Bei der Vernehmung die Brille vergessen?

15.11.2015, 17:49 Uhr

Mit rundem Rücken und in eine dicke Weste eingepackt, sitzt Heinz B. stundenlang weitgehend regungslos auf der Anklagebank. Nur einmal huscht ein Lächeln über sein Gesicht, als ein Polizeibeamter im Vorübergehen einen lustigen Kommentar abgibt. Wie berichtet wird Heinz B. vorgeworfen, aus Eifersucht in Rittersbach seine Ex-Frau aus über neun Metern Höhe in die Tiefe gestoßen zu haben.

Die Anwälte des 50-Jährigen hatten am ersten Prozesstag erklärt, ihr Mandant gestehe die Tat, werde aber dazu keine Fragen beantworten. Stattdessen wurden nun zwei Beamte der Kriminalpolizei jeweils über eine Stunde befragt. So wollte das Gericht unter anderem wissen, warum der Angeklagte die Belehrung über seine Rechte und das Protokoll seiner nur 20-minütigen Vernehmung nicht unterschrieben hatte.

„Vielleicht, weil er keine Brille zum Lesen dabei hatte“, mutmaßte der Sachbearbeiter des Falls im Zeugenstand. „Aber da bin ich mir jetzt nicht mehr sicher.“ Derart vage blieb vieles am zweiten Prozesstag; es war oft von Eindrücken und daraus gezogenen Folgerungen die Rede. „Ich hatte den Eindruck, dass er versteht, was man von ihm will“, ließ beispielsweise der Beamte die Vernehmung Revue passieren.

Weil die Ermittlungsrichterin angeordnet hätte, Heinz B. so schnell als möglich zu ihr zu bringen, habe er dem Beschuldigten nur konkrete Fragen gestellt und ihm keine Möglichkeit gegeben, frei zu erzählen. „So ging es schneller“, erläuterte der 49-Jährige. Die knappe Zeit sei auch der Grund gewesen, warum er den Bauhelfer vor der Vernehmung nicht erneut belehrt hat. Schließlich hätte er ihn erst zwei Stunden zuvor mit der Verlesung eines Formblatts über seine Rechte aufgeklärt, sagte der Polizist und betonte: „Normalerweise verlaufen die Vernehmungen anders. Wir hätten uns die Sachbearbeitung in einer anderen Art und Weise gewünscht.“ Aber: „Wir hatten an dem Tag einen absoluten Zeitdruck.“

Rechtsanwalt Jochen Horn, der B. verteidigt, hakte nach, ob das ungewöhnliche Vorgehen womöglich daran gelegen habe, dass die Ermittlungen an einem Sonntag stattfanden. Der Polizeibeamte verneinte. Außerdem wollte Horn von dem Zeugen wissen, ob er das Anhalten zur Eile denn nicht hinterfragt habe. Der Kommissariatsleiter habe bereits seine Bedenken der Staatsanwaltschaft dargelegt – allerdings ohne Erfolg. Er selbst sei nur der Ausführende gewesen, so der Ermittler.

Wenig vorbildlich verlief ferner die erkennungsdienstliche Behandlung des Angeklagten. Über gemeinsame Bekannte sei man in ein lockeres Gespräch gekommen und wohl beim Du gelandet, schilderte ein als Zeuge geladener 53-jähriger Polizeibeamter. Da sich dieser Gesprächsstoff aber recht schnell erschöpft hätte, habe er den Bauhelfer eben zur Tat befragt – freilich ohne ihn vorher zu belehren. Im Verlaufe der Unterhaltung habe der müde und niedergeschlagen wirkende Mann immer wieder den Satz gesagt: „Wegen meiner blinden Eifersucht ist jetzt alles kaputt.“

Aus Eigensicherungsgründen sei es wichtig, sich ein Bild von seinem Gegenüber zu machen, meinte der Beamte und erläuterte: „Im Smalltalk merkt man eher, wenn jemand aggressiv wird oder aus dem Fenster springen will.“ Die langwierigen Aussagen der beiden Polizisten wirbelten den eng getakteten Zeitplan der Zeugenbefragungen durcheinander. Seinen Anteil daran hatte auch der 63-jährige Liebhaber des Opfers. Die Fragen der 5. Strafkammer und der Anwälte beantwortete der Rentner vorzugsweise mit: „Das kann möglich sein. Ich weiß es nicht.“

So viel wurde dann doch klar: Der Senior hatte das 47-jährige Opfer als lustig und trinkfreudig kennen gelernt und gerne mit ihr geschmust. Er wusste, dass sie noch Sachen bei ihrem Ex-Mann hatte, und dass dieser auch nach der Scheidung sehr eifersüchtig gewesen sei. Seine Freundin habe zu ihm ziehen wollen, das aber wegen eines bevorstehenden Termins beim Arbeitsamt rausgeschoben, sagte der Liebhaber.