Beklemmung über schier unmögliche Zahlen

29.1.2017, 16:06 Uhr
Beklemmung über schier unmögliche Zahlen

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Beklemmung über schier unmögliche Zahlen

Diakon Robert Ullinger zitierte ein Zwiegespräch mit Gott aus dem Buch Ezechiel über Gebeine : ... Die Hand des Herrn legte sich auf mich und der Herr brachte mich im Geist hinaus und versetzte mich mitten in die Ebene. Sie war voll von Gebeinen.....". Pfarrerin Cornelia Meinhard betete angesichts von Morden aus rassistischen Gründen und der Duldung von Antisemitismus in Europa vor allem um Frieden und wünschte sich Erinnern, das weiter wirkt.

Obwohl die systematischen Erschießungen von Hunderttausenden jüdischer Kinder, Frauen und Männer, von Sinti und Roma in Osteuropa zeitlich und räumlich sehr weit entfernt scheinen, bot der Gast eine packende Einsicht in seine Forschung über dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte. Die kleine französische Organisation „Yahad in unum“ (gemeinsam) des Priesters Patrick Desbois hat sich die Suche nach den Gräberfeldern des Massenmords in Osteuropa zum Ziel gesetzt. Der Jurist und Historiker Dr. Andrej Umansky ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Köln und unterstützt sie seit Jahren. Die Gmünderin Susanne Dittrich lernte Umansky bei ihrer privaten Holocaustforschung kennen und lud ihn nach Georgensgmünd ein.

Gerade die Verbindung von wissenschaftlicher Vorgehensweise und menschlicher Nähe, mit der er Unfassbares lokalisierte, ordnete und mittels Kamera dokumentierte, beeindruckte die Zuhörer. Umansky hat in sieben Ländern rund 4000 Zeitzeugen interviewt und jede Grabstätte besucht. Er hat viele, auch scheinbar nebensächliche Bezugsfragen gestellt nach der Anzahl von Vieh auf den Höfen, der Jahreszeit, aber auch dem eigenen Standort der Zeugen. Die Hinrichtungen durch deutsche Einheiten fanden in aller Öffentlichkeit statt, und Zeugen gab es immer.

Die wichtigste und erstaunlichste Erkenntnis für die Mitglieder von „Yahad in unum“ war das Bedürfnis der damaligen Beobachter, über die Ereignisse der Besatzungsjahre im Zweiten Weltkrieg zu sprechen. „Warum kommen Sie erst jetzt?“ fragte ihn eine Frau in einem abgelegenen Dorf. Manchmal endete eine Befragung nach der Zeitreise durchs Leben mit der erstaunten Bemerkung: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich darüber noch so viel weiß.“

Umgekehrt konnten sie erstmals darüber reden, was ihnen zum Teil schon seit damals auf der Seele lastete: „Warum wurden meine Nachbarn, meine Freunde getötet?“

Für Umansky war die Methodik des Holocausts ein „Türöffner für spätere Völkermorde. Täter an anderen Orten haben von ihnen gelernt.“ Sein Forschungsgebiet hat er deshalb längst erweitert, war in Guatemala und im Irak, wo er, auch im Hinblick auf spätere Gerichtsverfahren, die Schicksale verfolgter Jessiden dokumentierte.

Bürgermeister Ben Schwarz sprach von „Beklemmung über schier unmögliche Zahlen“. In der Arbeit über die aktuelle Situation verfolgter und bedrohter Menschen aber sehe er einen hoffnungsvollen Ansatz.

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