Besuch vom „Mädchen aus Zimmer 28“

27.4.2013, 00:00 Uhr
Besuch vom „Mädchen aus Zimmer 28“

© Klier

Studienrätin Veronika Hain hatte das Zusammentreffen mit Helga Kinski organisiert, auf das sich die Gymnasiasten intensiv vorbereitet hatten. Sie waren zum Beispiel einen Tag vorher im Konzentrationslager Flossenbürg. Mit Zeitzeugin  Helga Kinski war Hannelore Brenner-Wonschik gekommen. Als Folge ihrer Recherchen zur Oper  „Brundibár“ entstanden das Buch „Die Mädchen von Zimmer 28“, sowie eine Wanderausstellung.

In über 50 Lesungen hat Helga Kinski bereits aus ihrem Leben berichtet. Ihr Tagebuch und das ihrer Freundin Anna Hanusová dienen ihr dabei als Gedächtnisstütze. Geboren wurde Helga Kinski in Wien. Ihr Vater hatte im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren und war hochdekoriert heimgekehrt. Die schöne Kindheit wurde jäh beendet, als Hitler nach Wien kam. Als Jüdin durfte sie nicht mehr in die Schule. Der Vater schickte sie zur Großmutter in das vermeintlich sichere tschechische Brünn. Aber es war eine trügerische Sicherheit. Die Mutter war 1939 nach England ausgereist und wollte ihre Tochter nachholen. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus  und es gab keine Ausreise mehr.

Ihrem Tagebuch vertraute Helga Kinski, damals noch Helga Pollak, ihre Gedanken und Sorgen an. Vor rund 70 Jahren hat sie es als 13-Jährige geschrieben.  1943 war sie mit ihrem Vater und weiteren Angehörigen in das Konzentrationslager Theresienstadt gekommen. Für etwa 7000 Menschen war das Lager gebaut worden. Am Ende waren es 50000.

28 Mädchen waren in einem Raum von rund 30 Quadratmetern eingepfercht. Die Angst war ständige Begleiterin, denn nie wusste man, wer beim nächsten Transport ins Vernichtungslager Auschwitz dabei sein wird. Es gab keinen Kontakt  zu den Angehörigen, es war kalt und eng. Oft wurde am Essen bei alten Leuten gespart, um es den jüngeren zu geben, die trotzdem hungerten. Aber das schweißte irgendwie auch zusammen. Die Mädchen bildeten eine Gemeinschaft mit eigenen Regeln, eigener Fahne und eigener Hymne. Immer wieder wurden Zimmergenossinnen „auf Transport“ geschickt, neue kamen dazu. Heimlich gab es Konzert- und Theateraufführungen. Dankend erinnert sich Helga Kinski an einige Betreuerinnen und auch an deportierte Künstler, die den jungen Menschen halfen, so gut sie konnten. „Es waren wunderbare Leute“, sagt sie. „Wenn man alles Schlechte wegdenkt: Ich hätte das Heim nicht missen mögen.“ Diese Sätze hatte sie auch für einen amerikanischen Film gesprochen. Allerdings hatte man diese Passage gestrichen.

Transport nach Auschwitz

Die Jugendlichen erfahren, dass viele der Kinder gar nicht wussten, dass sie Juden waren. Am 23. Oktober, also etwa ein halbes Jahr vor Kriegsende, wurde Helga Kinski zusammen mit vielen anderen in einem Viehwaggon nach Auschwitz transportiert. Vermutlich war auch Anne Frank zur gleichen Zeit dort. Mit völlig unpassenden Kleidern ging es ab ins Arbeitslager. Auf kalten Holzpritschen wurde geschlafen. Es gab stundenlange Appelle in klirrender Kälte, Essen gab es kaum, „man war ein Nichts“. Nach der Befreiung im  Januar 1945 starben immer noch Menschen an Krankheiten und Entkräftung. England, Ostpreußen, Äthiopien und schließlich Wien waren weitere Stationen der Zeitzeugin.

Später haben sich die Überlebenden aus Zimmer 28 gesucht und gefunden. „Wir sind heute normale Freundinnen“, erzählt Helga Kinski. Damals, nach dem Krieg, wollte sie nicht einmal mehr deutsch sprechen. „Heute habe ich keine Bitterkeit mehr, es ist ja auch eine neue Generation“, erklärt sie und verleiht ihrer Hoffnung auf Toleranz Ausdruck. Aber: „Das Thema Neonazis bedrückt mich sehr. Ich komme von diesem Thema nicht mehr los“, gesteht sie, und ihre Augen werden feucht.

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