Quattra Bavariae Across America

16.6.2017, 21:00 Uhr
Quattra Bavariae Across America

© Rauschendorfer

Das Race Across America (RAAM) gilt als eines der härtesten Langdistanzradrennen der Welt. 1982 zum ersten Mal veranstaltet, ist das RAAM mittlerweile zum Mythos unter Radsportlern geworden. Christine Waitz weiß noch ganz genau, seit wann die Idee, hier einmal an den Start zu gehen, in ihrem Kopf herumspukt: "Ich hab’ das seit der siebten Klasse auf dem Schirm. Ein Klassenkamerad hat damals ein superinteressantes Referat darüber gehalten."

Dass dieser Traum jetzt Realität wird, sei einem "Riesenzufall" zu verdanken, so die ehemalige Profi-Triathletin. 2015 kommt sie in Ingolstadt mit der Hohenwarter Triathletin Nicole Bretting ins Gespräch. Als diese sie kurze Zeit später spontan fragt, ob sie sich das RAAM im Team vorstellen könne, "habe ich ungefähr drei Sekunden gebraucht, um zuzusagen." Da von Anfang an feststeht, dass der Damen-Teamrekord geknackt werden soll, machen die beiden sich auf die Suche nach zwei weiteren Mitstreiterinnen. Gemeinsam mit Mona Dietl (Freising) und Heike Priess (Dietramszell) bereiten sie sich seitdem unter dem Namen Quattra Bavariae auf den Start am 17. Juni vor.

Bretting, Priess und Waitz sind erfahrene Langdistanz-Triathletinnen, Dietl hat schon den Ötztal-Radmarathon gewonnen. Alle vier sind starke Radfahrerinnen und körperlich fit. Auf das gemeinsame Projekt bereitet sich jede Fahrerin trotzdem individuell vor. Christine Waitz hat den Vorteil, dass sie nicht nur als freie Journalistin, sondern auch als Triathlon-Trainerin arbeitet.

Durchschnittlich sechs bis acht Wochen verbringt sie daher im Frühjahr mit den von ihr betreuten Athleten in Trainingslagern im Süden. Eine perfekte Gelegenheit für die 32-Jährige, während der Arbeit ganz nebenbei die eigene Grundausdauer zu trainieren.

Zurück in Roth geht es in den zurückliegenden Wochen dann an den Feinschliff. "Zu Hause fängt man dann an, kurz und knackig zu fahren. Zweistündige Touren mit Intervallen – und ab zurück an den Schreibtisch." Denn bei aller Begeisterung und trotz ihres sportlichen Ehrgeizes: "Der Sport muss sich der Arbeit leider unterordnen." Dennoch sitzt sie pro Woche gut 20 Stunden auf dem Fahrrad.

Um Erfahrung mit Langstreckenrennen zu sammeln, nimmt sie zudem 2016 am Race around Ireland (wir berichteten) teil. Als erste Deutsche schafft sie es, beim härtesten europäischen Ultra-Radrennen ins Ziel zu kommen – nach über 136 Stunden auf dem Rad und mit nur fünf Stunden Pause.

Einige Male kamen die vier Frauen zu gemeinsamen Trainings und vor allem Planungstreffen mit ihren Helfern – Waitz hat neben ihrem Bruder Michael ihre Rother Trainingspartner Markus Schönweiß und Richard Treitz sowie den Hilpoltsteiner Physiotherapeuten Rainer Wittmann mit dabei – zusammen. Dabei wurde unter anderem die Logistik geplant, das Fahren bei Nacht geübt und an einer Rennstrategie gefeilt.

Letztlich haben sich Waitz und Co. für zwei Zweierteams entschieden. Zwischen vier und sechs Stunden muss jedes Duo rackern, bevor es von den anderen beiden abgelöst wird. Alle 20 bis 40 Minuten will sich Christine Waitz dabei mit Mona Dietl auf dem Rad abwechseln. Währenddessen kümmert sich im Hintergrund ein elfköpfiges Team in den vier Begleitfahrzeugen um die Verpflegung, das Navigieren, das Material und alles, was sonst noch anfällt. Als Fahrerin müsse man praktisch "nur angezogen aufs Rad steigen und treten, den Rest erledigt das Team", meint Waitz mit einem Augenzwinkern.

Dass Fitness und eine gute Mannschaft bei dem Vorhaben aber bei weitem nicht alles ist, merken die vier sehr schnell: Das Abenteuer RAAM geht richtig ins Geld. Startgebühren, Flüge, Mietautos, Spritkosten, Verpflegung und so weiter: 50 000 Euro kommen so ohne Weiteres zusammen.

Also geht Quattra Bavariae auf Sponsorensuche, das ursprünglich schon für 2016 geplante Projekt verschiebt sich um ein Jahr nach hinten. Die Mädels starten im Internet sogar ein Crowdfunding, um Geld für ihren Traum zu sammeln. Abhängig von der Höhe der Spende können Unterstützer sich auf einem der Trikots verewigen, für eine Fahrerin einen Musiktitel aussuchen oder sich von einer der vier zu einer Grillparty eingeladen lassen. Am Ende kommen auf diese Weise über 10 500 Euro zusammen.

Knapp zwei Wochen vor dem Rennen wird es turbulent: Als sie sich bereits in den USA akklimatisiert erfährt Heike Prieß Anfang Juni, dass sie schwer krank ist. Sie muss das Rennen absagen und nach Deutschland zurückkehren. Jetzt ist guter Rat teuer, ohne eine vierte Fahrerin wäre das Projekt schon vor dem Startschuss gestorben.

Die Telefone laufen heiß. Schließlich erklärt sich spontan Steffi Steinberg, eine Langdistanz-Triathletin und starke Radfahrerin
aus Bad Honnef, zur Teilnahme bereit. Christine Waitz siehtes pragmatisch: "Wir müssen uns
auf sie und sie sich auf uns einstellen."

Als Team ohne Pause eine Distanz von 4800 Kilometer mit 52 000 Höhenmetern, Wüsten, Bergen, Wind und unendlich scheinenden kerzengeraden Straßen zu bewältigen – Waitz schreckt das nicht ab. "Daten sind mir nicht wichtig, Erzählungen fixen mich an." Und gehört habe sie von Freunden schon so einiges über das RAAM (dem Geburtstort des Team Arndt).

Die aktuelle Damen-Teambestzeit von knapp sechseinhalb Tagen zu unterbieten, ist eine echte Herausforderung. Einen Schnitt von "nur" 31 Kilometern pro Stunde müssten
sie dafür über die komplette Distanz halten. Gleichzeitig ist jedem im Team klar, "dass der Rekord eine ganz filigrane Glasfigur ist.

Wir haben alle den Rekord drauf, aber wegen der Länge, dem Wetter und anderem ist man da sehr schnell weit weg", erklärt sie. Mindestens genauso wichtig, vielleicht sogar ein bisschen mehr, ist ihr persönlich aber etwas anderes. "Die Faszination bei solch einem Rennen ist die Grenzerfahrung. Man kommt körperlich und psychisch in Bereiche, in die man sonst nicht kommt."

Am heutigen Samstagmittag (Ortszeit) beginnt das große Abenteuer Race Across America. Die ersten Kilometer werden Quattra Bavariae gemeinsam absolvieren, dann übernimmt voraussichtlich das Duo Waitz-Dietl die erste Schicht. Wenn alles nach Plan läuft, sind sie maximal sechs Tage und zehn Stunden später mit einem neuen Rekord im Gepäck und um unzählige Eindrücke reicher als schnellstes Frauenquartett im Ziel in Annapolis – und damit (zumindest zunächst einmal) am Ende ihrer Träume.

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