Marcel Schneider bleibt am Boden

30.9.2018, 16:00 Uhr
Marcel Schneider bleibt am Boden

© Carola Scherbel

In den Wochen bis zur Landtagswahl muss er genau das tun. Nicht nur reden und überzeugen, sondern auch hinsehen, zuhören und Probleme wahrnehmen. Marcel Schneider, Landtagskandidat der SPD im Stimmkreis Roth, scheint dafür Auge und Ohr zu haben. Auch wenn ihm das Attribut des Quereinsteigers anhaftet, weil er erst seit gut drei Jahren Parteimitglied ist.

Und das Attribut des Paradiesvogels, aber auch damit ist er einverstanden. Und ja, wenn man genau hinschaut, sieht man es schon an manchen Stellen glitzern. Das Smartphone ist silbern und mit Strass bestückt, auch am Gürtel blinken Schmucksteinchen auf. Für Marcel Schneider ist sein legeres bis schickes Outfit mit ein paar kleinen Schnörkeln selbstverständlich: "Ja, ich bin ein Paradiesvogel." Aber er will kein schwirrender, haltloser sein, sondern ein bodenständiger mit solide durchdachten Ansichten.

Bekannt durch Charity-Aktionen

Die braucht er jetzt, da er sich auf noch ungewohntem Terrain bewegt. Schneider, 49 Jahre alt, selbstständiger Friseurmeister mit zwei Betrieben in Rednitzhembach und Altenfurt, bewirbt sich für die SPD um das Landtagsmandat im Stimmkreis Roth.

In die Partei eingetreten ist er 2015 gleich mit Schmackes: Schnell war der gut vernetzte und durch etliche Charity-Veranstaltungen für behinderte Kinder und den Tierschutz längst bekannte Opernball-Friseur stellvertretender Bezirksvorsitzender und stellvertretender Kreisvorsitzender der Partei. Und nach gut zwei Jahren stieg er mit der Kür zum Landtagskandidaten schon zum Hoffnungsträger für die Rother Sozialdemokraten auf, die seit dem Ausscheiden von Peter Hufe keinen eigenen Landtagsabgeordneten mehr stellen.

Der Seiteneinsteiger ist also gleich an die vorderste Front gesprungen. Mit dieser Punktlandung hat er kein Problem, schließlich will er, der "schon immer ein politischer Mensch war", etwas bewegen. Gleichzeitig gelingt dem kommunikativen, offenen Typen ein Spagat: Langjährige Genossinnen und Genossen verprellt er nicht, sondern gewinnt sie — mit bescheidenem und überzeugendem Auftreten.

"Das Mandat will ich unbedingt erringen", sagt er im Brustton der 150-prozentigen Überzeugung. Nicht nur, damit die Rother SPD wieder eine Stimme in München hat. Sondern vor allem, weil er Themen und Projekte anpacken will, die ihm wichtig sind. Das sind etliche, und einige von ihnen haben mit Marcel Schneiders Biografie zu tun: Sein Vater, Arbeiter und Gewerkschafter, kam aus einem Bauernhof, daher die natürliche Liebe zu Tieren. "Ich hatte ein Pferd, selbstverständlich hab’ ich die Hühner gefüttert und Kartoffeln geklaubt", erinnert er sich. Die Mutter war mit ihrer Familie aus dem Egerland vertrieben worden. "Daher weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man die Heimat verloren hat", sagt der Friseurmeister, der intensiv um das Bleiberecht eines Flüchtlings aus Afghanistan als Lehrling bei ihm gekämpft hat.

Mut zum Outing

Schon als Kind habe er zwar mit Matchbox-Autos gespielt, sich zu Weihnachten aber auch Puppenköpfe zum Frisieren gewünscht. An die Umerziehung des Linkshänders in der Schule auf die rechte, "die gute Hand", erinnert er sich mit Schrecken, Legasthenie sei die Folge gewesen. Dass der Jugendliche dann die Realschule nicht beendete, sondern eine Ausbildung im Friseurhandwerk machte, war für die Eltern "nicht ganz einfach".

Mit seinem Outing – "ich hab mit 15 schon gewusst, dass ich anders bin" – setzte er ebenfalls früh ein Zeichen und dem Mobbing aus dem Umfeld eine klare Haltung entgegen. Familiär war das kein Problem, der Vater tat sich allerdings eine Zeit lang schwer – "auch damit, dass er keine Enkelkinder von mir kriegt".

Seitdem geht Schneider in die Offensive, wenn es um Homophobie geht. In der Aids-Hilfe war er aktiv, hat Sterbende auf ihrem letzten Weg begleitet. Sein Partner und er haben nach 17 Jahren Beziehung 2009 geheiratet.

Aber nicht nur die Ausgrenzung von Schwulen ist ein Thema, das ihn umtreibt. Generell steht er auf, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Rassismus und Antisemitismus gehören genauso dazu. Dafür hat er schon Morddrohungen bekommen, "aber ich lasse mich nicht ängstigen".

Lange im Gemeinderat

Trotzdem ist vieles im Wahlkampf neu für ihn, "aber ich lerne fleißig". Nicht nur von seinem Mann, der sich als langjähriger Gemeinderat mit kommunalen Themen vom Bebauungsplan bis zur Kläranlage auskennt. Auch durchs Zuhören. Der "rote Friseurstuhl", den Schneider derzeit in etlichen Städten aufstellt und darauf Bürgerinnen und Bürger frisiert, war natürlich seine Idee. Beim "Styling mit persönlichem Gespräch" geht’s zur Sache: "Da erzählen mir die Leute schon, was die Politik tun soll."

Dabei ist gern mal das dritte Attribut zu hören: "Promi-Friseur" kann er gar nicht leiden, "weil es nicht zutrifft". Dass er zum zwölften Mal beim Opernball für die Frisuren zuständig ist, habe ihm zwar eine gewisse Bekanntheit verschafft, "weil da halt immer ein paar Prominente dabei sind". Aber er frisiere auch da "alle", also Mitarbeiter, Orchester…

Ein wichtiges Thema ist ihm der Mindestlohn: "Wie wild wurde gegen die Einführung gewettert?" Aber dann: Die Einführung habe der Wirtschaft kein bisschen geschadet. Im Gegenteil, er hält die 8,84 Euro für zu niedrig: "Meine Angestellten bekommen zwölf Euro pro Stunde."

Sogar Andrea Nahles hat ihn mit einem Wahlkampfbesuch unterstützt. Was er tut, wenn es trotz seines großen Einsatzes nicht reicht? "Ich würde mich selbstverständlich weiter politisch engagieren. Wer weiß", schmunzelt er, "vielleicht werde ich ja Bürgermeister von Rednitzhembach".

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