Gredinger Trachtenmarkt: Verbeugung vor Gillmeister-Geisenhof

1.9.2016, 17:23 Uhr
Gredinger Trachtenmarkt: Verbeugung vor Gillmeister-Geisenhof

© Foto: HiZ-Archiv/Viola Bernlocher

GREDING — Am Samstag, 3., und Sonntag, 4. September, dreht sich auf dem Gredinger Marktplatz alles um Stoff — und was aus ihm gemacht wird. Röcke und Mieder, Westen und Hüte: Aus ganz Deutschland und darüber hinaus werden Künstler, Handwerker, Träger und Fans in die Stadt kommen, um sich über die Tracht auszutauschen, einzukaufen, sie zu sehen und sie zu tragen. Greding ist dann wieder der Trachtenmittelpunkt der Welt.

Handwerker zeigen, wie man stickt oder klöppelt, Experten bestimmen alte Spitzenformen, Händler verkaufen Stoffe oder Accessoires: 90 bis 100 Aussteller werden wieder in Greding sein. Dazu Präsentationen von Trachten und Tänzen, die Tauschbörse des Lions-Clubs für einen karitativen Zweck und natürlich gemeinsames Feiern, spätestens am Samstagabend, wenn fünf Musikgruppen beim „Rumlumpen“ durch die Wirtshäuser ziehen. Die beliebten „Tschechen“, die Dudelsackkapelle aus Ledce, sind heuer auch wieder dabei.

Spanische Kür

„Das ist die Pflicht“, sagt Michael Ritter vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. Oben drauf kommt die Kür: die besonderen Gäste und das Motto. Eine Gruppe aus dem Erdinger Holzland präsentiert ihre Festtagstracht, eine Abordnung aus der Oberpfalz zeigt Tänze und ihre Gewänder. Zudem kommt ein Dolmetscher. Ritter hat zwar Spanisch studiert. Mittlerweile ist es aber etwas eingerostet, und die Besucher sollen mit den Gästen aus Andalusien in Kontakt kommen. Sie stellen einen neuen Rekord auf. Noch nie ist eine Gruppe so weit angereist — und der Trachtenmarkt findet heuer zum 23. Mal statt. Eigentlich hätten die Spanier schon vor einigen Jahren kommen sollen, doch die Finanzkrise machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Dass es nun doch noch klappt, freut Ritter besonders.

Die Spanier stammen aus der Region Los Vélez, nördlich von Almeria an der Südost-Küste gelegen. Der Kontakt kam schon 1990 zu Stande, über die Partnerschaft der Naturparks Sierra de María-Los Vélez und Altmühltal. Die Gegend ist am Meer durch den Tourismus, im Hinterland aber traditionell geprägt. Plissierte Röcke aus bis zu fünf Meter langen Stoffbahnen und aufwändige Schultertücher prägen die Tracht der Frauen, die Männer tragen schwarze Kniebundhosen, weiße Hemden und schwarze Westen, insgesamt sind maurische Einflüsse erkennbar. „Es ist nur von Vorteil, über den Tellerrand zu blicken, sich fachlich auszutauschen und Anregungen zu holen“, freut sich Ritter nicht nur auf Trachten, Tänze und Musik der Gäste.

Die Franken sind bereit, sich über Techniken oder Stoffe auszutauschen. Leinen aus Finnland, Spitze aus Österreich: Schon immer nahm die Tracht hierzulande Einflüsse aus dem Ausland auf, die beispielsweise über die Niederlassungen der Nürnberger Kaufmannshäuser in den italienischen Handelsstädten ihren Weg nach Franken fanden. „Tracht ist nie statisch“, sagt Evelyn Gillmeister-Geisenhof, Trachtenbeauftragte des Bezirkes Mittelfranken. „Trachtenvereine zeigen oft nur eine Momentaufnahme, zum Beispiel aus dem 19. Jahrhundert“, sagt sie. Vor 30 Jahren hat sie mit der Trachtenerneuerung begonnen. Das Destillat wissenschaftlicher Forschung floss in Trachten und Dirndl, die der heutigen Mode beispielsweise in der schmalen Form entgegenkamen, aber Mieder oder am Unterarm gebauschte Ärmel wie früher zeigen. Die überlieferte Kultur sollte bewahrt, aber auch weiterentwickelt werden. „Wir wollen Tracht nicht musealisieren oder mumifizieren, sondern übersetzen“, sagt Ritter.

Dabei setzen er, Gillmeister-Geisenhof und der Gredinger Trachtenmarkt auf Tradition statt den Trend, die Dirndl und Lederhosen aus dem Discounter. „Da sind viele Fantasietrachten entstanden“, sagt Gillmeister-Geisenhof. Die „echte“ Tracht profitierte vom Hype, die Leiterin der Trachtenforschungs- und -beratungsstelle des Bezirkes stellte 2009 aber auch ein eigenes, passendes und angemessenes Label vor: „Pro Tracht“.

Nichts für den Alltag

Von der Illusion, die Tracht wieder in den Alltag zu holen, hat sie sich aber verabschiedet. Ein eigens kreiertes Business-Kostüm fand beispielsweise nur wenig Käufer. „Früher war Tracht ein normales Gewand, heute gehört sie eher zum Freizeit-Look, ins Bierzelt oder zum Grillen“, sagt sie.

„Trachtenerneuerung ist kein Evangelium“, ist Gillmeister-Geisenhofs Credo. Über den Wandel und was Tracht ausmacht, wird beim Trachtenmarkt am Samstag bei einer hochkarätig besetzen Podiumsdiskussion debattiert. Auch eine Gesamtschau der fränkischen Tracht und „Trachtenerneuerung — ein Querschnitt durch drei Jahrzehnte“ ist zu sehen. Dieses Motto des Trachtenmarktes ist damit auch eine Verbeugung vor Gillmeister-Geisenhofs Schaffen — sie geht im November in den Ruhestand. „Das ist passend und angemessen“, sagt Ritter. Gillmeister-Geisenhof sei eine Vorreiterin.

Wie wichtig ihre Arbeit ist, lässt sich auch an der Entwicklung des Trachtenmarktes absehen, den sie mitinitiiert hat: Vom Bezirk, dem bayerischen Landesverein für Heimatpflege und der Stadt organisiert, war er nicht nur der erste, sondern ist heute auch der bedeutendste derartige Markt bundesweit, hat zahlreiche Nachahmer gefunden und zieht jährlich mehr als 10 000 Gäste aus dem In- und Ausland an. „Er hat sich prächtig entwickelt“, sagt Ritter.

 

 

Keine Kommentare