Reinheitsgebot "eine der stärksten Marken, die wir haben"

25.4.2016, 14:02 Uhr
Biersommelier Markus Raupach.

Biersommelier Markus Raupach.

NZ: Herr Raupach, das Reinheitsgebot jährt sich zum 500. Mal – können Sie als Bierfachmann das Wort Reinheitsgebot überhaupt noch hören?

Markus Raupach: Klar kann ich das noch hören. Was ich allerdings weniger hören kann, ist das ständige Genörgel der selbsternannten Reinheitsgebotskritiker. Natürlich hat das Gebot nicht über 500 Jahre unverändert gegolten und natürlich gibt es Punkte, die man reformieren sollte, aber das sollte das große Ganze nicht infrage stellen.

Wie Sie andeuten, ist die Bierszene selbst ja derzeit gespalten, was das Reinheitsgebot anbelangt: Wie nehmen Sie diese Spaltung wahr?

Raupach: Was mich massiv stört ist, dass sich manche so am Thema Reinheitsgebot abarbeiten, anstatt Wertschätzung für unsere Brauer und Biere zu zeigen. Für mich ist es grundsätzlich gut, ein Reinheitsgebot zu haben, das dafür sorgt, dass all die chemischen und künstlichen Inhaltsstoffe (allgemein als E-Nummern bekannt), die europaweit sonst für Biere erlaubt sind, in unseren Bieren verboten sind und bleiben. Das wollen in meiner Wahrnehmung auch 99,9 Prozent aller deutschen Brauer. Ob man ein Bier etwa nach historischen Rezepturen mit natürlichen Zutaten wie etwa Wacholder, Koriander oder Salz brauen kann, ist sicher eine Diskussion wert, die wir führen sollten. Die hat aber ganz grundsätzlich mit dem in Deutschland gelebten Reinheitsgebot wenig zu tun – und stellt es an sich nicht infrage.

Halten Sie es für denkbar, dass das Reinheitsgebot eines Tages fallen könnte?

Raupach: Es ist denkbar, allerdings eher durch eine Verordnung auf europäischer Ebene, die unsere lokale und regionale Regelung außer Kraft setzen könnte. Das wäre meiner Meinung nach sehr schade. Spätestens dann würden die Kritiker merken, was sie da verloren haben.

Wer würde vom Wegfall des Reinheitsgebotes denn profitieren?

Raupach: Davon würden ausländische Konzerne und Großbrauereien profitieren, weil sie dann unter Zuhilfenahme verschiedenster Inhaltsstoffe billiger, schneller und effizienter produzieren und den deutschen Markt überschwemmen könnten. Die kleinen Brauer hätten dann leider noch eine Menge Konkurrenz mehr.

Als Bierexperte stehen Sie ja auch immer wieder ausländischen Medien Rede und Antwort zum Reinheitsgebot. Wie wird das Gebot außerhalb Deutschlands bewertet?

Raupach: Das Reinheitsgebot gehört zu den stärksten Marken, die Deutschland im Ausland hat, neben Bayern München und dem Oktoberfest. Auch deswegen finde ich es wichtig und richtig, das Jubiläum zu feiern und gemeinsam daran zu arbeiten, dass das Reinheitsgebot – gerne in angepasster Form – auch weiterhin Bestand hat.

Welche Erwartungen haben Sie an die große Landesausstellung "Bier in Bayern", die am 29. April im niederbayerischen Aldersbach eröffnet wird? Erreicht Bayern damit auch internationales Publikum?

Raupach: Ganz persönlich finde ich es schade, dass gerade diese Landesausstellung an den südöstlichen Rand von Bayern gesetzt wurde. Ich hätte sie mir gut in Ingolstadt, der Geburtsstadt des Reinheitsgebotes, Nürnberg, der Frankenmetropole, oder Bamberg, der wahren Hauptstadt des Bieres vorstellen können. So werden eher weniger Menschen die Ausstellung sehen, sie werden eher weniger Zeit in Bayern verbringen und natürlich auch weniger die anderen bayerischen "Bier-Hotspots" – gerade in Franken – besuchen können. Insbesondere für internationales Publikum ist es nicht leicht, überhaupt nach Aldersbach zu kommen. Das Reisen dorthin und zurück wird so viel Zeit verschlingen, dass wenig Zeit für andere Aktivitäten und Besuche übrig bleibt. Letzten Endes kostet das den bayerischen Tourismus bares Geld.

Sie finden also, die Landesausstellung hätte auch dem "Bierland Franken" gut zu Gesicht gestanden?

Raupach: Aus bierhistorischer Sicht ist es sicher eine Option, die Landesausstellung nach Aldersbach zu verlegen, immerhin gibt es dort eine klösterliche Brautradition – übrigens ursprünglich aus Bamberg und Ebrach initiiert. Doch es gibt mehrere Standorte in Bayern, die damit aufwarten können. Für mich wäre es wichtig gewesen, einen verkehrstechnisch möglichst zentralen Ort zu wählen. Eigentlich wären dafür wegen der Flughäfen und Autobahnen nur München oder Nürnberg infrage gekommen. Angesichts der vielen in München bereits angesiedelten Bierthemen hätte ich dann eher für Nürnberg votiert – vielleicht mit Außenstellen in Bamberg und Ingolstadt. Beides ist mit dem Zug in weniger als einer Stunde von Nürnberg aus zu erreichen. Außerdem wäre es natürlich ein feiner Zug gewesen, wenn die Bayern die Ehre der Ausrichtung dieser Ausstellung ihrem eigentlichen "Bierherz" – also Franken – erwiesen hätten. Ich fürchte, es ist so leider eine verpasste Gelegenheit, international viele Menschen mit dem Thema zu erreichen und zu uns zu bringen.

Die Brauereien überschlagen sich im Jubiläumsjahr mit Aktionen. Welche Höhepunkte und Aktionen stehen in den kommenden Wochen auf ihrem Programm?

Raupach: Als Höhepunkte sehe ich vor allem das Bierfest im Nürnberger Burggraben, wo es an den Festtagen traditionell die größte Konzentration an Brauereien und Bieren im ganzen Freistaat gibt, und das Jubiläumsfestival im Juli in München. Am Ende des Jahres steht dann noch die erste Biermesse in Bamberg an, die proBier, wo ich sicher einen schönen Ausklang für das Jubiläumsjahr haben werde. Zwischendurch bin ich auch noch mehrmals in Berlin bei der Berlin Beer Week und dem Internationalen Bierfestival.

Welche Höhepunkte sind darüber hinaus im Nürnberger Umland zu empfehlen?

Raupach: Grundsätzlich kann ich die klassischen Bierfeste empfehlen, also die Bergkirchweih in Erlangen, das Annafest in Forchheim, die Sandkerwa in Bamberg, das Mariahilfbergfest in Amberg und am Jahresende die Michaelis-Kärwa in Fürth. Nicht verpassen sollten Sie auch die Feste in unseren Hopfenregionen um Spalt und Hersbruck. Und wer dann noch nicht genug bekommen hat, dem empfehle ich die Bockbieranstiche ab Ende September, jeder für sich ein kleines Bierfest.

Sie arbeiten neben Ihrer journalistischen Tätigkeit auch als Biersommelier. Welche Rolle spielt das Jubiläumsjahr in diesem Kontext? Nehmen die Anmeldungen zu Verkostungen überproportional zu?

Raupach: Ich glaube, dass das Interesse der Menschen am Thema Bier insgesamt weiter zunimmt. Die Vielfalt wird immer größer, die Namen abstrakter und es gibt auch immer mehr neue Brauereien. Das freut mich selber riesig und gibt mir jede Menge Stoff für meine Arbeit in der Deutschen BierAkademie. Das Jubiläumsjahr merke ich vor allem an den "offiziellen" Aufträgen. Ich bin sehr viel für den Deutschen und Bayerischen Brauerbund sowie die Privaten Brauereien unterwegs.

Viele Brauereien nehmen das Jubiläumsjahr zum Anlass sich endlich auch am "Craft Beer" zu versuchen. Ihre Meinung als Sommelier: Ist noch Platz für neue Kreationen oder platzt die Craft-Beer-Blase bald und die Menschen kehren wieder zu klassischen Biersorten zurück?

Raupach: "Endlich auch" finde ich schwierig formuliert. Erstens gibt es keine klare Definition, gerade in Franken, was ein Craft Bier ist, und zweitens eignet sich die Herstellung aromatisch besonderer, ausgefallener Biere nicht für jede Brauerei. Insgesamt würde ich schätzen, dass etwa ein Viertel bis die Hälfte der bayerischen Brauereien zumindest auch am Craft-Bier-Markt präsent ist, und sie sich mit einer gewissen gesunden Distanz an das Thema wagen. Der Craft-Bier-Markt ist in meinen Augen sicher keine direkte Konkurrenz zum "klassischen" Markt. Ich würde niemandem empfehlen, ein Fass Craft Bier zum gemütlichen Grill- oder Fußballabend anzustechen. Stattdessen bieten die "neuen" Biere nun endlich sinnvolle, heimische Alternativen zu Rotwein, Prosecco, Spirituosen und Cocktails. Und das ist wirklich ein Gewinn!

Auch das Jubiläumsjahr kann nicht über den rückläufigen Bierkonsum in Deutschland hinwegtäuschen. Wird das für die Brauereien langfristig zum Problem? Wie wird versucht gegenzusteuern?

Raupach: Eigentlich sollten alle Verantwortlichen in den Brauereien wissen, dass wir einen Markt haben, in dem immer weniger Menschen immer weniger Bier konsumieren. Viele denken seit Jahren, dass sie hier nur mit der Preisschraube gegensteuern können. Doch genau das ist in meinen Augen der falsche Weg. Denn der Preis alleine als Unterscheidungsmerkmal genügt nicht – und eine Brauerei ohne Gewinn ist kein gutes Geschäft. Vielmehr sollten die Brauer an ihren Bieren "mit Ecken und Kanten" festhalten, die Geschichten um sich, ihre Brauerei und ihre Biere erzählen lernen und den Produkten schönere Namen als "Hell", "Dunkel", "Pils" und "Weizen" geben. Das sorgt für Wiedererkennungswert und Kundenbindung – und dann ist dem Kunden am Ende auch der Preis fast egal. Grundsätzlich: Um zu überleben, müssen die Brauer pro verkauftem Bier einfach mehr verdienen und sich neue Kundengruppen erschließen. Dazu gehören vor allem Frauen und Weinliebhaber – und damit sind wir wieder beim Thema Craft Bier. Hier haben übrigens die regionalen Brauereien einen Image-Riesenvorsprung, den sie auch nutzen sollten.

Wie unterscheidet sich in ihrer Wahrnehmung als Sommelier denn der genussvolle Bierkonsum von Mann und Frau? Was könnten Brauereien unternehmen, um bei weiblichem Publikum stärker zu punkten?

Raupach: Eine pauschale Antwort ist hier eher schwierig. Es gibt mehrere Wahrheiten. Auf jeden Fall trinkt der Mann grundsätzlich größere Mengen Bier als die Frau. Dagegen haben Frauen meistens ein Problem mit besonders bitteren Bieren, mögen eher Fruchtiges – und sie haben Respekt vor Bieren mit höherem Alkoholgehalt. Um also beim weiblichen Publikum eher zu punkten, könnte man an diesen drei Punkten ansetzen: Kleinere, schönere Flaschen mit gut gestalteten Etiketten, darin mild bittere Biere mit fruchtigen Noten aus Aromahopfen und nicht zu hohem Alkohol. Wobei ich selbst schon oft genug erlebt habe, dass Frauen bei ihnen wohlschmeckenden Bieren nicht mehr auf den Alkohol schauen – sie kommen ja auch aus der Sprizz-, Wein- und Prosecco-Fraktion…

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