sind sie zu finden, auch Privatleute sichern ihre Grundstücke. Und weil Poller seit Jahrzehnten verbaut werden, finden sich im Stadtgebiet inzwischen einige Generationen.

Angefangen bei den Halbkugeln aus Waschbeton, die selbst in den Ämtern als Altfälle bezeichnet werden und als "Stolperfallen" gelten, bis hin zu den schlanken, verzinkten Metallpfosten mit kugeligem Kopf. "Wir setzen schon seit zehn Jahren keine Betonpoller mehr", sagt Sör-Sprecherin Ulrike Goeken-Haidl. Im Lager am Hafen seien vor allem Kugelpfosten und Vierkantpoller mit rot-weißer-Banderole vorrätig, die bei Bedarf auch mal geballt installiert werden, wenn Rad- und Gehwege gnadenlos zugeparkt werden - wie in der Fürther Straße.

Dennoch: Das Nebeneinander unterschiedlicher Formen und Materialien ist an vielen Stellen, rein ästhetisch betrachtet, eine Zumutung. Das soll anders werden. In einem aufwendigen Prozess erarbeitet das Stadtplanungsamt seit einiger Zeit einen Gestaltungskatalog. Das Ziel, sagt sein Leiter Siegfried Dengler, sei "die Harmonisierung, nicht die Vereinheitlichung" der Elemente.

An die Quartiere angepasst

Im ersten Schritt hatte dazu ein Büro zunächst eine Bestandsaufnahme in Nürnberg gemacht, gemeinsam wurden Vorschläge erarbeitet. Sie laufen entlang einer generellen Linie: Danach soll sich die öffentliche Möblierung an die Quartiere anpassen und ihre Identität stärken.

Willkommen in der Welt der Vollpfosten

© Foto: Günter Distler

Die Altstadt ist vielleicht der prominenteste Standort, aber auch die historischen Ortskerne der Vorstädte, die Gartenstadt und die Großsiedlungen der 1930er Jahre oder die Hauptverkehrsachsen sind solche eigenständigen Quartiere.

Bis zum nächsten Sommer schauen sich die Behindertenverbände und der Stadtrat die Vorschläge an und können sich äußern, danach sollen, mit Ausnahme städtebaulicher Wettbewerbe, die Vorgaben des Katalogs gelten. "Natürlich wollen wir das verbindlich haben", sagt Siegfried Dengler. Bei der Auswahl der Bänke haben die Stadtplaner auch Sitzproben veranstaltet. Fazit: "Man wird nie das Ideale finden."

Schließlich muss das Stadtmobiliar vielen unterschiedlichen Anforderungen genügen. Beispiel Abfallbehälter: Sie müssen sich gut befüllen und leicht und schnell leeren lassen, sollen in der Anschaffung nicht teuer sein und Reparaturen soll die eigene Werkstatt erledigen können. Gut sichtbar sollen sie auch sein. Dann "siegt" möglicherweise doch wieder der orangefarbene Plastikeimer – zumal die gusseiserne Variante fünf- bis zehnmal so teuer ist. Aha, das liebe Geld... Trotzdem entscheiden sich die Stadtplaner nicht gewohnheitsmäßig für die günstigste Variante. Auch Ästhetik zählt.

"Wir nehmen alles wahr, bewusst oder unbewusst", sagt Siegfried Dengler. Für die Bewohner einer Stadt und die Touristen fügt sich alles - angefangen bei der Bebauung und der Natur über das Pflaster und die Leuchten bis hin zu Pfosten und Ketten - zu einem Bild, einem Gefühl von Nürnberg als schöner oder eben nicht so schöner Stadt zusammen.

Vieles haben die Stadtplaner jedoch nicht in der Hand, etwa wo Streukisten platziert werden oder wie Container für Glas oder Kleider gestaltet sind. Für anderes fehlt schlicht das Geld. "Wenn man Geld hätte und Zeit, wären die Waschbeton-Igel schon lange weg", sagt Susanne Wenninger, Sachgebietsleiterin Öffentlicher Raum und Wettbewerbe im Stadtplanungsamt. Ersetzt durch historisch anmutende Pfosten oder einfache Sandstelen. Dass man auf Poller, Pfosten & Co. ganz verzichten kann, halten Stadt- wie Verkehrsplaner für utopisch. Zu viele Interessen streiten um den knappen Platz in der Großstadt. Und die Blechkarosse macht sich gnadenlos breit, sofern die Welt der skrupellosen Vollpfosten am Lenkrad nicht ausgesperrt wird.

Eleganter als Pfosten scheinen erhöhte Bordsteine. Statt der üblichen zehn Zentimeter, messen sie zwölf bis 18 Zentimeter. Aber auch das sei "kein gutes Beispiel", betonen Dengler und Wenninger. Denn nicht nur Stoßstange und Auspuff nehmen diese Schwelle krumm, auch für Fußgänger stellt sie ein Hindernis dar. Eine andere Methode sind Anwohnerparkregelungen. Sie eigneten sich "gar nicht so schlecht", um wildes Parken einzudämmen, bilanziert Dengler.

"Kaum zu sehen"

Und wo all das nicht funktioniert? Entspinnt sich - wie beim Nelson-Mandela-Platz, dem Obstmarkt und dem Marktplatz in Wöhrd, in Kraftshof und beim Bahnhofsplatz - die gleiche, alte Diskussion. Bleibt der Poller. Und gute Beispiele, wie er sich einfügen könnte: Auf der historischen Elbbrücke in Dresden trennen relativ helle Pfosten die Fußgänger und den motorisierten Verkehr. Die "seien kaum zu sehen", sagen die Stadtplaner.

Ihr Traum ist, auf solche Sperren verzichten zu können und ein sinnvolles Neben- und Miteinander in der Stadt allein durch verschiedene Bodenbeläge, durch unterschiedliche Niveaus und Grünstreifen zu organisieren. Dabei genügt schon der Blick auf die Lebenszeit eins Pollers, um ein böses Erwachen zu garantieren: Wo der Parkdruck groß ist, werden steinerne wie metallische Pfosten häufig angefahren oder gleich umgefahren. 

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