Auf Spurensuche: «Viel zu viel noch nicht aufgearbeitet»

29.9.2008, 00:00 Uhr

«Ich sah in die Gesichter meiner Vorfahren, die der Anwerbung folgten. Es waren Bauern und Handwerker, die den Verlockungen der Herrschenden nicht widerstehen konnten und sich ein besseres Leben versprachen. Ich sah sie dann mit ihren Kindern bei der Feldarbeit, wie sie das Land bewirtschafteten, um dem kargen Boden einen Ertrag abzuringen. Es war wohl nicht das Paradies, das ihnen die Herrschenden versprochen hatten. Sie fanden ein Land, das ihnen alles abverlangte, und es gab kein Zurück. Nach der Siedlung gründeten sie Gemeinden und Städte, die ihnen die Geborgenheit gaben, die sie zum Leben brauchten. Als sie dann von dem Joch der Leibeigenschaft befreit waren und es ihnen besser ging, wurden sie zwangsweise von ihrer Heimat vertrieben.»

Nach einem allgemeinen, historisch sehr fundierten Überblick über die Siedlungsgeschichte wendet sich Ernst Rossmeissl verschiedenen Gemeinden im Kirchensprengel Gesna (Dollana/Rajowa, Gesna, Klein-Chotieschau, Knie, Piwana, Pleschnitz, Rakolus und Ullitz) zu und stellt die Orte in Wort und Bild vor.

Dass in seiner böhmischen Heimat auch viele Sagen erzählt wurden, stellt Ernst Rossmeissl in einem weiteren Kapitel unter Beweis. Er erzählt zehn ortstypische Sagen, die sich von unseren bayerischen Volkssagen kaum unterscheiden. Der Autor geht auch auf den Aberglauben ein und stellt im Einzelnen «Die Drude», «Das Eheringpendeln» und «Das Krankheitsverbeten» vor. Recht interessant sind Rossmeissls Ausführungen über das Brauchtum in seiner früheren Heimat. So erfährt man Originelles über das «Hutschengehen», das «Federnschleißen» und über «Die Ratschenbuben».

Das neue Buch ist auch eine Spurensuche des Verfassers beispielsweise zum Grab seiner Ahnen, zu seinem Geburtshaus oder zur Dorfkapelle, um nur ein paar Aspekte herauszugreifen. 162 Schwarz-Weiß-Fotos geben einen Einblick, wie es in Ernst Rossmeissls früherer Heimat heute aussieht. So schreibt der Autor: «Pleschnitz hat sich seit 1945, mit der Vertreibung der Deutschen, im Dorfbild kaum geändert . . . Dass manches Haus dem Verfall preisgegeben ist, liegt wohl an den neuen Eigentümern . . . Geändert hat sich die Umgangssprache. Sprach man bis 1945 ausschließlich deutsch, so wird heute tschechisch gesprochen.»

Mit seinem neuen Buch ist es dem Autor Ernst Rossmeissl auf beeindruckende Weise gelungen, die Erinnerung an Böhmen wachzuhalten. Gerade für die jüngere Generation, die den Krieg und die Vertreibung nur aus den Geschichtsbüchern kennt, ist es wichtig, objektiv informiert zu werden. Tschechien ist heute ein Teil der EU, doch von einer guten und unbelasteten  Nachbarschaft sind die beiden Völker - die Deutschen und die Tschechen - noch weit entfernt. Viel zu viel ist noch nicht aufgearbeitet worden. Ernst Rossmeissl tut es. Insofern ist seine neue Publikation auch ein würdiger Beitrag zur Völkerverständigung.

Ernst Rossmeissl wurde am 24. Januar 1934 in Pleschnitz, Sudetenland, geboren. Der Ort hatte 300 Einwohner und gehörte zum Landkreis Mies. Rossmeissls Vater arbeitete in den Skodawerken in Pilsen, später im Meierhof in Pleschnitz und Ullitz als Schmied. Die Mutter versorgte den Haushalt und war während des Krieges in der Landwirtschaft eingesetzt. Trotz der Nähe zu Pilsen war der Ort von Deutschen besiedelt. Wie Millionen Sudetendeutscher ereilte auch die Familie Rossmeissl 1946 das Schicksal der Vertreibung aus der Heimat. In Roth fand die Familie ihr neues Zuhause.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit betätigte sich Ernst Rossmeissl in seiner Freizeit in der Sozialpolitik. Dafür hat er hohe Auszeichnungen bekommen. Nach seinem Ruhestand setzt er sich aber nach wie vor für die sozial schwächeren Menschen in Roth und im Landkreis ein. Seine Liebe zur böhmischen Heimat ist ungebrochen.

Zur Buchvorstellung ist die gesamte Bevölkerung eingeladen.

ROBERT UNTERBURGER

(Ernst Rossmeissl: Die Siedlungsgeschichte der Deutschen in Böhmen. Kirchensprengel Gesna. Verlag Dr. Faustus, Büchenbach. Oktober 2008, 168 Seiten, ISBN: 978-3-933474-55-1)