Zu viel Zucker ist alles andere als süß

11.11.2017, 10:27 Uhr
Zu einem ordentlichen Volksfest-Besuch gehört doch auch Zuckerwatte, oder? Sicher, denn kein vernünftiger Mensch käme auf den Gedanken, Kindern Süßigkeiten zu verbieten. Die Stiftung Kindergesundheit plädiert aber dafür, in den Familien von Anfang an Regeln im Umgang mit Süßem aufzustellen.

Zu einem ordentlichen Volksfest-Besuch gehört doch auch Zuckerwatte, oder? Sicher, denn kein vernünftiger Mensch käme auf den Gedanken, Kindern Süßigkeiten zu verbieten. Die Stiftung Kindergesundheit plädiert aber dafür, in den Familien von Anfang an Regeln im Umgang mit Süßem aufzustellen.

"Mit der hohen Zuckerzufuhr in Deutschland haben wir bei Kindern wie Erwachsenen ein Riesenproblem", erläutert Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der von Hauner’schen Kinderklinik der LMU München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. "Die nachweislichen Folgen eines hohen Zuckerverzehrs sind Übergewicht, Diabetes Typ 2 und Karies. Dicke Kinder laufen Gefahr, später an Zivilisationskrankheiten wie hohem Blutdruck, Herz- und Kreislaufleiden und Gicht zu erkranken."

Diese Zusammenhänge sind seit langem wissenschaftlich bestätigt und durch neue Studien untermauert. Was im Körper passiert, wenn sie mal eine Weile auf Zucker verzichten, untersuchten kalifornische Wissenschaftler bei 41 adipösen Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen neun und 19 Jahren, die täglich mehr als 50 Gramm Zucker in Form von Fruktose zu sich nahmen. Die Versuchspersonen erhielten neun Tage lang Mahlzeiten mit dem gleichen Gehalt an Kalorien und Nährstoffen wie zuvor, jedoch mit einer Ausnahme: Die Nahrung enthielt Stärke statt Zucker.

Das Ergebnis am zehnten Tag nach Beginn der Studie war eindeutig: Die Werte an Leberfett sanken von 7,8 Prozent auf 3,8 Prozent, das Bauchfett nahm von 123 auf 110 Kubikzentimeter ab, auch die Insulinausschüttung wurde deutlich verringert, während beim Subkutanfett keine signifikanten Veränderungen gemessen wurden. Das Körpergewicht der Teilnehmer sank durchschnittlich um 0,9 Kilo — und dies schon nach nur neun Tagen.

Öfter beim Zahnarzt

Des Weiteren untersuchten Wissenschaftler, wie sich Zuckerkonsum auf die Zähne und die Kosten der Zahnarztbehandlungen auswirkt. Aus den Daten zum Vorkommen von Karies, Zahnfleischentzündungen (Parodontitis) und Zahnverlust, entsprechenden Behandlungskosten und Krankheitslasten sowie zum Zuckerverbrauch in 168 Ländern für das Jahr 2010 errechneten sie den Anteil an den Gesamtkosten durch übermäßigen Zuckerkonsum. "Die Daten zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Zucker und dem Vorkommen von Karies, Parodontitis und als Folge Zahnverlust", so Studienerstautor Dr. Toni Meier. "Pro Mehrverzehr von 25 Gramm Zucker pro Person und Tag – was ungefähr acht Zuckerwürfeln oder einem Glas gesüßter Limonade entspricht – steigen die Zahnbehandlungskosten in Ländern mit hohen Einkommen im Durchschnitt um 75 Euro pro Person und Jahr an."

Die Behandlungskosten in Deutschland belaufen sich auf jährlich 210 Euro pro Person. Durch eine Verringerung des Zuckerkonsums auf die von der WHO empfohlene Menge ließen sich in Deutschland Kosten in Höhe von zwölf Milliarden Euro einsparen

Die schädlichen Folgen des überhöhten Zuckerkonsums werden von der Zuckerlobby allerdings hartnäckig bestritten, stellt die Stiftung Kindergesundheit fest. Die Zuckerverbände vertreten wie eh und je unverdrossen die Meinung, dass zwischen Zucker und Übergewicht und Karies kein direkter Zusammenhang besteht, und treiben den Zuckerverbrauch durch Werbung weiter in die Höhe.

Auch das an Kinder gerichtete Marketing im Internet nimmt zu: Nach einer vom AOK-Bundesverband finanzierten Studie der Universität Hamburg beinhalten über 60 Prozent der Lebensmittelwebseiten mindestens ein Element, das sich eindeutig dem Kindermarketing zuordnen lässt. Die Folge: Pro Tag kommen Kinder zwischen acht und 22 Mal mit Online-Werbeaktivitäten von Lebensmittelherstellern in Kontakt. Besonders oft geht es dabei um Lebensmittel, die sehr süß, salzig oder fetthaltig sind und Übergewicht begünstigen, hieß es dazu jüngst auf dem vom AOK-Bundesverband initiierten "Zuckerreduktionsgipfel" in Berlin.

Süßwaren, Limonaden und Knabberartikel sollten nicht mehr als etwa zehn Prozent des täglichen Energiebedarfs beitragen, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Professor Koletzko nennt ein Beispiel: "Für ein vier- bis sechsjähriges Kind liefern eine Kugel Eiscreme und zwei Butterkekse bereits zehn Prozent des täglichen Energiebedarfs."

Besondere Vorsicht gilt bei mit Zucker gesüßten Getränken und süßen Fruchtsäften. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Erfrischungsgetränken (insgesamt) betrug in Deutschland 2016 nach Industrieangaben 116,3 Liter. Den größten Posten machten Cola und Cola-Mischgetränke sowie Limonaden aus mit 78,2 Liter pro Kopf im Jahr. Studien belegen einen engen Zusammenhang zwischen dem regelmäßigen Konsum derartiger Getränke und der weltweiten Zunahme des Übergewichts. Professor Berthold Koletzko: "Mit Zucker gesüßte Getränke fluten den Organismus ungebremst und schnell mit überzähligen Kalorien und können so die Energiebilanz aus dem Gleichgewicht bringen. Flüssige Kalorien wirken außerdem weniger sättigend als feste Nahrung. Durch den raschen Blutzuckeranstieg stimulieren sie die Bildung des Hormons Insulin und damit die Fettablagerung im Körper."

Mäßigung statt Verbote

"Süßes schmeckt gut, keine Frage", räumt Professor Koletzko ein. "Kinder kennen den Geschmack schon von der Muttermilch oder der Babynahrung und lieben ihn deshalb. Kein vernünftiger Mensch käme deshalb auf den Gedanken, den Kindern alles Süße zu verbieten." Die Stiftung Kindergesundheit plädiert stattdessen dafür, in den Familien von Anfang an Regeln im Umgang mit Süßigkeiten aufzustellen und so dem Kind zu helfen, sein eigenes Maß zu finden.

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