„Ich weiß, dass ich einen schönen Abend beschere“

30.9.2015, 16:27 Uhr
„Ich weiß, dass ich einen schönen Abend beschere“

© Foto: Marcel Staudt

Indiana Jones und der Tempel des Todes war einer dieser Straßenfeger. 1984 kam er in die Kinos, und neben Millionen anderer Besucher wollte auch Anja Bürger den Film sehen. Obwohl sie erst zehn Jahre alt war – und der Streifen in Deutschland erst ab 16 Jahren freigegeben. Doch die Eltern hatten ein Kino, und die kleine Anja schaffte es, sich in eine Vorführung zu schmuggeln. „Endlich hatte es einmal geklappt“, erzählt Bürger.

Normalerweise zog sie ein Kartenabreißer wieder heraus, wenn sie sich in Saal 1 oder 2 einen Film anschauen wollte, der eigentlich noch nicht für ihre Augen bestimmt war. „Die waren da unerbittlich“, erinnert sich Bürger. Aber die Verlockung war eben so groß, wenn man schon an der Quelle sitzt. Das Bavaria Kino-Center an der Bahnhofstraße wird 80 Jahre alt, Bürger betreibt es mittlerweile in der dritten Generation.

Lediglich in den 70ern verpachtete die Familie das Kino für ein paar Jahre, bis 1979 Friederike Bürger das Kino wieder übernahm. Nicht ganz freiwillig, wie Tochter Anja Bürger erzählt: „Es war der letzte Wunsch meines sterbenden Großvaters. Aber als meine Mutter das erste Mal an der Kasse saß, wusste sie: Das ist es.“

So ging es auch der Tochter. Anja Bürger ist praktisch im Kino aufgewachsen, in dem Anfang der 80er Jahre aus einem Saal zwei gemacht wurden. „Meine Mutter hatte damit eine Entscheidung getroffen, die die Zukunft des Kinos auf lange Zeit sicherte.“ Mit zwei Sälen war aber auch eine Menge Arbeit verbunden. Bürger half schon mit sechs Jahren beim Saubermachen mit. Dafür bekam sie von der Mutter pro Einsatz 50 Cent. Mit steigendem Alter wurden auch die Posten verantwortungsvoller: Bürger riss Karten ab, verkaufte Süßkram und saß schlussendlich selbst an der Kasse. Etwas anderes zu machen als Kino kam für sie nicht mehr in Frage: „Ich habe einen ganz tollen Beruf. Wenn die Besucher bei mir ihre Karten kaufen, weiß ich, dass ich ihnen einen sehr schönen Abend bescheren werde.“

Nur Mitte der 90er war es für zwei Jahre nicht ganz so spaßig, im kleinen Rother Kino zu arbeiten. In Nürnberg eröffnete mit dem Cinecitta ein modernes Multiplexkino, und die Bürgers bangten um den Familienbetrieb. Könnte man gegen diesen Giganten aus der Großstadt bestehen?

Zwei Jahre später folgte die Antwort: Ein ganz klares Ja. Besucher, die zeitweise lieber nach Nürnberg zum Filmeschauen fuhren, kamen wieder zurück. Das Bavaria Kino-Center konnte mit seinem Charme gegen den scheinbar übermächtigen Gegner bestehen. Bürger kann sehr gut von der bewiesenen Treue der Rother schwärmen, die ein Glücksfall war — einen Plan B hatten die Betreiber nicht.

Deutlich weniger Filme

Einen Nachteil konnten die Bürgers aber nie wettmachen, und er wird wohl ewig bleiben: In Roth laufen deutlich weniger Filme. „Manche glauben, wir dürfen sie erst später als die großen Kinos zeigen, aber das stimmt nicht“, sagt Bürger. Doch wenn die 41-Jährige einen Film ab Bundesstart vorführen möchte, dann muss es für mehrere Wochen täglich mindestens eine Vorstellung geben. Weil es davon lediglich am Wochenende und in den Ferien mehr als eine pro Tag und Saal gibt, fällt das Angebot geringer aus — und muss gut überlegt sein. Bürger entscheidet nach Bauchgefühl, ob sie einen Streifen vom Filmverleih einkauft oder nicht.

Wie das mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus so ist, kann man mit ihnen auch als Kinobetreiberin gründlich daneben liegen. So geschehen mit dem Schuh des Manitu im Jahre 2001. Wieder so ein Straßenfeger, von dem Bürger aber nicht ausging, dass er die Straßen tatsächlich fegen würde. Sie hatte vorab Ausschnitte gesehen und riet ihrer Mutter davon ab, den Film einzukaufen. Als die Komödie mit Bully Herbig sich allerdings anschickte, sämtliche deutsche Rekorde zu brechen, zog das Bavaria Kino-Center eine Woche nach Bundesstart doch noch nach. Wieder erwies sich die Treue der Rother als verlässlich: Viele hatten gewartet, bis der Film in Roth läuft. Die Säle waren voll, und die Bürgers zeigten den Streifen 23 Wochen hintereinander, bis er auf DVD herauskam. „Diese Fehleinschätzung hat mir meine Mutter noch Jahre später vorgehalten.“

Umstieg auf digital

Beim Umstieg auf digital bewies die Tochter dafür ein sicheres Händchen. 2012 starb Friederike Bürger, da hatte die Familie gerade daran gedacht umzustellen. Noch im selben Jahr rüstete Anja Bürger im Saal 1 um, 2013 auch im Saal 2. Der Kauf der neuen Maschinen hat rund 120 000 Euro gekostet, der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Förderbank Bayern und die Filmförderungsanstalt gaben Zuschüsse.

Heute betreibt Bürger das Kino zusammen mit ihrem Freund Marc Mayer. Zehn Schüler und Studenten verdienen sich etwas Taschengeld dazu. Der wohl bekannteste Mitarbeiter ist aber wohl der kleine Mann. Ein siebenjähriger Mischlingskater, den Bürger 2010 aus dem Rother Tierheim holte. Seitdem tappst er immer irgendwo im Kino herum und wurde dadurch zum Star des Hauses. Bei Vorstellungen setzt er sich gerne auf den Schoß eines Besuchers und schaut mit. Besonders Actionfilme hätten es dem kleinen Mann angetan, erzählt Bürger: „Dabei müsste es ihm eigentlich viel zu laut sein.“ Viele Besucher bestellen sich zum Popcorn gleich die Katze als Stuhlgast mit dazu, doch da muss das Frauchen leider ablehnen: „Er ist der Star des Kinos. Aber als Kater sucht er sich sein Plätzchen schon selbst aus.“ Wenn jemand eine Katzenhaarallergie hat, darf der kleine Mann selbstverständlich nicht mit in den Saal.

Für Betreiber, die keine Kinokatze haben, hat Bürger zum Überleben einen Ratschlag: „Auch kleine Kinos können bestehen. Man muss einfach immer auf dem Laufenden bleiben und zeigen, was die Leute sehen wollen.“

Keine Kommentare