Duktus der Freiheit

27.9.2013, 16:54 Uhr
Duktus der Freiheit

© privat

Manchmal meint es der Zufall gut. So wie damals, als Eva Macks Mann, ein engagierter Sonderpädagoge, ins Grübeln geriet: Welche „entwicklungsoptimierenden Fördermöglichkeiten“ er seinen Schülern angedeihen lassen könne, überlegte Elmar Kaufmann. Der war seinerzeit in einer Nürnberger Außenstelle der Hilpoltsteiner Comeniusschule tätig – einer beispielhaften Dependance namens „Muschelkinder“.

Dabei ist der Name Programm. Denn die Einrichtung hat sich damals wie heute jenen Heranwachsenden verschrieben, die nur eingeschränkt kommunizieren und sich ihrer Umwelt ansonsten eher verschließen: Autisten.

„Mal doch mit ihnen!“, schlug Kaufmanns Partnerin Eva Mack daher eine expressive Tätigkeit vor – und erntete dafür nicht nur sein Strahlen, sondern auch eine Aufforderung: „Mach du, du bist die Expertin.“

Es sei ein Experiment gewesen, zweifelsohne. Wenn die in Zell wohnhafte Künstlerin zurückblickt, ist sie selbst erstaunt: „Es hat geklappt, mehr als das“. Denn was als einmalige Aktion an den Start ging, ist zum Dauerbrenner avanciert — und zum Glücksfall für acht Jugendliche. Obschon die Erfolgsgeschichte anno 2006 mit einem Kopfschütteln ihren Auftakt nahm...

Da seien sie also gewesen, diese zwei Mädels und sechs Jungs, erinnert sich Eva Mack. 16- und 17-Jährige, die weder erwartungsfroh noch gespannt auf ihre künstlerische Unterweisung warteten. „Sie haben auf den ersten Blick nicht viel gemacht. Die Verständigung lief über ein Buchstabenbord, und beim Malen hat ihnen jeweils ein Assistent die Hand gestützt.“

Eva Mack wurde schnell klar: „So läuft das nicht , das ist keine Kunst!“ Aber genau das war es, was sie wollte: Kunst schaffen. „Mir ging‘s nie um einen therapeutischen Ansatz.“ Kurzerhand breitete die Künstlerin großformatige Malgründe auf Boden wie Wänden aus. Und ein Abenteuer begann.

Sie sei sich zunächst „nicht mal sicher gewesen, ob ich überhaupt verstanden werde“. Doch nachdem die Jugendlichen „eins zu eins“ umsetzten, was sie kurz zuvor erklärt hatte, schlussfolgerte Eva Mack: „Es funktioniert“ — und sollte noch besser kommen...

Ganz allmählich konnten sich die heilpädagogischen Assistenten nämlich aus dem künstlerischen Prozess zurückziehen, um ihren autistischen Schützlingen das (Mal-)Feld zu überlassen. Diese fingen nun tatsächlich an, selbstständig Leinwände und Papier mit Farbe und „einem unglaublichen Gespür für Komposition“ zu befruchten.

Gut weiß Eva Mack noch, „wie baff die Betreuer waren“. Da sei „ein System durchbrochen“ worden. Denn immerhin gab es Fälle unter den Akteuren, „die würden vor ihrem Essen verhungern ohne Assistenz“, verdeutlicht Eva Mack den Stellenwert der kreativen Autonomie. Und die jungen Leute wollten mehr davon: „Sie haben signalisiert, dass wir weitermachen sollen“.

Eva Mack präsentierte ihren Eleven von nun an häufiger unterschiedliche Techniken und Materialien. Auf diese Weise entstanden „beeindruckende Arbeiten“, von denen die Initiatorin selbst „so begeistert“ war, dass sie 2007 eine Teilnahme an der documenta XII in Kassel, Deutschlands größtem Kunstevent, erwog – und letztlich mit ihren Malschülern auch dort landete.

Boom nach documenta

Ab da, sagt Eva Mack, „sind wir ernst genommen worden“. Die Bilder kamen in Kunstfachkreisen an. „Impulsive Arbeiten“ wurden bestaunt. Arbeiten „zum Niederknien“, in denen die existenzielle Notwendigkeit ihres Entstehens ein ums andere Mal spürbar wird.

Die Eltern staunten gleich mit und gründeten alsbald den gemeinnützigen Verein „Muschelkünstler“. Eine Mutter fiel Eva Mack dabei fast um den Hals: „Unsere Kinder gelten in der Gesellschaft immer bloß als schwierig. Jetzt können sie endlich zeigen, was in ihnen steckt“.

Kein Wunder, wenn sich Initiatorin Mack also „jederzeit der unermüdlichen Unterstützung von Eltern und Betreuern sicher sein“ konnte. Andernfalls, meint sie, „wäre das Projekt auch niemals möglich gewesen“.

Es folgte nun: eine Ausstellung nach der anderen. Es gab jetzt: Preise auf Landes-, auf Bundesebene. Längst sind die „Muschelkünstler“ kein unbeschriebenes Blatt mehr, sondern ein Markenzeichen. Das Markenzeichen junger Kunstschaffender, die Farbe, Leinwand und Pinsel zu einem sozialen Artikulationsorgan gemacht haben. Einem ihrer ganz wenigen.

„Es sind ernst zu nehmende Künstler“, ist Eva Mack überzeugt. Auch im Hinblick darauf, „dass einige durchaus von ihrer Kunst leben könnten.“

Mittlerweile sind die Teenager nämlich erwachsen und weilen gemeinsam in einem Wohnprojekt der Rummelsberger bei Hersbruck. Dort bietet Eva Mack — mit heilpädagogischen Fachkräften an der Seite — auch weiterhin die Möglichkeit, kreativ zu werden: in regelmäßigen Workshops, im Offenen Atelier. Erfolgreich. Denn der Künstlerkreis mit Teilnehmern aus dem autistischen Spektrum wächst stetig.

Dass dessen Gründungsmitglieder sich inzwischen „selber als Profis verstehen“, findet Eva Mack „natürlich klasse. Aber dafür müssen sie auch was tun“. Kritik einstecken können inklusive. Inzwischen ginge das. Nicht immer, aber immer öfter.

„Mich irgendwann überflüssig machen zu können, das wäre freilich der Idealzustand“, skizziert Mack vor solchem Hintergrund eine Zukunftsvision. „Aber ob sich das realisieren lässt, bleibt fraglich.“

Wie formulierte es doch einer der Acht? „Kunst ist für mich wichtig, ich kann so Gefühle ausdrücken. Kunst verbindet alle Menschen. Dadurch darf ich auch dazu gehören.“ – Der Weg in Richtung einer idealen Zukunft scheint bereitet...

Die nächste Ausstellung der „Muschelkünstler“ ist von Mittwoch, 13. November bis 17.Dezember im Caritas-Pirckheimer-Haus Nürnberg zu sehen.

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