Matheformeln mit massig Meerwasser

15.5.2015, 18:18 Uhr
Matheformeln mit massig Meerwasser

Wieder zuhause. „Irgendwie komisch, das Gefühl“, sagt Max. Der 15-jährige Gymnasiast rückt seine schwarzrandige Brille zurecht, streicht sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem zart gebräunten Gesicht und lässt den Blick übers Plakat schweifen, auf dem in blauen Lettern der Schriftzug prangt: „Das Abenteuer meines Lebens“.

Matheformeln mit massig Meerwasser

© Foto: Wieder

Drumherum purzeln bunte Bilder. Es sind fröhliche Dokumente dessen, was just hinter dem aufgeschlossenen Teenager liegt: Ein halbes Jahr hatte er das sanfte Spalter Hügelland gegen die raue Meeresheimat der „Thor Heyerdahl“ getauscht, hatte fremde Länder wie Kulturen kennen gelernt und „Freundschaften fürs Leben“ geschlossen.

„Schuld“ daran ist sein Religionslehrer. Selbst Mitglied im Thor-Heyerdahl-Verein, verstand der es trefflich, in Max die Lust aufs KuS-Projekt zu schüren. Als seinerzeit einzigem Neuntklässler des Windsbacher Gymnasiums allerdings. Denn während für den Schüler aus Spalt schnell feststand: „Da bewerb´ ich mich!“, blieben die anderen lieber daheim. Vielen sei es suspekt gewesen, „ohne Internet und Handy zu sein“, weiß Max Wieder.

Rund 300 Bewerbungen flatterten der Uni Erlangen-Nürnberg dennoch ins Haus. 50 dieser Bewerber wurden qua Bewerbungsschreiben zum einwöchigen Probetörn an die Schlei geladen. Mit dabei: Max Wieder. Am Ende sollten 18 Mädchen und 16 Jungs die Zusage erhalten: Ja, ihr geht am 18. Oktober 2014 auf große Segeltour! Zusammen mit einer Crew aus erfahrenen Seeleuten, Lehrpersonal und Wissenschaftlern.

Max war begeistert: Alleine die Ausmaße des 50 Meter langen, 6,50 Meter breiten und 29 Meter hohen Schiffes hatten es ihm angetan: „Boah, hab´ ich mir gedacht, damit bist du jetzt unterwegs!“

Ausgiebig und intensiv. Arbeitsintensiv vor allem. Denn das KuS-Curriculum beinhaltet nicht nur Fun an Wasser und Land. In den ersten Wochen wurden die jungen Matrosen im fachgerechten Segeln und auf dem Gebiet der Astronavigation unterwiesen; stets zweimal täglich für jeweils drei Stunden musste Schiffswache geschoben werden – tagsüber wie nächtens; Kombüsendienst wie Schiffsreinigung wollten überdies verrichtet sein, und jeden zweiten Tag war von 8.30 bis 17 Uhr Unterricht angesagt – Vorträge, Referate und Tests inklusive. Der Bayerische Lehrplan war mit in See gestochen.

Von Norddeutschland aus führte die Route nach England, von da nach Teneriffa, weiter nach Union Island, Grenada, Panama, Kuba, zu den Bermudas, den Azoren und schließlich erneut über England nach Kiel. Während jeder dieser Etappen war Müßiggang Fehlanzeige und „mehr als acht Stunden Schlaf nicht drin“, erzählt Max Wieder.

Dennoch sei es eine Zeit gewesen, die er keinesfalls missen möchte. Matheformeln an Deck zu pauken, „wenn einem der Wind um die Nase weht und das Wasser um die Füße schwappt – das ist schon was ganz Besonderes“. Auf Teneriffa wurde am Beispiel des Teide der Vulkanismus studiert, bei Panama die „Symbiose am Riff“ durchgenommen, im Regenwald das Thema Blattschneiderameisen vor lebendem Objekt beackert und auf Höhe der Azoren waren es die Wale, denen das schulische Augenmerk galt – bei gleichzeitiger Beobachtung der Tiere! Zwei ausgedehnte Landaufenthalte in Panama und Kuba nutzte man überdies zum Kennenlernen fremder Kulturen: „Wir haben bei den Naso-Indianern übernachtet.“

Diese unmittelbare und freie Art des Lernens sei wesentlich effektiver und nachhaltiger als stures Faktenpauken, ist der 15-Jährige überzeugt: „Man macht wahnsinnige Fortschritte, wenn man etwas verstehen möchte, weil es einen interessiert“.

Darauf hatten wohl auch die Lehrer und Uni-Dozenten gebaut. Denn die gaben ihren Schützlingen Freiräume, „die wir sinnvoll ausfüllen sollten“. Auf diese Weise seien die Schüler zu ihren eigenen Lernmanagern geworden.

Anvertraut hätte man den Teens aber auch das: Verantwortung. „Schiffsübergabe!“ lautete die Devise nicht nur einmal. Mit anderen Worten: Den Schülern wurden sämtliche Schiffsämter übergeben, auf dass sie die „Thor Heyerdahl“ in Eigenregie zum nächsten Zielort steuerten. Vor den Bermudas sogar gänzlich ohne elektronisches Gerät — „wir haben uns astronomisch orientiert und sind bis auf 1,5 Seemeilen auf Kurs geblieben“, erklärt Max Wieder stolz. Das schweiße zusammen, überhaupt hätte die Gruppendynamik bestens funktioniert.

Alles in allem wären seine Erwartungen also „voll erfüllt, sogar übertroffen worden“, strahlt der Abenteurer. Einen „Lebens-, Erfahrungs- und Lernraum, in dem die Jugendlichen ihre gesamte Persönlichkeit entwickeln und entfalten können“ wollte der Schulpädagogik-Lehrstuhl Erlangen-Nürnberg bieten. „Ziel erreicht“, findet Max Wieder.

Doch das hat seinen Preis: Stolze 2770 Euro pro Monat kostet der erlebnispädagogische Törn. Ohne Zutun eines Fördervereins und die Unterstützung von Sponsoren „hätten wir uns das nie leisten können“, gibt Mutter Ute Bachmann-Wieder zu.

Gleichwohl sei die Maßnahme ihr Geld wert. Denn sie habe ein hohes Maß an Selbstsicherheit und Eigenständigkeit angeschwemmt — „für jeden Einzelnen von uns“, glaubt Max Wieder. „Ja“, bestätigen auch Mutter, Vater und Schwester Anna, „er ist im positiven Sinn als ein anderer zurückgekommen“. Einer, den´s schon wieder umtreibt. „Nach dem Abi will ich weg“, erklärt Max im Brustton der Überzeugung. Denn es gebe ja mehr als nur ein Abenteuer auf dieser Welt zu bestehen. . .

www.kus-projekt.de

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