Kulturfabrik Roth: Ehe als heiteres Trauerspiel

23.11.2014, 17:01 Uhr
Kulturfabrik Roth: Ehe als heiteres Trauerspiel

© Foto: Manfred Klier

Bei Shakespeare sind Romeo und Julia so zusagen unsterblich ineinander verliebt. Ihre Familien sind verfeindet, also lassen sich die Liebenden von Pater Lorenzo heimlich trauen. Als Romeo im Streit ein Mitglied aus Julias Verwandtschaft tötet, muss er aus Verona nach Mantua fliehen. Es ist die letzte gemeinsame Nacht der Liebenden. Beim Aufwachen hören sie einen Vogel und Julia fragt: „Willst du schon gehen? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche.“ Doch Romeo antwortet: „Die Lerche war’s, die Tagverkünderin. Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.“

Julia soll, so wollen es ihre Eltern, mit einem anderen Mann verheiratet werden. Pater Lorenzo weiß Abhilfe: Ein Schlaftrunk versetzt Julia in einen todähnlichen Schlaf. Ein Freund findet Julia in der Gruft und informiert Romeo von ihrem angeblichen Ableben. Romeo eilt herbei, nimmt Gift und stirbt an ihrer Seite. Im selben Augenblick wacht Julia auf, ergreift einen Dolch und tötet sich aus Verzweiflung. So weit Shakespeare.

Der aus Israel stammende Schriftsteller Ephraim Kishon hat sich darüber Gedanken gemacht, was denn aus dem berühmtesten Liebespaar der Welt geworden wäre, wenn sie nicht gestorben wären. Sein „heiteres Trauerspiel“ wurde 1973 in Tel Aviv uraufgeführt.

In der Kulturfabrik wachen Romeo und Julia zu den Klängen von Edvard Griegs „Morgenstimmung“ im Bett auf. Seit fast 30 Jahren sind die beiden verheiratet. Der Hahn kräht, Romeo fällt aus dem Bett und sucht seine Socken. Die aufmüpfige 14-jährige Tochter Lucretia, eine Herumtreiberin, ist erst gegen Morgen nach Hause  gekommen. Die Stimmung ist gereizt. Romeo muss abspülen: „Früher habe ich die Laute gespielt, jetzt spüle ich ab.“ Lucretia stürmt herein: „Ich verachte dich!“

Julias alte Amme schleppt sich auf die Bühne und berichtet in fränkischem Dialekt von deren Ausschweifungen: „An Mönch, nackert wie a Splitterfaser“, habe sie ausgiebig vom Balkon aus beobachtet. Die Amme pflegt auch Romeos wohlhabende Schwiegermutter. Wenn die alte Signora einmal auf der Treppe ausrutschen würde …? Romeo und die Amme umarmen sich innig.

„Ein Sexproblem“

Szenenwechsel. Der altersdebile Pater Lorenzo soll Julia die Beichte abnehmen. „Schieß los!“, ermuntert er sie mit unverkennbar hanseatischem Akzent und nimmt Julia in den Arm. „Ich liebe meinen Mann nicht mehr“, gesteht Julia, „ er ist impotent und schläft mit Lisa. Lisa ist seine Wärmflasche!“ „Ist das alles?“, wundert sich Lorenzo. „Du hast ein Sexproblem!“, konstatiert er. „Geh’ ins Kloster, da gibt es junge Mönche!“

„Du Vollidiot!“ „Du Schlampe!“, ein handfester Krach ist zwischen Romeo und Julia entbrannt. Da tritt ein Gast auf: „Ich bitt’ euch, endet diesen Streit!“ Es ist der durch das Gezeter in seinem Grab aufgeschreckte William Shakespeare. Die beiden geben ihm die Schuld an ihren Problemen: „Immer müssen sich die Personen in Ihren Stücken verlieben und dann sterben. Sie sind ein Massenmörder!“

Da ist Lucretia ganz anderer Meinung. Sie findet William sehr sexy, obwohl er feststellt: „Ich hatte die Tochter im Stück gar nicht vorgesehen.“ „Retten Sie mich, William!“, fleht die Tochter. Romeo wirft William hinaus. „Ich gehe, doch ich scheide nicht von hinnen! Ciao!“, ruft er im Gehen.

Obwohl diese heitere Tragödie für sechs Rollen angelegt ist, kommt „Alles Theater“ mit drei Darstellern aus. Die verkörpern perfekt —  nacheinander versteht sich –  mehrere Charaktere. Jürgen Schütte spielt sowohl den polternden Romeo als auch den debilen Pater. Elke Pusl verkörpert überzeugend die launische Julia, ihre heftig pubertierende und kesse Tochter Lucretia und die alte, bucklige Amme. Den auferstandenen William Shakespeare spielt Klaus Lumpp, der zugleich die Regie führt. 

„Ich werde mit Willi ausgehen und mit ihm schlafen!“, ruft die missratene Tochter ihren Eltern zu. „Du Nutte, Du Miststück!“, ist Romeos Antwort. Doch da erinnern sich Romeo und Julia an ihre eigene Jugendzeit … Gegenseitige Versöhnung ist angesagt.

Wieder wachen die beiden im Bett auf, wieder kräht der Hahn und wieder gibt es Streit. Romeo will seine Freiheiten, Julia will sich scheiden lassen und redet Pater Lorenzo gegenüber von Gift. Da taucht Shakespeare wieder auf: „Es ist der Dichter, der die Stücke schreibt und dem das Ende überlassen bleibt.“

Inzwischen ist die alte Señora „auf Granitstufen“ gefallen und verschieden. Das Erbe steht an. „Luki, bist du zu Hause? Willi ist da!“, ruft Shakespeare. „Willi, wir rasten aus! OK?“, wünscht sich die in William verknallte Lucretia. „Es ruft das Fleisch, der Geist wehrt sich vergebens“, zitiert Shakespeare beim Abgang.

„Wir hätten William nicht ins Haus lassen sollen. Er macht aus allem eine Tragödie“, sind sich die Eltern einig. Julia hat inzwischen ein Giftgetränk zubereitet, Romeo gießt seinerseits Gift in Julias Wein. Sie prosten sich zu und warten gespannt auf die Reaktion des Anderen. Das Schicksal scheint seinen Lauf zu nehmen. Noch einmal umarmen sich die beiden innig.

„Es dämmert diesen beiden kein neuer Morgen mehr!“, stellt Shakespeare beim Verlassen der Bühne lakonisch fest. Beide brechen zusammen und bleiben wie tot liegen. „Ist er fort?“, flüstert da Romeo. Es war kein Gift, weil die Regie gespart hatte. Aber um William zufriedenzustellen, haben sie sich tot gestellt. Der Streit geht weiter …

Keine Kommentare